Bischof Marian, Papst Franziskus hat am 4. Dezember 2019 Ihre Bitte um Emeritierung angenommen; diese wurde im Februar 2021 rechtskräftig. Warum haben Sie um Ihre Emeritierung gebeten?
Ich sah, dass ich als Einzelner innerhalb der Strukturen nicht viel bewegen kann, denn am Ende entscheidet ein Mehrheitsvotum und im Backoffice die Geldgeber und Strippenzieher. Dafür musste ich aber viel Zeit und Energie investieren, um am Ende den Zug in die falsche Richtung abfahren zu sehen. Letzteres bleibt natürlich Ansichtssache. Aber Sie fragen ja mich. In der Tat habe ich seit meiner Emeritierung innerhalb der Strukturen an Bedeutung verloren, bin aber sehr viel näher bei den Gläubigen und in fruchtbaren Projekten der Seelsorge und Verkündigung über die Landesgrenzen hinaus. Man kann ja mal einen Blick auf meine Homepage werfen, die aber nicht alles abbildet.
Sie waren lange Jugendbischof für die deutschsprachige Schweiz und den Tessin. Sie gestalten noch immer regelmässig Jugendmessen in der Liebfrauenkirche in Zürich. Wie erleben Sie die jungen Menschen?
Die monatlichen Jugendmessen habe ich inzwischen nach zwölf Jahren in jüngere Hände weitergegeben. Ich fühlte dafür den Zeitpunkt gekommen.1 Jetzt begleite ich mehr junge Erwachsene, die heiraten oder geheiratet haben, Familien, bin in der Männerseelsorge und anderes mehr. Natürlich habe ich immer wieder Begegnungen, Gottesdienste und Kontakte auch mit jungen Menschen. Sie kommen selbst auf mich zu, z. B. neulich in einem internationalen Webinar der «European Fraternity». Aber der Schwerpunkt hat sich verlagert. Ich erlebe diese jungen Leute als sehr offen, angenehm, ernsthaft und als echte Gottsucher.
Ein weiteres Aufgabenfeld war die Neuevangelisierung. In der Schweiz scheint die Kirche kein wirkliches Interesse an einer Neuevangelisierung zu haben. Täuscht dieser Eindruck? Wenn nicht: Woran liegt dieses Desinteresse an einem der Grundvollzüge der Kirche?
Das gilt vor allem für die offiziellen kirchensteuerfinanzierten Strukturen. Dort dominiert ein Toleranz- und Pluralitätsverständnis, das nicht missionieren will. Der Begriff hat dort den negativen Beigeschmack von Aufdringlichkeit, Besserwisserei, Arroganz oder kultureller Intoleranz und Lernunfähigkeit. Es geht mehr um Verstehen und Begleiten, um Begegnung auf Augenhöhe, was ja auch dazu gehört. In den Graswurzelbewegungen der Glaubenserneuerung aber ist man durchaus missionarisch und kreativ. Man hat dort keine Berührungsängste mit dem Begriff «Mission», der paradoxerweise in der säkularen Welt im Marketingbereich hemmungslos eingesetzt wird. Es könnte auch sein, dass man vom eigenen Evangelium nicht mehr so recht überzeugt ist, weil die aufgeklärte Exegese der letzten Jahrzehnte ganze Arbeit geleistet – und kaum etwas nicht problematisiert – vielmehr infrage gestellt oder entkernt hat. Das nimmt vielen Berufskatholikinnen und -katholiken den Wind aus den Segeln. Sie würden vielleicht gar nicht mehr für die Kirche arbeiten, wenn die Mittel ausgingen.
Die Teilnehmer am sogenannten «Synodale Weg» in Deutschland haben sich geweigert, die Evangelisierung in das Programm aufzunehmen, obwohl dies von Papst Franziskus mehrfach gefordert wurde. Wie schätzen Sie den «Synodalen Weg» als solches ein?
Das genannte Faktum spricht für sich und ist offenbarend in Bezug auf ihre oben gestellte Frage nach der Neuevangelisierung. Der «Synodale Weg» ist für mich total entgleist, und hier in der Schweiz wird man auch nicht klüger. Für mich ist das eine Art «Reformation 2.0», natürlich aktualisiert und in der Semantik unserer Zeit. Aber es ist der alte Protestantismus des allgemeinen Priestertums der Getauften und der «Synodalität» im Sinn von «demokratischen Prozessen» und flachen Hierarchien, die im Protestantismus unter anderem zur Selbstauflösung in unübersehbare, selbstwidersprüchliche Splittergruppen, Sekten und sogenannte Landeskirchen geführt hat und zum Verlust eines gemeinsamen Credos. In einer interessenorientierten Hermeneutik des Zweiten Vatikanums treibt man die Klerikalisierung des Laien immer mehr voran auf Kosten des sakramentalen Priestertums, das demontiert und relativiert wird. Diese Laien aber sind Funktionäre und hauptamtliche Professionellen, ein kleines Segment, nicht die breite Masse der Getauften, die auf ganz anderem Gebiet als im liturgischen Raum und an den Versammlungstischen prophetisch sein sollten. Die meisten von diesen werden gar nicht mehr erreicht und nehmen an den synodalen Prozessen nicht teil.
Welche Entwicklungen sehen Sie aufgrund der gefassten Beschlüsse?
Es besteht die Gefahr eines «schmutzigen» Schismas, das heisst eines Schismas, das real existiert, aber nicht offen deklariert wird. Es steht immer noch die Etikette «katholisch» darauf, obwohl der Inhalt der Flasche absolut häretisch ist und ein Bruch mit der Tradition und dem Glauben der Kirche bedeutet. Entschlüsse ohne jede kirchliche, kanonische Legitimität werden dann einfach von instrumentalisierten oder verblendeten Bischöfen in ihren Diözesen umgesetzt – aus welchen Gründen auch immer. Man sollte wieder den Mut haben zum Ausschluss («anathema sit»), will man nicht, dass der ganze mystische Leib landesweit verdirbt zusammen mit seinen Hirten.
Was erhoffen Sie sich vom weltweiten «Synodalen Prozess», der durch Papst Franziskus angestossen wurde?
Bis jetzt haben alle Synoden unter Papst Franziskus keine Klarheit gebracht. Sie sind mehr oder weniger verpufft (z. B. die Jugendsynode, die Amazonassynode), und wir sind immer am Interpretieren, was die Texte bzw. Fussnoten bedeuten könnten. Ein paar Perlen gibt es immer, auch in den Synodendokumenten. Aber sie machen die allgemeine Lage des Glaubens und der religiösen Praxis in der Kirche hierzulande und darüber hinaus nicht besser, zu sehr dominieren die Geister, die man gerufen hat und nicht mehr in die Flasche bringt. Es wird also schon im Vorfeld der Synoden viel Staub aufgewirbelt, wie man überall sehen kann. Ob dann nach der kommenden Doppelsynode über Synodalität 2023/24 (in Wirklichkeit geht es um ganz anderes als um Synodalität: um die Kassierung der bisherigen, katholischen Moral und die Veränderung der auf das Priestertum des Mannes fokussierten sakramentalen Struktur der Kirche; das sieht doch jedes Kind vom Schiff aus) wieder reine Luft herrschen wird, darf bezweifelt werden.
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