Wilhelm Busch: Lehrer Lämpel aus Max und Moritz (Wikipedia).

Kommentar

Miss­brauchs­fälle: Bitte keine deut­sche Klugscheisserei

«Ein gros­ser Gewinn für unsere Wirt­schafts­be­richt­er­stat­tung», froh­lockte der inzwi­schen abge­half­terte Sobli-​Chefredaktor Gieri Cavelti über sei­nen neuen Redak­ti­ons­kol­le­gen Raphael Rauch.

Dieser kommentierte seinen Seitenwechsel wie folgt: «Ich freue mich auf die neue Herausforderung und auf das Wirtschaftsressort des SonntagsBlicks. Wer die Welt verstehen will, kommt um das Thema Geld nicht herum. Ich möchte komplizierte Zahlen in guten Geschichten erzählen und investigativ recherchieren.» In der Tat gibt es da Baustellen im Überfluss. Dringend der näheren Abklärung bedürften, um nur ein Beispiel zu nennen, die genauen Umstände des Zugsunglücks im Gotthard-Eisenbahntunnel vom vergangenen August. Gemäss Recherchen der SonntagsZeitung war es schadhaftes Rollmaterial der Deutschen Bundesbahn, welches die Millionen kostende Entgleisung des Güterzuges verursachte.

Doch nichts von alledem, «Wirtschaftsredaktor» Rauch geht lieber fremd. Vergangenen Sonntag war es wieder so weit: In grosser Aufmachung machte er ein Schreiben des von ihm als Whistleblower bezeichneten Nicolas Betticher publik. In diesem an Nuntius Martin Krebs gerichteten Schreiben erhob Betticher schwere Vorwürfe gegen amtierende und ehemalige Bischöfe: sie reichen von Vertuschungsvorwürfen bis hin zu sexueller Belästigung. Nach der Weiterleitung dieses Schreibens an den Vatikan mandatierte dieser Bischof Joseph Bonnemain mit einer kirchenrechtlichen Voruntersuchung.

Wer ist dieser Whistleblower?
Ja, wer ist dieser Whistleblower? Gemäss kath.ch war Betticher Sprecher der Schweizer Bischofskonferenz und kurzzeitiger Mitarbeiter von Bundesrätin Ruth Metzler, bevor er Kanzler und Generalvikar des Bistums Lausanne, Genf und Freiburg wurde. Was kath.ch verschwieg: Betticher präsidierte vorher die CVP-Fraktion im Freiburger Kantonsparlament. Liebend gerne wäre er Kanzler der Regierung geworden, noch gerner Mitglied der Regierung selbst, doch davon wollte seine Partei nichts wissen.

Frustriert warf Betticher in der Folge den Polit-Bettel hin und entschied sich – Freund und Feind überraschend – für den geistlichen Stand. In einer Blitzkarriere vorbei an der Ochsentour und unter Protest so mancher Kleriker landete Betticher unvermittelt ganz oben in der diözesanen Hierarchie. In der Endphase des Episkopates von Bernard Genoud positionierte er sich hör- und sichtbar für dessen Nachfolge. Der Westschweizer Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, Christophe Büchi, nannte ihn als einen der Topfavoriten für das Bischofsamt. Doch zu seinem Verdruss machte das Rennen ein anderer: Charles Morerod. Dieser gab ihm aus nachvollziehbaren Gründen umgehend zu verstehen, dass er sich eine andere Diözese als Arbeitgeber suchen müsse. Seit seinem Rauswurf führt Betticher einen unablässigen Rachefeldzug gegen Bischof Morerod. Bezeichnenderweise betreffen die von Betticher erhobenen Vorwürfe zum überwiegenden Teil Kleriker des von Bischof Morerod geleiteten Bistums Lausanne, Genf und Freiburg. Als infam müssen die gegen hochintegre Persönlichkeiten wie den Erzischof Jean-Claude Périsset, den ehemaligen Nuntius in Berlin, und Bischof Peter Bürcher gerichteten Unterstellungen bezeichnet werden. Es bleibt zu hoffen, dass Bischof Bürcher seine Ankündigung, Strafanzeige wegen Verleumdung einzureichen, in die Tat umsetzen wird.

Bleibt die Frage, wer dieses der Geheimhaltungspflicht unterliegende Schreiben an den SoBli weitergereicht hat. Betticher selbst will es nicht gewesen sein. Glauben macht selig.

Germania docet
Die Ergebnisse der Pilotstudie werden morgen Dienstag, den 12. September 2023, der Öffentlichkeit präsentiert. So lange mochte die deutsche kath.ch-Journalistin Annalena Müller nicht zuwarten. Noch am Tag der SoBli-Publikation verlangte sie, die betroffenen Bischöfe müssten bis zum Abschluss der Voruntersuchung ihr Amt ruhen lassen. Dies verlange allein schon der Anstand. Ein Brechreizgefühl macht sich da breit, wenn ausgerechnet das Medienportal kath.ch «Anstand» einfordert, das – um nur ein Beispiel zu nennen – unmittelbar nach dem Tod von Papst Benedikt XVI. mit der Veröffentlichung primitivster Karikaturen einen absoluten Tiefpunkt in der hiesigen kirchlichen Publizistik markiert hatte.

Es sei hier klargestellt: Vergehen und Verbrechen sind ohne Ansehen der Person zu ahnden. Aber es geht nicht an – immerhin leben wir hier in einem Rechtsstaat –, dass Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs – es handelt sich rechtsstaatlich gesehen dabei um Parteibehauptungen – vorgängig einer gerichtlichen Verifizierung unbesehen als bereits bewiesene Tatsachen bzw. Straftatbestände verkauft werden.

Die aus dem grossen Kanton stammende Jacqueline Straub, Chefin vom Dienst bei kath.ch, bietet ihrerseits ihren Landsmann Hans Zollner zur Stellungnahme auf. Dessen Ferndiagnose gipfelt in der Forderung, die Bischöfe sollen zuhören und akzeptieren, was gesagt wird: «Sie sollten sich auf keinen Fall in die wissenschaftlichen Befunde einmischen.» Wie bitte? Eine wissenschaftliche Studie ex ante analog der Offenbarung der zehn Gebote auf dem Berg Sinai als sakrosankt zu deklarieren, sie gleichsam unter intellektuellen Denkmalschutz zu stellen, ist so ziemlich das Unwissenschaftlichste, was sich denken lässt. Auch diese Studie wird sich der kritischen Analyse der wissenschaftlichen Community stellen müssen.

Selbstverständlich musste auch SoBli-«Wirtschaftsredaktor» Rauch Lehrer Lämpel spielen. Es ist schon grotesk, wenn ein Mann, der es geschafft hat, dass innerhalb von gerade mal zwei Jahren die von ihm geführte kath.ch-Redaktion vom Schweizer Presserat zweimal wegen eklatanter Verstösse gegen die journalistischen Standesregeln gerügt werde musste (vgl. swiss-cath.ch «Erneute Rüge des Schweizer Presserates: Der Anfang vom Ende für kath.ch?»), in extenso mit Schuldzuweisungen und Belehrungen aufwartet. In völliger Ignoranz der Schweizer Rechtsordnung, aber ebenso völlig konform zur typisch deutschen Obrigkeitsfixierung, fordert Rauch einen Eingriff der Bundesräte Cassis und Berset. Letzteren nimmt er in die Pflicht, indem er ihm in Verkennung der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen den Titel «Religionsminister» andichtet. Schliesslich hätten die Aufsichtsorgane, sprich die Kantonalkirchen, versagt.

Ab solchem Nonsens eines Nordlichtes bleibt im Sinne der Diversität nur noch der Hilferuf: Gibt es Österreicherinnen, Italiener oder Franzosen, die sich bemüssigt fühlen, in dieser Causa in der Schweiz für Ordnung zu sorgen? Sachdienliche Hinweise nimmt swiss-cath.ch unter der Telefonnummer 077 414 28 98 oder jede nahegelegene Polizeidienststelle dankbar entgegen.


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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    Meier Pirmin 14.09.2023 um 11:48
    Gieri Cavelty war ein flächendeckend gescheiterter ehem. Schüler der KS Beromünster (Details unterliegen der Verschwiegenheit, ich bin nicht Aiwangers Lehrer), dann auch bei NZZ als Mitarbeiter unfähig, den Pädophilenfall Federer im Zusammenhang mit der NZZ auch nur anfängerhaft zusammenzufassen, bei Aargauer Zeitung gescheitert, zuletzt beim Sonntagsblick, hoffe, dass er es jetzt als Lehrer schafft, ist bei ehem. Fällen wie er nicht ausgeschlossen. Herrn Bischof Bonnemain hörte ich zuletzt als Prediger der Naefelser Fahrt, grundsatzpolitisch eindrücklich, aber ohne historisch kritische Kenntnis sowohl der damaligen Schlacht als auch der Schweiz. Neutralität, wobei ihm aber nicht übel zu nehmen ist, die Ukraine nun mal aus der Sicht eines in Einsiedeln aufgetretenen uniierten Bischofs zu sehen, die andere Seite z.B. mit dem Kloster in Kiew wäre da zu viel verlangt gewesen, wiewohl ein Grund mehr für CH Neutralität oder meinetwegen die Sicht des Papstes, der theoretisch besser informiert sein müsste als die Mehrheit der Bischöfe und der hoffentlich weiss, was auf dem Spiele steht.

    Missbrauch: Wirklich ist der gründlich aufgearbeitete Einzelfall, worin ich bei Heinrich Federer mehrere Jahre und ein halbes Leben investierte und wie sogar beim Zölibatssünder Jakob Joseph Odermatt, schwerster Fall der Schweizergeschichte, als unabhängiger Forscher bei Anfragen an bischöfliche Archive ebenso abgewiesen wurde als in ZH Stadtarchiv z.B. wegen "Sperrfrist bis 2042" behindert. Befasse mich mit dieser Thematik seit genau 55 Jahren und bin für den Gesamtüberblick Schweizer Kirchengeschichte sicher stärker eingearbeitet als die jungen Historikerinnen, deren Arbeit ich aufgrund der mir verwehten Akteneinsicht respektiere, wiewohl in dieser kurzen Zeit nur von provisorischen Ergebnissen die Rede sein kann. Dass mir zuletzt Herr Gracia mitteilte, dass man in Chur nicht einsehe, dass ich dort Akteneinsicht nehmen dürfe, war nicht seine persönliche Verantwortung. Meine Arbeit zu diesen Themen wurde von den kath. Bildungshäusern über Jahrzehnte boykottiert. An einem Artikel, für den Aargauer Zeitung und angeschlossene Wannerblätter ursprünglich Interesse zeigten, erfüllte die Erwartungen der Redaktion nicht, u.a. wegen Hinweis auf die Problematik von Kampagnen und die Art, wie dieses Thema schon im 3. Reich aufgegriffen wurde, leider nicht nur auf der Basis von Verleumdungen, wobei aber die Endabrechnung mit der kath. Kirche auf die Zeit nach dem "Endsieg" verschoben wurde.

    Ich bin mir aber bewusst, dass ich es schon mit meinen Bruder-Klaus-Forschungen, bisher 60 Jahre ununterbrochen, es selbst auch den Frommen und Getreuen nicht recht machen konnte. Immerhin wurde ich im vergangenen Jahr erstmals offiziell in den Ranft als Referent eingeladen. Zu meinen engsten Weggefährten in der Forschung gehörten indes der verstorbene Kirchenhistoriker Victor Conzemius sowie Prof. Markus Ries und der kritisch-historische Bruderklaus-Forscher Roland Gröbli.
  • user
    Martin Meier-Schnüriger 12.09.2023 um 12:58
    Dank swiss-cath.ch wissen wir nun, wer der Verfasser jenes ominösen Schreibens ist, das Ende Mai an den Nuntius in Bern ergangen ist. Weitere Fragen drängen sich auf: Warum dauerte es fast vier Monate, bis die Öffentlichkeit von diesem Schreiben erfuhr? Warum wurde, anders als sonst üblich, nicht ein aussenstehender Bischof mit der Untersuchung dieses Falles betraut, sondern mit Joseph Maria Bonnemain gewissermassen ein "Richter in eigener Sache", der überdies mit seinem "Verhaltenskodex" in Sachen Missbrauch eine denkbar schlechte Figur abgab? Wird sich die Untersuchung auch auf jene Fälle erstrecken, in denen die Vertuschung nicht von kirchlichen Amtsträgern ausging, sondern von Laiengremien oder sogar von den Medien? Dass die Missbrauchsbombe gelegentlich auch in der Schweiz explodieren würde, war zu erwarten. Hoffen wir, dass die Untersuchung nicht zur Abrechnung verkommt, sondern in erster Linie den Opfern von Missbrauch dient.