Blick vom Vatikan auf die Ewige Stadt: Rom. (Bild: Caleb Miller/Unsplash)

Kommentar

Libe­ra­lis­mus und Katho­li­sche Kirche

Der Katho­li­zis­mus und der klas­si­sche Libe­ra­lis­mus, beson­ders in sei­ner liber­tä­ren Form, erschei­nen zunächst als zwei völ­lig unter­schied­li­che Gebilde. Wäh­rend klas­sisch libe­rale Den­ker wie Adam Smith oder John Locke indi­vi­du­elle Frei­heit, pri­va­tes Eigen­tum und mög­lichst wenig staat­li­chen Ein­fluss beto­nen und zen­tra­li­sier­ten Insti­tu­tio­nen skep­tisch gegen­über­ste­hen, legt die Katho­li­sche Kir­che tra­di­tio­nell Wert auf Gemein­schaft, mora­li­sche Ver­ant­wor­tung und hier­ar­chi­sche Strukturen.

Interessanterweise findet sich eine bemerkenswerte Parallele zwischen dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) und den wirtschaftlichen Reformbestrebungen des Ökonomen John Maynard Keynes. Keynes und die Reformtheologen wie Karl Rahner, Henri de Lubac oder Hans Küng stellen bedeutende Wendepunkte dar, die umfassende Veränderungen auslösten und auf Krisen reagierten. Und die erwähnten Personen waren alle in der Mitte des 20. Jahrhunderts und darüber hinaus akademisch tätig.

Vor dem Zweiten Vatikanum war die Katholische Kirche stark von Kontinuität und klar definierten Hierarchien geprägt, ähnlich wie klassische Liberale vor Keynes strikt an freiem Markt, Goldstandard und minimalem Staatseingriff festhielten. Wichtig ist dabei festzuhalten, dass der ausgeprägte römische Zentralismus erst als Reaktion auf die Entstehung moderner Nationalstaaten deutlich zunahm, vorher herrschte eine relativ starke Subsidiarität (vgl. die zahlreichen Eigenriten von Orden und Diözesen). Gestützt auf die Konzilstexte verordnete die Römische Kurie der ganzen Kirche grundlegende einheitliche Reformen, darunter Änderungen der Liturgie, interreligiöser Dialog und Anpassung der internen kirchlichen Strukturen. Vergleichbar dazu brachte Keynes staatliche Eingriffe, expansive Geldpolitik und eine Abkehr von traditionellen Wirtschaftsgrundsätzen mit sich.

Beide, Keynes und die progressiven (und schlussendlich dominierenden) Vertreter des Zweiten Vatikanischen Konzils, reagierten direkt auf (vermeintliche) Krisensituationen. Keynes begegnete der Weltwirtschaftskrise, das Konzil einer Glaubenskrise der modernen Gesellschaft. Beide wollten bestehende Systeme modernisieren und offener gestalten. Keynes setzte auf eine zentralistisch organisierte Ausweitung der Geldmenge (Abschaffung des Goldstandards bei gleichzeitiger Beibehaltung des Notenbankmonopols), während das Konzil die Grundlagen zu schaffen versuchte, um kirchliche Praktiken mittels zentraler Beschlüsse stärker den Bedürfnissen der modernen Zeit anpassen zu können.

Dennoch führten diese Reformen langfristig zu Schwierigkeiten. Die keynesianische Politik brachte Inflation, hohe Staatsverschuldung und ökonomische Instabilität hervor. Ähnlich führte die Öffnung des Konzils in vielen Teilen zu einem Rückgang kirchlicher Autorität, Identitätsproblemen und internen Spannungen. Kurzfristige Lösungen zeigten langfristige Schwächen.

Daher kritisierten sowohl konservative Kirchenvertreter wie Erzbischof Marcel Lefebvre oder Kardinal Giuseppe Siri als auch Ökonomen der Österreichischen Schule wie Ludwig von Mises oder Friedrich Hayek diese raschen Interventionen. Beide Gruppen warnten davor, Reformen ohne Rücksicht auf komplexe und historisch gewachsene Strukturen durchzusetzen. Diese Kritiker betonten, dass stabile und bewährte Institutionen organisch wachsen und nicht zentral von oben diktiert werden sollten. Und beide Gruppen verwiesen immer wieder darauf, dass der Mensch nicht mittels vermeintlich demokratisch legitimierter Beschlüsse göttlich geoffenbarte oder empirisch nachgewiesene Wahrheiten aufheben oder abändern kann.

Hier zeigen klassischer Liberalismus und traditioneller Katholizismus eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit: Beide vertrauen eher auf bewährte Prinzipien und stabile Institutionen als auf schnelle und drastische Veränderungen. Die Katholische Kirche könnte von der Österreichischen Schule lernen, Reformen behutsamer und respektvoller gegenüber bestehenden Traditionen durchzuführen. Gleichzeitig könnte der klassische Liberalismus von der katholischen Perspektive profitieren, wonach Freiheit ohne verbindliche ethische Werte und soziale Verantwortung in Willkür und Selbstzerstörung abzugleiten droht.

Die Parallele zwischen dem Zweiten Vatikanum und Keynes’ Reformen ist nicht nur historisch spannend, sondern bietet wichtige Erkenntnisse für zukünftige Herausforderungen, vor denen menschliche Individuen stehen könnten. «Und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen» (Joh 8,22). Dieser Satz der Heiligen Schrift kann hierbei sinnbildlich als Symbiose von Freiheit und Wahrheit gelten.


Gastkommentare spiegeln die Auffassungen ihrer Autorinnen und Autoren wider.


Alexander Schmid

BSc in Wirtschaftsrecht und Vorstandsmitglied des Vereins «Vera fides».


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    Joseph Laurentin 03.04.2025 um 06:49
    Die Analogie zwischen dem Zweiten Vatikanischen Konzil und den wirtschaftspolitischen Reformen eines John Maynard Keynes ist aus historischer Sicht zwar originell, doch inhaltlich irreführend. Das Konzil kann nicht einfach als Reaktion auf eine „Glaubenskrise“ der modernen Welt verstanden werden – vielmehr hat es durch seine zweideutigen Texte und pastoralen Innovationen wesentlich zur Vertiefung dieser Krise beigetragen. Der Verzicht auf klare dogmatische Definitionen, die Öffnung zum interreligiösen Dialog (insbesondere Nostra aetate) und die liturgischen Neuerungen führten in der Praxis zu Verwirrung, Autoritätsverlust und einem dramatischen Rückgang der Glaubenspraxis. Diese Entwicklungen waren absehbar und wurden von kirchlichen Persönlichkeiten wie Erzbischof Marcel Lefebvre mit Nachdruck gewarnt.
  • user
    Claudio Tessari 31.03.2025 um 14:33
    Ich zitiere nur den Heiligen Paul VI, der nach dem Konzil am Fest der Apostelfürsten Petrus und Paulus 1972, das berühmte Bild vom „Rauch Satans“, der in die Kirche eingedrungen sei benutze. In der Predigt zum Festtag, der auch der 9. Jahrestag seiner Krönung war, nahm Paul VI. Bezug auf die Situation in der Kirche und sagte, er habe das Gefühl, dass „durch irgendeinen Spalt der Rauch Satans in den Tempel Gottes eingedrungen ist. Es gibt Zweifel, Unsicherheit, Unruhe, Unzufriedenheit, Konfrontation.“

    Die Verweltlichung sehen wir tagtäglich, die Priester sind heute mehr Manager als Seelsorger zumindest im Deutschsprachigen Raum. Die Liberale Theologie wird praktisch von allen deutschsprachigen Bischöfen unterstützt, von daher erstaunt es nicht, dass man mit weltlichen Programmen die Kirche erneuern will, anstatt mit wahren Reformen. Zurück zur katholischen Tradition, zur marianischen Frömmigkeit, zur ehrfürchtigem Feiern der Heiligen Messe nach Rubriken, zur eucharistischen Anbetung. Dort wo das noch geschieht, dort hat es auch Junge, dort wo man weltliche Events in der Kirche veranstaltet sind die Kirchen leer.

    Vor 10 Jahren gab mir der damalige Nuntius, Msgr Gullikson ein schönes Buch zum lesen: LIBERALISMUS IST SÜNDE.
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      Alexander Schmid 01.04.2025 um 10:18
      Sehr geehrter Herr Tessari,

      vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Das von Ihnen zitierte Werk ist mir bekannt, allerdings befasst es sich primär mit dem spanischen Kulturkampf in der Jahrhundertwende, welcher primär von der "Aufklärung" der Französischen Revolution geprägt war. Nun ist der Begriff "Liberalismus" nicht geschützt und prinzipiell könnte dieser jeden für sich beanspruchen (wie z. B. die amerikanische Linken).

      In meinem Kommentar beziehe ich mich aber auf die Ökonomen der englischen und österreichischen Schule, welche in den allermeisten Punkten der französischen Aufklärung massiv widersprechen. Interessanterweise sieht die österreichische Schule ihr geistiges Vorbild nebst dem Naturrechtler John Locke auch in der Schule von Salamanca, einem Kreis um ökonomisch tätige Dominikaner und Jesuiten. In Ihren Grundfesten aber stützen sich alle diese Kreise auf die Erkenntnisse des hl. Kirchenlehrers Thomas von Aquin und seinen geistigen Wegebereiter Aristoteles.

      Herzliche Grüsse

      Alexander Schmid
  • user
    Michael Dahinden 30.03.2025 um 20:27
    Und wer ist dahinter?
    Gewisse Gruppen sehen die Machtvakuen ganz genau, können die Auswirkungen von Keynes' Reformen ebenso durchschauen wie die Auswüchse des II. Vatikanums und ziehen knallhart den Profit daraus. Einem gewievten Professor wäre zu raten, einmal seine Studenten an der Aufdeckung dieser Profiteure arbeiten zu lassen.
  • user
    Stefan Fleischer 30.03.2025 um 18:12
    Das Resultat all dieser Bemühungen aber dürfte das gleiche sein, nämlich der Verlust der Gottesfurcht, eine «Verselbstständigung» der Menschen von jeder höheren Macht, eine Fokussierung auf das irdische Heil (das psychische wie das materielle) und Wohlbefinden, und der Verlust eines höheren, ewigen Ziels, für welches man auch alle Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten dieser Welt in Kauf zu nehmen bereit ist, oder anders ausgedrückt das Aufkommen einer Egozentrik, welche das Handeln aus Liebe zu Gott und den Mitmenschen zur Dummheit erklärt.
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      Martin Meier 30.03.2025 um 19:08
      Damit haben Sie meiner Meinung nach ziemlich gut die Agenda von Bischof Bonnemain zusammen gefasst.
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      Hansjörg 31.03.2025 um 11:31
      Wenn Sie, Herr Fleischer, den Verlust der Gottesfurcht beklagen, frage ich mich, weshalb muss den Gott gefürchtet werden?
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        Stefan Fleischer 31.03.2025 um 14:24
        Sie verwechseln die Gottesfurcht (wie sie in der Schrift vielfach erwähnt wird) mit der Angst vor Gott, welche nur jene haben müssen, welche Gott bewusst ihr "non serviam" (zu Deutsch "Du hast mir nichts zu sagen" entgegen schleudern, wie es Luzifer getan hat und so zum Satan geworden ist. Gottesfurcht im biblischen Sinn könnte man auch mit Ehrfurcht bezeichnen. Es geht darum, Gott als Gott anzuerkennen und ihn zu lieben, wie die Schrift sagt: "Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt." Diese Ehrfurcht könnte man auch mit der Haltung eines Kindes seinem ihn liebenden Vater gegenüber vergleichen.