Schliesslich handelten auch viele Sagen aus der heidnischen Antike davon, dass Götter sterbliche Frauen «geschwängert» (sic!) hätten. Wörtlich: «Warum darf er nicht der leibliche Vater von Jesus sein? Passt Sexualität nicht zum Göttlichen? (...) Josef und Maria Kinder Gottes wie wir. Gott traut uns viel zu – wir müssen nur zu denken wagen und vieles, was in der Bibel steht, als Bilder mit tiefem Sinn zu verstehen suchen. Das hat Josef Ratzinger gemeint, als er die Jungfrauengeburt als biblisch zeitgemäss, aber für uns heute als interpretierungswürdig gesehen hat. Später hat er sich davon distanziert. Warum auch immer – schade.»
Obwohl in diesem Text eine eindeutig häretische, d.h. nicht der Lehre der katholischen Kirche entsprechende These vertreten wird, hat sich die Redaktion der erwähnten Postille weder vom Inhalt der Kolumne distanziert noch die übliche Floskel angefügt, der Kommentator gebe nur seine persönliche Meinung wieder.
Höchst interessant ist, dass sich jener Kommentator auf niemand geringeren bezieht als auf Joseph Ratzinger, den nachmaligen Papst Benedikt XVI. Kann es wirklich sein, so fragt man sich irritiert, dass ausgerechnet Papst Benedikt die jungfräuliche Empfängnis und Geburt Jesu in Zweifel gezogen, bzw. als Metapher verstanden hat? Wer sich auch nur ansatzweise mit der Theologie Ratzingers beschäftigt, muss diese Frage mit einem klaren Nein beantworten. Denn im Gegensatz zum erwähnten Kommentator hat Joseph Ratzinger, auch in seinen jungen Jahren, zwar modern, aber nicht modernistisch gedacht und gelehrt.
Worin liegt der Unterschied? Kurz gesagt könnte man das so erklären: Der modern denkende Gläubige anerkennt durchaus die Notwendigkeit der «ecclesia semper reformanda», der immer neu in die jeweilige Zeit hineinzusprechenden, aber immer gültigen göttlichen Wahrheit. Der modernistisch gesinnte Mensch dagegen leugnet a priori diese immer gültige, gleich bleibende göttliche Wahrheit.
Bezogen auf die Menschwerdung Jesu hiesse das: Dass Jesus durch das Wirken des Heiligen Geistes in Maria Mensch wurde, ohne Beteiligung eines Mannes, ist eine Glaubenswahrheit, die heute genau so gültig ist wie in der Spätantike, dem Hochmittelalter oder zur Zeit der Aufklärung. Hingegen erfordert es die theologische und pastorale Klugheit, diese Glaubenswahrheit so zu verkünden – in den Worten Joseph Ratzingers: zu interpretieren –, dass sie von den jeweiligen Hörern verstanden werden kann. Das ist mitunter eine hohe Kunst, die der «Mozart der Theologie» jedoch wie kein zweiter verstanden hat.
Der zweifellos einfachere, aber dem Glauben nicht gerecht werdende modernistische Ansatz besteht demgegenüber darin, das Wunder von Nazareth schlichtweg ins Reich der Legenden zu verbannen. Doch daraus ergeben sich Fragen: Wem dient ein solcher Ansatz? Führt er mich wirklich näher zu Gott, als wenn ich die biblische Erzählung so nehme wie sie ist? Und wo hört das auf? Wenn Jesus nicht so Mensch wurde, wie es Matthäus und Lukas berichten, sind womöglich nicht auch seine Wunderheilungen, ja sogar seine Auferstehung nur symbolisch zu verstehen? Wird Jesus so nicht zu einem zwar vorbildlichen, aber letztlich gescheiterten jüdischen Wanderprediger herabgestuft, der für uns heutige Menschen nur noch bedingt von Belang ist?
Der hl. Paulus bringt es im 1. Korintherbrief auf den Punkt: «Wenn wir allein für dieses Leben unsere Hoffnung auf Christus gesetzt haben, sind wir erbärmlicher daran als alle anderen Menschen.» (1 Kor 15,19) Doch genau das macht der modernistisch denkende Mensch: Er setzt seine Hoffnung praktisch ausschliesslich für dieses Leben auf Christus. Mit den Worten von Kurt Marti, dem bekannten Berner Theologen und Schriftsteller: «Es gibt ein Leben vor dem Tod.» Was nach dem Tod kommt, interessiert den modernistisch denkenden Menschen nicht besonders. Folgerichtig sieht er die Aufgabe der Kirche nicht mehr darin, die Menschen zum ewigen Heil zu führen, sondern darin, ihnen ein möglichst angenehmes irdisches Leben zu verschaffen. Dass es dazu weder Priester noch Sakramente braucht, liegt auf der Hand. Und wenn schon Priester, dann therapeutisch wirkende, gut bezahlte Kirchenfunktionäre, die selbstverständlich auch Funktionärinnen sein dürfen und sich ja nicht einem so unnatürlichen und unverständlichen Lebensstil wie dem Zölibat unterwerfen müssen. Letztlich wird selbst Gott irgendwie überflüssig.
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