Mahatma Gandhi in London 1931.

Hintergrundbericht

Mahatma Gan­dhi – ein gewalt­lo­ser Revolutionär

Vor 75 Jah­ren, am 30. Januar 1948, wurde Mahatma Gan­dhi in Delhi von einem Atten­tä­ter erschos­sen. Der geis­tige und poli­ti­sche Anfüh­rer der indi­schen Unab­hän­gig­keits­be­we­gung war für seine Hal­tung der Gewalt­lo­sig­keit bekannt.

Mohandas Karamchand Gandhi wurde am 2. Oktober 1869 im indischen Gujarat geboren. Er wuchs mit seinen drei älteren Brüdern in der kleinen Hafenstadt Porbandar auf. Seine Familie gehörte der Bania-Kaste an, die zum Stand der Kaufleute (Vaishya) gehört; sie waren damit in der dritten Kaste und gehörten zur gesellschaftlichen und politischen Oberschicht. Gandhis Familie praktizierte den Vishnuismus1, hatte aber auch Kontakt mit Muslimen, Parsen und Jainas. Der Jainismus ist bekannt für sein Ideal der Nichtverletzung von Lebewesen und seine Gewaltlosigkeit. Gandhi dürfte von dieser Philosophie geprägt worden sein.
Später zog die Familie nach Rajkot, wo Mohandas die Schulen besuchte. 1888 reiste Gandhi nach London, um dort Rechtswissenschaft zu studieren.

Plötzlich ein Mensch zweiter Klasse
In London setzte sich Gandhi mit religiösen Schriften auseinander. Im Christentum war er vor allem von der Bergpredigt angetan. «Ich werde den Hindus sagen, dass ihr Leben unvollständig ist, wenn sie nicht ehrerbietig die Lehren Jesu studieren.»2  Die Gottheit Jesu lehnte er hingegen ab. Wenn Jesus Gott wäre, dann wären alle gottgleich und könnten selbst Gott werden. Er interessierte sich auch für Buddha sowie den Islam, da er die Meinung vertrat, dass der wahre Glaube die Angehörigen aller Glaubensrichtungen vereine.

Ende 1890 schloss er sein juristisches Studium erfolgreich ab und war nun als Barrister an englischen Obergerichten zugelassen. Somit konnte er überall als Rechtsanwalt arbeiten, wo britisches Recht galt. Er kehrte zunächst nach Indien zurück. 1893 schickt ihn seine Familie nach Südafrika, um einem befreundeten Geschäftsmann in Pretoria zu helfen. Als er eines Tages im Zug in der ersten Klasse fuhr, wurde er vom Schaffner aufgefordert, in den Gepäckwagen umzusteigen. Als er sich weigerte, wurde er aus dem Zug geworfen. Gandhi realisierte, dass er zwar gleichberechtigter Staatsbürger war, aber als Mensch zweiter Klasse galt. Er entschloss sich, etwas gegen die Krankheit des «Rassenvorurteils» zu unternehmen. Dabei ging es ihm aber nur um die Gleichberechtigung der indischen Bevölkerung – die schwarze Bevölkerung bezeichnete er als «Kaffer» und fand deren Ungleichbehandlung in Ordnung.
 


Gandhi begann sein Leben intensiver zu gestalten: Er übte «Brahmacharya», ein Begriff aus dem Yoga, der die Bewegung auf das Wesentliche hin meint, sowie Satyagraha (Festhalten an der Wahrheit), ein anderes Wort für passiven Widerstand. Er verfolgte damit eine Strategie der Nichtkooperation: Übertretung ungerechter Gesetze und Anweisungen, Streiks, Boykotte und Provokation von Verhaftungen. Diese Strategie wendete er zunächst gegen das Meldegesetz an, das die Inder in Südafrika zwang, sich registrieren zu lassen und den entsprechenden Meldeschein immer auf sich zu tragen. Nach gewaltlosen Protesten und der Weigerung vieler Inderinnen und Inder, sich registrieren zu lassen, gelang es Gandhi, eine Kompromisslösung zu finden, die jedoch später von der Regierung nicht eingehalten wurde. Als 1913 nur noch christlich geschlossene Ehen anerkannt werden sollten, protestierten die Inder wiederum friedlich. Mit der «Indian Relief Act» wurde die Situation der indischen Bevölkerung deutlich verbessert. In der Folge kehrte 1914 Gandhi nach Indien zurück. Der indische Philosoph und Literaturnobelpreisträger Rabindranath Tagore soll Gandhi bei seiner Ankunft in Bombay mit dem Ehrennamen «Mahatma» (grosse Seele) begrüsst haben. Heute ist Gandhi vor allem unter diesem Namen bekannt.

Gewaltlos für die Unabhängigkeit
In Indien trat er dem Indischen Nationalkongress bei und lebte nach elf von ihm selbst formulierten Selbstverpflichtungen: Liebe zur Wahrheit, Gewaltlosigkeit, Keuschheit, Desinteresse an Materiellem, Furchtlosigkeit, vegetarische Ernährung, nicht stehlen, körperliche Arbeit, Gleichheit der Religionen, Einsatz für die «Unberührbaren» und ausschliessliche Verwendung inländischer Produkte.
Das einfache, auf Selbstversorgung beruhende Leben wollte er zum Vorbild für ein von Grossbritannien unabhängiges Indien machen. Symbolkräftig wurde das Spinnrad, das er selbst in politischen Debatten bediente. Sein Ziel war eine staatsfreie Gesellschaft. Er war für einen einheitlichen Lohn für alle Arbeiten und gegen Privatbesitz. Das in Indien geltende Kastensystem fand er prinzipiell gut, da die Zuordnung der Menschen in eine Berufsgruppe Sicherheit biete. In religiösen Fragen vertrat er Toleranz.
 


Gegen die Verlängerung des Ausnahmezustandes und des Kriegsrechts 1919 in Indien durch Grossbritannien erhob sich Widerstand. Mit Generalstreiks und Boykotten verweigerten die 400 Millionen Inderinnen und Inder den rund 300 000 Briten die Zusammenarbeit, indem sie keine britischen Waren mehr kauften. Auch öffentlich praktizierter Gesetzesbruch wie z. B. beim Salzmarsch 1930 zeigte Wirkung. Der Salzmarsch war eine Aktion gegen das Salzmonopol der Briten in Indien und führte letztlich zur Unabhängigkeit Indiens von Grossbritannien im Jahr 1947.
Am 30. Januar 1948 wurde Mahatma Gandhi von einem nationalistischen Hindu erschossen.

Inspirierende Gestalt
In Indien wird Mahatma Gandhi noch heute wie ein Heiliger verehrt. In den letzten Jahren gab es jedoch auch negative Stimmen: Kritisiert wurden vor allem seine Sichtweise der Frauen, sein Rassismus gegenüber der schwarzen Bevölkerung in Südafrika und seine Verteidigung des indischen Kastenwesens. Auch wenn diese Kritik in Teilen berechtigt ist, kann sie seine grossen Verdienste für eine gewaltfreie Gesellschaft nicht schmälern.

Sein gewaltloser Kampf inspirierte Menschen in anderen Teilen der Welt. So ermutigte er die US-Bürgerrechtsbewegung unter Martin Luther King für den Kampf um die Gleichbehandlung von Schwarzen und Weissen. Auch der südafrikanische Freiheitskämpfer Nelson Mandela steht in der Linie des gewaltlosen Protests. Die polnische Solidarnosc-Bewegung für mehr Demokratie und Freiheit mobilisierte gewaltlos die Massen und trug 1989 wesentlich zum Zusammenbruch des totalitären Sowjetsystems bei. Im selben Jahr sorgten in Ostdeutschland Hunderttausende friedlicher Demonstranten für den historischen Fall der Berliner Mauer und eine friedliche Wende.
 


1 Der Vishnuismus (oder Vaishnavismus) ist eine Richtung des Hinduismus. Sie betrachtet Vishnu als höchstes Allwesen, dem alle anderen Götter untergeordnet sind oder aus ihm hervorgehen.
2 Anand Hingorani (Hrsg.), The Message of Jesus Christ by M. K. Gandhi, Bombay 1964, zitiert in: Dean C. Halverson, Weltreligionen im Überblick. Holzgerlingen 2003, 119.


KNA/Redaktion


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  • user
    Manuel Sebastian 30.01.2023 um 15:06
    Es gibt einen grossen Fehler hier im Artikel. Gandhi wurde im 1948 gestorben und nicht im Jahr 1848.
    wie kann ein Journalist so einen Fehler machen und die Redaktion das ohne Kontrolle publizieren. Schade!
    • user
      Redaktion 30.01.2023 um 15:32
      Vielen Dank für diesen wertvollen Hinweis. Die Jahreszahl wurde korrigiert.