Symbolbild. (Jimmy Conover/Unsplash)

Kommentar

Kri­tik an Baby­fens­tern – eine faden­schei­nige Doppelmoral

Am 25. Juli 2024 legte eine Mut­ter ihr neu­ge­bo­re­nes Kind ins Baby­fens­ter im Spi­tal Olten. Dies war für den «Beob­ach­ter» Anlass, einen Bei­trag zu den seit 2001 beste­hen­den Baby­fens­tern zu veröffentlichen.

Bereits der Lead des Beitrages zeigt an, in welche Richtung der Artikel gehen wird: «Ein Neugeborenes wurde Ende Juli beim Kantonsspital Olten ins Babyfenster gelegt. Machte sich die Mutter strafbar? Und weshalb ist das Angebot umstritten?» («Beobachter», 2. August 2024).

Seitenhieb gegen Stiftung
Nach einer kurzen Einleitung werden die «wichtigsten Fragen und Antworten» aufgelistet. Die ersten beiden Fragen («Wie funktioniert ein Babyfenster?» und «Wo gibt es Babyfenster?») werden sachlich beantwortet.
Die nächste Frage lautet «Wer steckt dahinter?» Sechs der acht Babyfenster werden von der «Schweizerischen Hilfe für Mutter und Kind» unterstützt. Die Autorin des Beitrages, Jasmine Helbling, kann einen Seitenhieb gegen die Stiftung nicht unterlassen. «Sie [die Stiftung] spricht sich gegen Abtreibungen aus und stand schon mehrfach in der Kritik. Zuletzt, weil sie Hormonbehandlungen vermittelte, die medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche rückgängig machen sollten.» Warum es schlecht sein sollte, Frauen zu helfen, die eine begonnene Abtreibung bereuen, wird nicht ausgeführt.

Babyfenster versus Recht des Kindes
Nach der Feststellung, dass es nicht strafbar ist, sein Kind in ein Babyfenster zu legen, kommt die nächste «wichtige» Frage: «Gibt es auch kritische Stimmen?»

Das Angebot sei in verschiedenen Ländern kritisiert worden, etwa von Menschenrechtsaktivisten, Psychologinnen, Adoptionsdiensten und Kinderrechtsorganisationen, so der Beitrag. Es geht dabei um die Tatsache, dass Mütter in Not ihre Kinder anonym ins Babyfenster legen können. Dadurch werde das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Herkunft verletzt.

In ihrer Interpellation vom 26. September 2013 schrieb Ständerätin Liliane Maury Pasquier (SP): «Babyfenster stehen im Widerspruch zum Recht des Kindes, seine Identität zu kennen, wie dies der UNO-Ausschuss für die Rechte des Kindes unterstreicht.»

In seiner Stellungnahme vom 20. November 2013 kam der Bundesrat zum Schluss: «Die Mutter, welche ihr Neugeborenes im Babyfenster ablegt, verstösst zwar gegen die Meldepflicht, was nach Ansicht des Bundesrates jedoch vernachlässigbar ist in Anbetracht der Tatsache, dass das Leben des Kindes auf dem Spiel steht […]. Das Leben des Kindes ist in den Persönlichkeitsrechten höher einzustufen als dessen Recht auf Kenntnis der Abstammung.»

Der UNO-Ausschuss für die Rechte des Kindes empfiehlt in seinen Empfehlungen an die Schweiz vom Oktober 2021 die Abschaffung der Babyfenster. Es solle stattdessen ein Standardverfahren für vertrauliche Geburten entwickelt werden, um sicherzustellen, dass Angaben zur biologischen Herkunft dieser Kinder aufbewahrt werden (Nr. 22.b). Doch bei vertraulichen Geburten sind nur die Daten der Mutter, nicht aber jene des biologischen Vaters bekannt.
 


Anonymität bei Samenspenden und Leihmüttern kein Problem
Es ist interessant, dass ausgerechnet bei den Babyfenstern das Recht des Kindes auf seine Herkunft gefordert wird. Die Babyfenster wurden eingeführt, nachdem ein ausgesetztes Kind tot aufgefunden worden war. Sie sollen verhindern, dass eine Mutter in Not gezwungen ist, ihr Kind auszusetzen und darauf zu hoffen, dass es rechtzeitig gefunden wird. Es geht also um Extremsituationen. In dieser Situation sind die Angaben der biologischen Mutter zweitrangig, wie der Bundesrat zu Recht festgestellt hat.
Die Mutter hat die Möglichkeit, ihrem Kind einen Zettel mit Informationen mitzugeben oder sich später zu melden.[1] Gemäss der «Schweizerischen Hilfe für Mutter und Kind» haben sich in der Vergangenheit rund die Hälfte der Mütter gemeldet; einerseits um sich zu erkundigen, wie es dem Baby geht, andererseits um ihm Angaben zur Identität der Eltern zu hinterlassen. 6 von 30 Eltern wollten ihr Kind zurück und haben es auch erhalten.

Während man also in dieser Notsituation auf dem Recht des Kindes auf seine Herkunft besteht, werden heute Samenspende und Leihmütter als «normaler Weg» zu einem Kind angepriesen. Nicht nur homosexuelle Paare oder Alleinerziehende wählen diesen Weg, sondern immer öfter auch heterosexuelle Paare.

Samenspende ist in der Schweiz für verheiratete Paare erlaubt. Seit 2001 ist die anonyme Samenspende in der Schweiz verboten. Kinder können Auskunft über den Spender verlangen, allerdings erst, wenn sie volljährig sind. Vor dem 18. Altersjahr muss ein schutzwürdiges Interesse nachgewiesen werden (medizinische Gründe). Wenn also ein Kind beispielsweise mit 12 Jahren erfährt, dass es durch Samenspende gezeugt wurde, bleibt ihm ausgerechnet während der für die psychische und geistige Entwicklung entscheidenden Zeit der Pubertät die Kenntnis seines biologischen Vaters vorenthalten. Nur: Der Spender kann bei der Spende angeben, dass er keine Kontaktaufnahme will. Das gezeugte Kind erhält dann zwar trotzdem die persönlichen Angaben, darf sich aber dem biologischen Vater (und dessen Familie) nicht nähern.

Nebenbei bemerkt: Der Spender hat gegenüber dem mit seinem Samen gezeugten Kind keine Rechte und Pflichten.[2]

Alleinstehende oder Verheiratete, die eigene Kinder bekommen könnten, wenden sich an ausländische Samenbanken. Die Spende bleibt in den meisten Fällen anonym – womit das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft unterlaufen wird.

Da die Leihmutterschaft in der Schweiz grundsätzlich verboten ist, wenden sich auch in diesem Fall viele an ausländische Agenturen. Obwohl immer wieder euphorisch aufgemachte Geschichten zu lesen sind, wonach die «Eltern» mit der Leihmutter in bester Freundschaft verbunden sind, sieht die Realität oft anders aus. Wie will man mit einer Frau ein vertrauensvolles Verhältnis aufbauen, die irgendwo im Ausland in einem Armutsviertel lebt und kaum mehr auffindbar ist?

Es ist inkonsequent, ja ausgesprochen unehrlich, bei den Babyfenstern die (notgedrungene) Anonymität zu kritisieren, während man bei ausländischen Samenspenden und Leihmutterschaft grosszügig darüber hinwegschaut. Und dies, obwohl es im ersten Fall darum geht, einer Frau und ihrem neugeborenen Kind in einer Extremsituation zu helfen, und im zweiten Fall darum, sich ein «Kind à la carte» zu verschaffen.
 

Das erste Babyfenster wurde am 9. Mai 2001 im Spital Einsiedeln eröffnet. Inzwischen gibt es ach Orte mit Babyfenstern: Bethesda-Spital Basel, Regionalspital San Giovanni Bellinzona, Lindenhofspital Bern, Spital Davos, AMEOS Spital Einsiedeln und Kantonsspital Olten. Diese werde von der «Schweizerischen Hilfe für Mutter und Kind» unterstützt. www.babyfenster.ch.
Das Babyfenster im Spital Zollikerberg gehört zur «Stiftung Diakoniewerk Neumünster» und jenes in Sitten wurde im Auftrag des Kantons eingerichtet.

 

Angaben zur Samenspende in der Schweiz

https://www.bj.admin.ch/bj/de/home/gesellschaft/zivilstand/faq/samenspende.html

 


[1] Spätestens vor der Adoption. Diese wird aber frühestens nach einem Jahr genehmigt.
[2] Bei einer «privaten Samenspende» hingegen schuldet der biologische Vater grundsätzlich Unterhalt, und das Kind ist erbberechtigt.


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


Kommentare und Antworten

×

Name ist erforderlich!

Geben Sie einen gültigen Namen ein

Gültige E-Mail ist erforderlich!

Gib eine gültige E-Mail Adresse ein

Kommentar ist erforderlich!

You have reached the limit for comments!

* Diese Felder sind erforderlich.

Bemerkungen :

  • user
    Meier Pirmin 05.08.2024 um 14:55
    Man vergleiche den Umgang dieser Art Presse mit der "Letzten Generation" oder ein lebensrettendes Babyfenster mit "Klima-Kleber"-Aktionen. Das Ja zum Kind ist zweifelsohne eine Absage an die Perspektive, dass eine Letzte Generation angesagt sei, letztere Ausdrucksweise steht in klarem psychologischen Zusammenhang mit Weltuntergangs-Sekten.