Was kaum jemandem bekannt ist: Mitten in diesem sogenannten «Kostendämpfungspaket» sind kostenausweitende Massnahmen versteckt. Von einem trojanischen Pferd zu sprechen, liegt da geradezu auf der Hand. Im Klartext: Neu sollen für Abtreibungen sämtliche Kostenbeteiligungen gestrichen werden, also auch Franchise und Selbstbehalt, wie das für Leistungen bei Mutterschaft ab der 13. Schwangerschaftswoche bereits heute der Fall ist. Dies im Gegensatz zu anderen medizinischen Leistungen, welche immerhin von einem Arzt verordnet werden müssen.
Auf Nachfrage teilte der Sekretär der zuständigen «Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit» (SGK) dem Schreibenden mit, dass er davon nichts wisse. Eine gründliche eigene Nachforschung hat dann aber doch einiges zu Tage befördert: Bereits in der ursprünglichen, vom Bundesrat eingereichten Version dieses «Sparpakets» vom 7. September 2022 wurde diese Idee auf Anregung des Bundesamts für Gesundheit (BAG) «eingebaut», und zwar so gut verpackt, dass es kaum jemandem aufgefallen ist.
Im revidierten Artikel 64, Absatz 7, Buchstabe b des Krankenversicherungsgesetzes soll es nun gemäss «Fahne» (=Entwurfstext, den die Räte im Moment der Debatte vor sich haben) neu heissen:
«Für folgende Leistungen darf der Versicherer keine Kostenbeteiligung erheben:
(...)
b. Leistungen nach den Artikeln 25, 25a, 27, 28 und 30, ab Beginn der durch Ärzte und Ärztinnen oder Hebammen bestimmten Schwangerschaft, während der Niederkunft und bis acht Wochen nach der Niederkunft oder dem Ende der Schwangerschaft erbracht werden.»
Wichtig zu wissen ist dabei: Der Artikel 30 definiert die Kostenübernahme der Abtreibung durch die Krankenversicherung zu den gleichen Bedingungen wie für «Krankheit», bisher allerdings noch mit Kostenbeteiligung.
Zunächst einmal das Gute an dieser Revision: Es soll von Frauen mit Fehlgeburten keine Kostenbeteiligung mehr verlangt werden und bei Leistungen in der Schwangerschaft ab Feststellung derselben ebenfalls nicht. Das ist nach unserer Einschätzung vollkommen in Ordnung und entspricht einer längst überfälligen Revision.
Dass nun aber unter dem Deckmantel namens «Kostendämpfungspaket»(!) neu auch Abtreibungen komplett von der Kostenbeteiligung befreit werden sollen und sogar die ersten acht Wochen einer allfälligen Behandlung von Abtreibungskomplikationen, zeugt von einer gehörigen Portion Unverfrorenheit, verletzt den für einen Rechtsstaat unverzichtbaren Grundsatz von Treu und Glauben.
Hier die Begründung des Bundesrats aus seiner Botschaft vom 7. September 2022 zum ganzen Kostendämpfungspaket:
«Es erscheint aus rechtlicher Sicht zudem schwierig, zwischen den Schwangerschaftsabbrüchen nach der 23. Schwangerschaftswoche und denjenigen zwischen der 13. und der 22. Schwangerschaftswoche zu unterscheiden: Schwangerschaftsabbrüche, Tot- oder Fehlgeburten, die nach der 23. Schwangerschaftswoche erfolgen, gelten im Sinne des Gesetzes nämlich als Entbindung (vgl. Art. 105 Abs. 2 KVV) und sind nach Artikel 64 Absatz 7 Buchstabe a KVG von der Kostenbeteiligung befreit. Zudem übernimmt bei straflosem Schwangerschaftsabbruch nach Artikel 119 des Strafgesetzbuches die OKP[1] die Kosten für die gleichen Leistungen wie bei Krankheit. Die Krankenversicherer sind dabei nicht befugt, die Rechtmässigkeit eines straflosen Schwangerschaftsabbruches in Frage zu stellen.” (Quelle: https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2022/2427/de)
Zynisch rechnet der Bundesrat dann noch vor, dass gemäss einer Umfrage, welche er bei zehn Krankenkassen durchführte, die Kostenbeteiligung für Abtreibungen bis zur 13. Schwangerschaftswoche «nur» 2,9 Millionen Franken pro Jahr und die Kostenbeteiligung nach der 13. Woche «nur» 1,8 Millionen Franken ausmache.
Das diesem Manöver zugrunde liegende «politische Rezept» ist perfid: Man nehme eine gute Zutat zum Menu (Streichung der Kostenbeteiligung bei Fehlgeburten über die ganze Zeit der Schwangerschaft) und mische ihm mit dem Argument der schwierigen «Differenzierung» einfach noch die Kostenbefreiung der Abtreibung bei, damit man zum gewünschten Ziel kommt: Abtreibung soll künftig komplett gratis zugänglich sein.
Das ist zweifellos kein Schritt hin zu einer Abtreibungsprävention und zu einer Senkung der steigenden Abtreibungszahlen in der Schweiz. Damit können beispielsweise Jugendliche ohne Wissen und Einwilligung der Eltern noch leichter abtreiben.
Leider betrifft dieses Mal die Kritik, dem Versteckspiel des Bundesrates nicht rechtzeitig auf die Schliche gekommen zu sein, auch die schlafenden Politiker, welche für Lebensrechtsfragen normalerweise noch offen sind und die Lebensschutzorganisationen.
Quellen
22.062 Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Massnahmen zur Kostendämpfung – Paket 2) vom 7. September 2022
https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2022/2427/de
«Fahne» der letzten Nationalratsdebatte: https://www.parlament.ch/centers/eparl/curia/2022/20220062/N3%20D.pdf
Telefonate mit dem Sekretariat der SGK-Kommission
[1] Obligatorischen Krankenpflegeversicherung.
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Das Gesundheitswesen krankt auch sonst ganz allgemein.
Wurde z. B. schon einmal geprüft, ob die Medikamente nicht viel zu grosszügig verschrieben, deren Wirksamkeit (und gegenseitigen Kontraindikationen) beim Patienten überprüft und der Ablauf der Laufzeit der Rezepte strikte überwacht werden oder gar "lebenslängliche" Rezepte ausgegeben werde? Die normalen Apotheken scheinen sich hier viel sorgfältiger zu verhalten. Dringender Überrpüfungbedarf gibt es m .E. bei den "Apotheken", welche die Ärzte (als Nebenerwerb?) selber führen.
Auch die überbordende Spezialisierung dürfte ein Kostenfaktor sein. Die Hausärzte werden immer mehr von Allgemeinpraktikern zu Triagestellen und Medikamentenverkaufsstellen degradiert.