Die kleine Meerjungfrau in Kopenhagen. (Bild: ThomasWolter/Pixabay)

Hintergrundbericht

Mehr als nur Mär­chen – Vor 150 Jah­ren starb Hans Chris­tian Andersen

Bis heute welt­be­rühmt sind die Mär­chen des Dänen Hans Chris­tian Ander­sen. Aber er war mehr als nur der Schöp­fer der klei­nen Meer­jung­frau und der Schnee­kö­ni­gin. Vor 150 Jah­ren, am 4. August 1875, starb der däni­sche Schriftsteller.

Das hässliche Entlein, die kleine Meerjungfrau, die seit 1913 auch in Bronze an Kopenhagens Langelinje Kaj steht, oder die Schneekönigin. Die Märchen von Hans Christian Andersen wurden in weit mehr als 100 Sprachen übersetzt und haben ihn zum weltweit bekanntesten Dänen gemacht. Dabei wäre der Exzentriker aus Odense auf Fünen wohl lieber als erfolgreicher Bühnenschauspieler oder Opernkomponist in die Geschichte eingegangen.

«Mein Schicksal hätte nicht glücklicher und besser geleitet werden können», so schrieb Andersen in seinen beiden Autobiografien. Der dänische Titel «Eventyr og Historier» könnte nicht passender sein. Eventyr heisst Abenteuer; denn aufregend war das Leben des Dänen bestimmt. Aber vielleicht war es auch – zumindest in Teilen – ein Märchen, so die zweite Wortbedeutung von eventyr.

Vom Theater zur Literatur
Seine Geburt rund 70 Jahre zuvor am 2. April 1805 war das Gegenteil von Glanz, Ehre und Berühmtheit. Die Mutter Anne Marie Andersdatter soll später Alkoholikerin gewesen sein; der zehn Jahre jüngere Vater Hans Andersen schaffte es als Schuhmachergeselle kaum, die Familie durchzubringen. 1812 wurde er während der Napoleonischen Kriege Soldat und starb kurz nach seiner Rückkehr erst 34-jährig.

Hans Christian Andersen entdeckte schon früh seine Freude an reisenden Theatergruppen, die regelmässig nach Odense kamen. Ausgestattet mit viel Fantasie und Zähigkeit, brach er mit gerade mal 14 Jahren als blinder Passagier in die Hauptstadt Kopenhagen auf; mit dabei sein Talent als guter Netzwerker. Schon in seiner Heimatstadt hatte er Bekanntschaft mit Künstlern geschlossen, was er – anfangs eher erfolglos – in der Hauptstadt fortsetzte, getrieben vom Wunsch nach einer Theaterkarriere.

Im zweiten Jahr nach seiner Ankunft erhielt er zwar einige Monate nach der Aufnahme an der Ballettschule des Königlichen Theaters eine kleine Statistenrolle, musste aber feststellen, dass es zu mehr nicht reichte. Stattdessen begann er erste Erzählungen und Tragödien zu schreiben, inspiriert von seinen Vorbildern Walter Scott und William Shakespeare. Auch wenn diese zunächst abgelehnt wurden, erweiterte sich sein Bekanntenkreis – und somit jener der finanziellen Unterstützer. Nach seiner Matura im Jahr 1828 veröffentlichte er mehrere Gedichte sowie das Opernlibretto Ravnen (Der Rabe).

Reise- und abenteuerlustig
1831 bricht Hans Christian Andersen zu seiner ersten Auslandsreise auf, die in den Harz und die Sächsische Schweiz führt; viele weitere folgen. «Insgesamt hat er 29 Reisen ausserhalb Dänemarks unternommen und mehr als neun Jahre ausserhalb seines Heimatlandes verbracht», so der Bremer Kunsthistoriker Detlef Stein.

Begeisterung, Neugier und Inspiration müssen enorm gewesen sein: Im Harz sieht Andersen erstmals Berge; er reist bis nach Nordafrika, auf den Balkan, in die Türkei und Schweden. «Es gibt kaum jemanden, der so viel gesehen hat», sagt Detlef Stein. Die Aufenthalte werden mit besonderen Besuchen verbunden. In Weimar lernt er den sächsischen Grossherzog Carl Friedrich und dessen Sohn Carl Alexander kennen. In Zürich trifft er Richard Wagner. Andersen besucht Theater- und Opernaufführungen, Pariser Salons und zweimal auch die Weltausstellung.

Hans Christan Anders liebte Italien und besonders die Ewige Stadt. 1833 besuchte er erstmals Rom. Er lebte in der Via Sistina Tür an Tür mit der deutsch-skandinavische Bohème: die Malerin Angelica Kaufmann, ihr Kollege Franz Lenbach und der Bildhauer Bertel Thorvaldsen, die Schriftstellerin Fanny Lewald, die Komponisten Edvard Grieg und Franz Liszt.

Wie beliebt vor allem Andersens Kinderbücher in Italien sind, zeigt der seit 1982 verliehene «Premio Andersen»: Die Auszeichnung ehrt Autoren, Herausgeber, Übersetzer und Illustratoren von Kinderbüchern. Dazu ist eine eigene Fachzeitschrift «Andersen – Il mondo dell'infanzia» («Die Welt der Kindheit») nach dem Dichter benannt. Und zwischen 5.30 Uhr früh und 2.00 Uhr nachts fährt die Linie 916 quer durch Rom, auf dem Busschild steht in Grossbuchstaben: «Andersen». Sie zirkuliert von der zentralen Piazza Venezia im Herzen der Stadt bis zur Endhaltestelle «Via Andersen».
 


Nicht immer mit Happy End
Doch bekannt ist Hans Christian Andersen vor allem durch seine Märchen. Oft las er sie in den Häusern wohlhabender Familien vor und fertigte parallel dazu einen Scherenschnitt an, die wohl zumeist für die Kinder der Gastgeber gedacht waren. Allerdings: Es sind längst nicht nur Geschichten für Kinder mit glücklichem Ende. Das Mädchen mit den Schwefelhölzern stirbt einen Erfrierungstod. Die kleine Meerjungfrau kommt nicht zu ihrem Prinzen. Trotzdem wirken sie auch versöhnlich.

«Des Kaisers neue Kleider» ist wohl eines der bekanntesten Märchen des dänischen Schriftstellers und verliert nie an Aktualität: Am Hofstaat eines eitlen Kaisers tauchen eines Tages zwei Weber auf und behaupten, sie könnten ihm einzigartige neue Kleider anfertigen: Diese seien nicht nur sehr prächtig; es könne sie ausserdem niemand sehen, der dumm sei oder für sein Amt nicht tauge. Die Weber tun nun so, als webten sie – freilich auf leeren Webstühlen; und sie verlangen für ihre vermeintliche Arbeit immer mehr Geld. Natürlich können weder des Kaisers Minister noch er selbst die angeblich so wunderbaren Stoffe auf den Webstühlen sehen. Weil das aber niemand eingestehen möchte – man wäre ja dumm oder unfähig – loben alle ihre vermeintliche Pracht.

Bei einem Festumzug führt der Kaiser dann erstmals seine neuen Kleider vor. Die Bevölkerung, inzwischen auch über die angeblichen Fähigkeiten der Kleider informiert, jubelt dem Unbekleideten zu – bis ein kleines Kind ruft: «Der Kaiser hat ja gar nichts an!» Das ganze Volk johlt, der Kaiser zieht die Sache aber trotz der Blamage bis zum bitteren Ende durch.

Das Märchen zeigt, wie Eitelkeit und Gruppenzwang die Wahrnehmung der Realität verzerren können: Aus Angst um die eigene Position getraut sich niemand, die Wahrheit, das Offensichtliche auszusprechen. Das Märchen ist heute noch aktuell, da es Themen wie Manipulation, Gruppenzwang und soziale Konformität anspricht.

In einer Welt, in der Meinungen oft durch soziale Medien oder gesellschaftliche Normen beeinflusst werden, zeigt das Märchen die Bedeutung unabhängigen Denkens. Es erinnert daran, wie wichtig es ist, die Wahrheit zu suchen und sie mutig auszusprechen – ohne Angst vor möglichen Konsequenzen.

In diesem Sinn ist «Des Kaisers neue Kleider» ein christliches Märchen, da es aufzeigt, dass echte Gemeinschaft und damit verbunden wahrer Friede nur auf der Wahrheit aufgebaut werden kann.


KNA/Redaktion


Kommentare und Antworten

×

Name ist erforderlich!

Geben Sie einen gültigen Namen ein

Gültige E-Mail ist erforderlich!

Gib eine gültige E-Mail Adresse ein

Kommentar ist erforderlich!

Captcha Code Kann das Bild nicht gelesen werden? Klicken Sie hier, um zu aktualisieren

Captcha ist erforderlich!

Code stimmt nicht überein!

You have reached the limit for comments!

* Diese Felder sind erforderlich.

Bemerkungen :

  • user
    Anna 27.07.2025 um 07:17
    Schöner, erbauender Bericht! Danke!