Margaret Sinclair.

Weltkirche

Mar­ga­ret Sin­clair – von der Fabrik­halle ins Kloster

Mar­ga­ret Sin­clair (1900 – 1925) wuchs zu Beginn des letz­ten Jahr­hun­derts in Edin­burgh in Armut auf und musste bereits als 14-​Jährige arbei­ten, um die Fami­lie zu unter­stüt­zen. Getra­gen von einem tie­fen Gott­ver­trauen strebte sie im all­täg­li­che Leben nach Heiligkeit.

Margaret Sinclair kam am 29. März 1900 als drittes von acht Kindern in Edinburgh (Schottland) zur Welt und wurde am 11. April 1900 in der St. Patrick's Church getauft. Die grosse Familie wohnte beengt in einer Dreizimmerwohnung inmitten der Armut des Cowgate-Viertels und hatte ständig mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Ihr Vater Andrew arbeitete als Strassenkehrer. Er war zum katholischen Glauben konvertiert, damit er seine Frau Elizabeth heiraten konnte.

Margaret war als Kind schüchtern, gleichzeitig intelligent und sportlich. Sie stand ihrer älteren Schwester Bella besonders nahe: Die beiden waren selten getrennt anzutreffen und trugen später oft die gleichen (selbstgeschneiderten) Kleider, sodass sie manches Mal für Zwillinge gehalten wurden. Ihre Eltern waren fromme Menschen und gaben den Kindern den Glauben weiter: Gebet, Rosenkranz und Angelus gehörten zum täglichen Leben. Margaret hatte schon als Kind eine innige Beziehung zur Mutter Gottes. Auch dem Heiligsten Herz Jesu, Thérèse von Lisieux und Franz von Assisi galt ihre Verehrung. Margaret erzählte immer wieder, dass ihre Erstkommunion der schönste Tag in ihrem Leben war.

Margarets Mutter Elizabeth war häufig krank und hatte einen Hang zur Schwermut. Wenn sie unter der Last der Sorgen und des Alltags zusammenzubrechen drohte, hatte Margaret stets die gleiche Antwort: «Gib nicht auf!» Diese Worte waren das Markenzeichen von Margarets kurzem Leben.

Arbeiterin, Gewerkschafterin, Katholikin
Noch in der Schule musste Margaret Gelegenheitsjobs annehmen, um die Familie finanziell zu unterstützen; sie machte Besorgungen oder schrubbte Böden. 1914 mussten ihr Vater und der ältere Bruder in den Ersten Weltkrieg ziehen – für die 14-jährige Margaret war damit die Schulzeit vorbei. Sie erhielt eine Stelle in der Möbelfabrik, in der bereits ihre ältere Schwester arbeitete. Zusammen mit ihrer Schwester Bella bewirtschaftete sie nebenbei einen kleinen Garten, der von der Pfarrei zur Verfügung gestellt wurde. In der wenigen Freizeit besuchte Margaret gerne die Tanzabende der Pfarrei. Sie hatte in einem Abendkurs nähen gelernt und schneiderte nun die Kleider selbst; sie liebte es, sich modisch zu kleiden. Gleichzeitig war sie Mitglied der «Sodality of Children of Mary», deren Ziel darin bestand, Kinder und Jugendliche zu ermutigen, Jesus Christus als ihren Herrn und Erlöser durch die Verehrung seiner Mutter kennenzulernen. Durch die Mitgliedschaft lernten die Kinder resp. Jugendlichen zu beten, Opfer zu bringen und Tugenden zu praktizieren, insbesondere Reinheit und Bescheidenheit.

Die Arbeit in der Fabrik war nicht immer einfach: Einerseits wurde sie aufgrund ihres katholischen Glaubens immer wieder zum Ziel gemeiner Witze, andererseits musste die hübsche junge Frau Annäherungsversuche abwehren. Ihre Waffe war der Rosenkranz.
Sie trat der Gewerkschaft bei und wurde Gewerkschaftsvertreterin. Als solche protestierte sie, wenn die Löhne der Arbeiter ungerechtfertigt gekürzt wurden. Eine persönliche Auseinandersetzung hatte sie mit ihrem Vorgesetzten: Sie hatte unter dem Gerümpel in einem Schrank ein Bild der Muttergottes gefunden und hängte es über ihrem Arbeitsplatz auf. Der Vorgesetzte nahm es jeden Abend ab und Margaret hängte es jeden Morgen stillschweigend wieder auf.

Infolge der Wirtschaftskrise nach Kriegsende verlor Margaret ihre Stelle, fand kurz darauf aber eine neue Arbeit. In dieser Zeit machte sie mit ihrer Schwester Bella einen Urlaub am See Loch Lomond. Zum ersten Mal erlebten die in der Stadt aufgewachsenen Schwestern die Natur. Die Stille und der Vogelgesang liessen Margaret glauben, sie sei im Himmel. Hier gingen sie jeden Tag zur Heiligen Messe und empfingen die Kommunion, was damals nicht üblich war. Als Bella Bedenken äusserte, dass sie nicht fromm genug seien, um so häufig die Kommunion zu empfangen, entgegnete Margaret mit gesundem Menschenverstand: «Wir gehen nicht, weil wir gut sind, sondern weil wir gut sein wollen.» Es war in diesen Ferien, als Margaret ihrer Schwester zum ersten Mal anvertraute, dass sie sich zum Ordensleben berufen fühlte.

1922 wechselte Margaret in die Keksfabrik McVitie's, wo sie zeitweise eine Position in der Gewerkschaft innehatte. Die Fabrik lag weiter weg, sodass sie nach der Frühmesse nicht zur üblichen Danksagung bleiben konnte. Sie holte diese jeweils während der Mittagspause in St.  Cuthbert’s, der nächstgelegenen katholischen Kirche, nach, weshalb sie auf das Essen verzichten musste. Da zu dieser Zeit noch ein striktes Fastengebot vor der Kommunion galt, hatte sie oft fast 20 Stunden nichts gegessen. Diese Erfahrung half ihr später im Kloster, wo es nicht immer genug zu essen gab.

Unglücklich verlobt
In dieser Zeit lernte sie Patrick Lynch kennen. Er hatte sich von der Kirche entfernt, doch Margaret gelang es, ihn zur Rückkehr zum Glauben zu ermutigen. Er verliebte sich in die junge Frau, während sie nur Freundschaft für ihn empfand. An ihrem 21. Geburtstag machte er ihr einen Heiratsantrag und drohte mit Selbstmord, falls sie ihn zurückweisen sollte. Da ihre Eltern von dieser Verbindung begeistert waren, nahm Margaret den Antrag an. Je weiter die Hochzeitsvorbereitungen fortschritten, desto verzweifelter wurde sie, da sie merkte, dass sie nicht zur Ehe berufen war. Schliesslich besprach sie die Angelegenheit mit ihrem geistlichen Begleiter und er riet ihr, die Verlobung zu lösen.

Während eines religiösen Vortrages hatte Margaret von den Klarissinnen gehört und intuitiv gespürt, dass sie dort ihre spirituelle Heimat finden würde. Als sie ihrer Schwester Bella davon erzählte, eröffnete ihr diese, dass sie selbst bei den «Little Sisters of the Poor» eintreten wolle.
 


Die Heimat verlassen, um die wahre Heimat zu finden
Margaret wäre gerne bei den Klarissen (genauer den Colettines) in Edinburgh eingetreten, doch diese nahmen zu jener Zeit keine Kandidatinnen auf. So bewarb sie sich bei den Colettines im fernen Notting Hill, London. Die Schwestern, die vor allem aus der Oberschicht stammten, gingen davon aus, dass für eine Frau aus der Arbeiterklasse mit geringer Schulbildung das achtstündige Singen des lateinischen Stundengebets zu viel wäre und nahmen Margaret deshalb nicht als Klausurschwester, sondern als sogenannte externe Schwester auf.

Am 21. Juli 1923 traf Margaret im Kloster ein. Die Externen erledigten die Einkäufe, hörten Gebetsanliegen an, trösteten Menschen in Not, gingen höflich mit Besuchern der Gemeinschaft und mit Bettlern, Landstreichern und anderen Bedürftigen an der Tür um. Sie bettelten auf dem Markt um Lebensmittel und Gemüse und baten viermal im Jahr in verschiedenen Teilen Londons um Almosen, um die Gemeinschaft zu unterstützen. Anstelle des lateinischen Stundengebetes wiederholten sie das Vaterunser auf Englisch. Sie standen morgens sehr früh auf, um vor Beginn der Arbeit ungestört Zeit für ihr persönliches Gebet zu haben. Trotz dieses harten und entbehrungsreichen Lebens strahlten Margarets Briefe an die Familie Glück und Freude aus. Nach vier Monaten wurde sie eingekleidet und erhielt den Namen Schwester Mary Francis of The Five Wounds (Maria Franziska von den fünf Wunden). Es war das letzte Mal, dass sie ihren Vater sah: Er kam am 27. Dezember des gleichen Jahres bei einem Unfall ums Leben. An ihrer ersten Profess am 14. Februar 1925 konnte niemand von ihrer Familie dabei sein. Doch Schwester Mary Francis war nicht allein – Christus, dem sie ihr Leben gewidmet hatte, war bei ihr.

Die letzten Monate
Wenige Tage später, am 7. März bekam sie Halsschmerzen. Zunächst ging man von einer leichten Kehlkopfentzündung aus. Als sich ihr Zustand nicht besserte, wurde sie erneut untersucht und Tuberkulose diagnostiziert. Vermutlich hatte sie sich beim Betteln angesteckt. Am 9. April trat Schwester Mary Francis ihre letzte irdische Reise in ein Pflegeheim in Warley an, das von den «Sisters of Charity» geführt wurde.

Die Schwestern erlebten Sister Mary Francis als eine Patientin, die immer lächelte, oft auch lachte und sich trotz der grossen Qualen nie beklagte. Eine Krankenschwester schrieb später: «Man sagte ihr, dass sie das tun müsse, und sie war so gehorsam, selbst in den kleinsten Dingen, dass sie ihr Bestes gab [...] aber sie gab sich nie heilig; tatsächlich war es ihre grosse Demut, die mich am meisten beeindruckte.» Sie litt fern von der Gemeinschaft unter Einsamkeit, doch gleichzeitig wuchs ihr Wunsch, ihren Bräutigam Christus zu sehen.

Als sie immer schwächer wurde und ihren Tod kommen sah, bat Schwester Mary Francis darum, in ihrem Ordenskleid sterben zu dürfen. Sie sagte: «Wenn ich eine Seele für Jesus gewinnen kann, ist es das alles wert.» In ihrer Sterbestunde hielt sie ihr Kruzifix und eine Abschrift ihrer Gelübde in den Händen. Sie rief viele Male «Jesus» und die Gebete «Jesus, vergib mir meine Sünden» und «Jesus, Maria und Josef, ich schenke euch mein Herz und meine Seele». Sie starb am Morgen des 24. November 1925.

Heilige der Arbeitslosen
Ihr Leichnam wurde zunächst ins Kloster nach London gebracht und dort beigesetzt. Schon bald nach ihrem Tod geschahen auf ihre Fürsprache viele Heilungen und Gnaden, sodass Schwester Mary Francis immer bekannter wurde. Im Dezember 1927 wurden ihre sterblichen Überreste auf den Friedhof in Edinburgh umgebettet, seit Oktober 2003 ruht ihr Leichnam in einer Kapelle in der Kirche St. Patrick's, in Cowgate, wo sie aufgewachsen war.

1942 wurde der Seligsprechungsprozess für Margaret Sinclair eingeleitet. 1965 wurde in Rosewell, wo Margaret mit ihrer Schwester Bella in den Ferien gewesen war, ein nationales Margaret-Sinclair-Zentrum gegründet. Seit 1978 trägt sie den Titel «Die Ehrwürdige Margaret Sinclair». Im Januar 2015 nahm Erzbischof Leo Cushley die Initiative zur Seligsprechung der ehrwürdigen Margaret wieder auf.

Als Papst Johannes Paul II. während seines Besuchs in Grossbritannien im Jahr 1982 das St. Joseph's Hospice in Rosewell besuchte, schloss er seine Ansprache mit den Worten:

«Margaret könnte man durchaus als eines von Gottes kleinen Geschöpfen bezeichnen, das durch seine Einfachheit von Gott mit der Kraft wahrer Heiligkeit berührt wurde, sei es als Kind, junge Frau, Auszubildende, Fabrikarbeiterin, Gewerkschaftsmitglied oder Ordensschwester.»

Und auf der Webseite der St. Patrick's-Pfarrei heisst es über Margaret Sinclair:

«Sie arbeitete für ihren Lebensunterhalt, war Mitglied einer Gewerkschaft, wusste, was es heisst, entlassen zu werden, und erlebte aufgrund ihres katholischen Glaubens Vorurteile am Arbeitsplatz. Margaret war in die Realitäten des Alltags eingetaucht, konnte jedoch die Gewöhnlichkeit ihres Lebens in die Grundlage einer tiefen Spiritualität verwandeln.»

Margaret Sinclair, Sister Mary Francis of The Five Wounds, beeindruckt dadurch, dass sie immer an dem Platz, wo sie sich gerade befand, nach Heiligkeit strebte – egal ob in der Fabrikhalle oder im Kloster; stets durchdrungen vom starken Vorsatz, Gottes Willen zu erfüllen. Sie ist keine Heilige aus früherer Zeit, sondern «eine von uns».

In den Arbeiterkreisen ihrer Heimat wird sie die Heilige der Arbeitslosen genannt. Viele Arbeitslose fanden Hilfe durch sie, auch Unternehmer, die unter wirtschaftlicher Not litten, sowie Tuberkulosekranke.


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin.


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Bemerkungen :

  • user
    Daniel Ric 26.10.2025 um 07:55
    Vielen Dank für diesen sehr schönen Artikel. Margaret Sinclair ist ein grosses Vorbild, wie man als Christ dort Gutes tun soll, wo man gerade wirkt. Zudem zeigt ihr Leben auf, dass es keinen Widerspruch gibt zwischen dem Bemühen, sich für das irdische Wohl seiner Mitmenschen einzusetzen und Gott zu folgen. Ganz im Gegenteil ist wohl eher jeder Versuch, sich seiner Verantwortung gegenüber dem Nächsten zu entziehen, ein Widerspruch zum gelebten Christentum.