Symbolbild. (Bild: hickory hardscrabble/Flickr, CC BY 2.0)

Kommentar

Miss­brauch ist … wenn eine Frau aus dem Evan­ge­lium vorliest

Dass der Begriff «Miss­brauch» sei­ner­seits miss­brauchs­an­fäl­lig ist, weiss man spä­tes­tens seit der Pilot­stu­die zu sexu­el­lem Miss­brauch in der Katho­li­schen Kir­che. In einem aktu­el­len Zei­tungs­bei­trag wird die­ser Begriff voll­ends ad absur­dum geführt.

Am 12. September 2023 wurde die Pilotstudie zu sexuellem Missbrauch veröffentlicht. Am gleichen Tag gab die «Katholische Kirche im Kanton Zürich» bekannt, dass sie auf ihrer Webseite ein Meldesystem für Fehlverhalten im kirchlichen Umfeld startet. Dieses ist ein niederschwelliges und seit November 2023 gänzlich anonymes Meldesystem für Hinweise auf mögliche Vorfälle oder Verdachtsfälle von Fehlverhalten im kirchlichen Umfeld.

«Rund 50 Missbrauchsfälle gemeldet. Über eine anonyme Meldeplattform der katholischen Kirche Zürich können Betroffene von Übergriffen berichten», so lautete der Titel und Lead eines Beitrags im «Tages Anzeiger» vom 7. September 2024, in dem Synodalratspräsident Raphael Meyer Auskunft gab.

Zu Beginn ging beinahe täglich eine Meldung ein, ab Oktober 2023 habe sich die Zahl auf eine Meldung pro Woche reduziert. «Es wurden physische, psychische sowie sexuelle Übergriffe gemeldet», so Raphael Meyer. Doch alle 50 mutmasslichen Übergriffe lägen schon viele Jahre zurück.

Im Verlauf des Berichts erfährt der Leser, dass es sich von den 50 im Titel angekündigten Missbrauchsfällen nur bei vier gesichert um sexuelle Übergriffe handelt.

Da in vielen Fällen die Meldungen nicht klar formuliert sind und Klärungsbedarf besteht, muss die kirchenunabhängige Juristin und GLP-Kantonsrätin Andrea Gisler nachfragen. Doch da etwas die Hälfte der Meldungen anonym eingehen, können die Personen «danach nur indirekt kontaktiert werden». Einige Meldungen würden den «Kern der Sache nicht ganz treffen», so Andrea Gisler. Paradebeispiel: «Eine Person beschwerte sich darüber, dass das Evangelium von einer Frau verlesen wurde». Wie bitte? Nicht ganz getroffen? Voll daneben! Eine allfällige Verletzung liturgischer Vorschriften hat mit Übergriffen im hier verstandenen Sinne nichts zu tun. Dieser Person muss immerhin zugutegehalten werden, dass sie sich durch die Webseite «Kirche schaut hin» in die Irre führen liess. Deren Lockvogel-Slogan mit seiner schwammig-diffusen Formulierung «Meldungen von Fehlverhalten im kirchlichen Umfeld» verleitet geradezu zu solchen Falschmeldungen.

Dieser Beitrag zeigt zweierlei: Erstens gieren gewisse Medien konstant danach, in Sachen «de sexto» weiterhin möglichst skandalträchtige Schlagzeilen zu produzieren («50 Missbrauchsfälle» obwohl es sich nur in vier Fällen gesichert um einen sexuellen Übergriff handelte). Dieser offensichtlich unwiderstehlichen Versuchung kommt es – zweitens – bestens zupass, wenn wie tatsächlich der Fall der Begriff «Missbrauch» ins schier Uferlose ausgedehnt wird.

Gemäss der Statistik «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» der Schweizer Bischofskonferenz gehören dazu Vergewaltigung, Schändung, sexuelle Handlungen (ohne Beischlaf und Vergewaltigung), sexuelle Nötigung, Beischlaf im Rahmen eines Abhängigkeitsverhältnisses, Abhängigkeitsverhältnis zwischen Opfer und Täter, andere sexuelle Belästigungen wie Sexting, Social Media usw., sexuell gefärbte Äusserungen, sexuell gefärbte Gesten und unerwünschte Avancen, unangebrachte Berührungen. Ob unter diese Definition auch das Kompliment eines Reporters des Schweizer Fernsehens zu subsumieren ist? Diesem entwischte an den Olympischen Spielen in Paris nach einem gelungenen Einsatz der Stabhochspringerin Alysha Newman der Satz «Schön ist sie» – und handelte sich prompt den Vorwurf des Sexismus ein.

Angesichts der vorstehend geschilderten Meldung einer das Evangelium vorlesenden Frau stellt sich die bange Frage, wie viele solcher Phantom-Missbräuche sich unter den in der Pilotstudie behaupteten, aber nicht dokumentierten 1002 Missbrauchsfälle befinden.


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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    Meier Pirmin 09.09.2024 um 18:13
    Vermisse im Gegensatz zu cath net von hier eine Stellungnahme zum Fall Amieti. Die Stellungnahme des Jesuten Hiestand konnte mich nur zum Teil überzeugen, nämlich mit dem Hinweis auf massives Unwissen nicht nur von Seiten der Politikerin Amieti, bei welcher aber der brutale kulturkämpferische Impuls nur zum Teil mit Unwissen erklärt werden kann, wobei aber aus muslimischer Sicht eine solche Aktion wohl kaum deren Glaubensverständnis entspricht. Die Aktion ist entgegen von Hiestands Meinung als Provokation keineswegs das Gegenteil des Skandals von Paris, dessen Grundlagen freilich noch viel fataler sind, wenngleich natürlich nicht ganz so plump, nämlich gewaltorientiert, präsentiert wie bei Amieti. Befasse mich seit 50 Jahren mit der Semiotik der Gotteslästerung. Im Fall Amieti wäre eine Stellungnahme der Muslime oder muslimicher Organisationen aus meiner Sicht übrigens unabdingbar. Sie sind freilich Weltmeister im Sich-nicht-Distanzieren.
  • user
    Claudio Tessari 09.09.2024 um 13:38
    Die Liturgischen Missbräuche sind leider im deutschsprachigen Raum keine Seltenheit mehr. Obwohl, der heilige Papst JPII im Schreiben Redemptionis sacramentum ganz klar nochmals dargelegt hat, was alles verboten ist, interessiert das leider viele nicht. Ob diesen Priestern (haben die Verantwortung über die Liturgie) bewusst ist, dass sie den Gläubigen ihre Rechte auf eine würdige Liturgie berauben, weiss ich nicht.

    https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/ccdds/documents/rc_con_ccdds_doc_20040423_redemptionis-sacramentum_ge.html
    • user
      Stefan Fleischer 09.09.2024 um 15:43
      Leider geschieht dies oft in allerbester Absicht, wie ich klürzlich erlebte, als der Priester die offizielle Segensformel für den Wettersegen durch eine eigene Variante ersetzte, welche besser zu seinen übrigen Bemerkungen inerhalb der Heiligen Eucharistie passte. Eine Kleinigkeit, könnte man meinen. Aber "Wehret den Anfängen!" Wenn vogeschriebene Segensformeln beiebig verändert werden dürfen, warum dann nicht auch z.B. die Wandlungsworte?
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        Martin Meier-Schnüriger 13.09.2024 um 14:29
        In seinem Begleitschreiben zu "Traditionis Custodes" erwähnt Papst Franziskus die zahlreichen Missbräuche, die bei der Eucharistiefeier im "neuen" Ritus vorkommen und bedauert sie - leider ohne konkrete Schritte dagegen einzuleiten. Was Zelebranten dazu bewegt, das Messbuch zu "korrigieren", kann nur vermutet werden. Die einen stossen sich an der liturgischen Sprache und formulieren die Texte in Alltagssprache um, ohne dabei zu berücksichtigen, dass ein sakraler Text etwas anderes ist als ein Zeitungsartikel oder ein Trivialroman. Die andern haben Mühe mit gewissen theologischen Aussagen und verändern sie oder lassen sie ganz weg. Und dann gibt es noch jene, die es einfach nicht vertragen, dass da jemand ihrer Kreativität Grenzen setzt; diese verändern ohne ersichtlichen Grund, nur um des Veränderns willen. Selbst an sich treu katholische Priester sind nicht ganz gefeit gegen die Versuchung zur Abänderung. Schade! Denn die Treue zur Kirche zeigt sich gerade in der Treue zu ihrer authentischen Liturgie.