2078 Weinfelder Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben sich eine «Ungeheuerlichkeit» zuschulden kommen lassen, eine Ungeheuerlichkeit, die «zum Himmel schreit». So lautete das Verdikt des Journalisten David Angst von der «Thurgauer Zeitung». Gemeint war die Volksabstimmung vom 18. Mai 2025, mit der das Weinfelder Stimmvolk die Errichtung eines separaten muslimischen Grabfeldes auf öffentlichem Grund ablehnte (2078 Nein zu 1947 Ja bei einer beachtlichen Stimmbeteiligung von 53,9 Prozent).
Zum besseren Verständnis dieser «Ungeheuerlichkeit» ein kurzer Blick in die Vergangenheit: Mit der Bundesverfassung von 1874 wurde der Kulturkampf lanciert. Auf drei «Schlachtfeldern» entlud sich dessen explosives Potential:
- Verstaatlichung des Volksschulwesens
- Verstaatlichung des Zivilstandswesens (u. a. Einführung der obligatorischen Zivilehe, die zwingend vor der kirchlichen Eheschliessung stattfinden muss)
- Verstaatlichung des Bestattungswesens
In den genannten Bereichen waren bisher hauptsächlich die Kirchen zuständig. Mit dieser Neuordnung, klassischen Laisierungsvorschriften also, sollten im Sinne der Säkularisierung Staat und Religion getrennt bzw. die Religion in den privaten Bereich zurückgedrängt werden.
Was das Bestattungswesen betrifft, eignete sich der Staat die Verfügungsmacht über die Friedhöfe an. Alle Menschen sollten unabhängig ihrer Religionszugehörigkeit ein Recht auf ein «schickliches Begräbnis» erhalten. Das Bundesgericht definierte diesen Begriff ex negativo so: Das Recht auf ein schickliches Begräbnis wird dann verletzt, «wenn dem Toten das verweigert wird, was der herrschende Gebrauch zur Ehre der Toten erfordert». An der konkreten Ausgestaltung dieses Prinzips entzündeten sich immer wieder Konflikte, die bis heute andauern und im Gefolge der grossen Zuwanderung von Menschen muslimischen Glaubens auf Neue aktuell geworden sind, kennt doch der Islam keine Trennung von Staat und Religion, von Gesellschaft und Religion.
Mit Urteil vom 7. Mai 1999 (BGE 125 I 300ff.) hatte das Bundesgericht entschieden, dass ein ausschliesslich für eine bestimmte Religionsgemeinschaft reserviertes Grabfeld in einem öffentlichen Friedhof mit dem Prinzip der Rechtsgleichheit bzw. der Gleichbehandlung von Verstorbenen nicht vereinbar ist. In diesem Sinne wies es die Forderung eines zum Islam konvertierten Schweizers nach Errichtung eines Grabfeldes mit der Gewähr der «ewigen Totenruhe» ab. Für die Berücksichtigung spezifischer religiöser Anliegen verbleibt gemäss Bundesgericht nur der Weg der zulässigen Errichtung von privaten Sonderfriedhöfen, wie sie für die Angehörigen jüdischen Glaubens seit Jahrzehnten existieren.
Egerkinger Komitee schaltet sich ein
Im Vorfeld der Abstimmung hatte sich auch das Egerkinger Komitee mit einem an alle Weinfelder Haushalte verschickten Flyer zu Wort gemeldet. Es machte insbesondere geltend, dass mit der Errichtung von muslimischen Grabfeldern in öffentlichen, dem Staat gehörenden Friedhöfen der für das schweizerische Staatswesen konstitutive Grundsatz der religiösen Neutralität verletzt werde, durch eben diese Separierung die Integrationsbemühungen konterkariert und damit falsche Signale ausgesandt werden sowie die «ewige Totenruhe» ebenfalls das Gebot der Rechtsgleichheit verletze. Stossend sei zudem das Ansinnen von Muslimen, nicht neben «unreinen Ungläubigen» begraben werden zu wollen. Diese Vermutung ist nicht aus der Luft gegriffen. So wurde vor der Errichtung eines muslimischen Grabfeldes im Luzerner Friedental in einer Art Nacht- und Nebelaktion das betroffene Erdreich abgetragen und mit Lastwagen entsorgt – entgegen einer vorgängigen Zusage der Luzerner Stadtregierung (vgl. «20 Minuten» vom 4. März 2008).
Die Weinfelder Stadtregierung sah sich zu einer Reaktion veranlasst, in der darauf hingewiesen wurde, dass
- das geplante muslimische Grabfeld Personen jeglicher Religion, auch nicht religiösen Personen, offensteht;
- die Grabesruhe 20 Jahre beträgt, somit keine «ewige Totenruhe» existiert;
- keine Bestattungen in «reiner Erde» vorgesehen sind.
Aufschlussreich ist eine Folie, welche die Weinfelder Stadtregierung an einer Informationsveranstaltung präsentierte und auf ihrer Webseite aufschaltete. Darin wird die Bestattung nach islamischem Recht mit dem geplanten separaten «Grabfeld in islamischer Tradition» verglichen: Von den acht Vorschriften gemäss islamischem Recht werden nur zwei ganz übernommen, nämlich die Ausrichtung nach Mekka und die definierte Länge des Grabes (2,1 Meter).
Zweifache Mogelpackung
Genau besehen liegt hier eine Mogelpackung vor, und zwar in zweifacher Hinsicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Atheist auf einem muslimischen Grabfeld mit «nach Mekka blickenden Gesicht» (vgl. Art. 4 der Ausführungsbestimmungen zum Friedhofsreglement) begraben werden will, tendiert gegen Null. Diese Bestimmung diente wohl in erster Linie dem Zweck, die Chancen einer Annahme der Revisionsvorlage zu erhöhen.
Vor allem aber ist die damit verbundene und geltend gemachte Zielsetzung, nämlich den Bedürfnissen islamischer Gläubigen entgegenzukommen und so deren Integration zu fördern, nicht glaubwürdig. Denn es sollten nur zwei von acht Vorschriften des islamischen Bestattungsrechts übernommen werden.
Es liegt auf der Hand, dass viele, durchaus nicht fundamentalistisch ausgerichtete Muslime auf eine solche Schmalspurvariante enttäuscht, ja ablehnend reagieren. Es verwundert deshalb nicht, wie David Angst von der «Thurgauer Zeitung» einräumen muss, dass sich keine einheimischen Muslime finden liessen, die bereit gewesen wären, sich in die mediale Debatte rund um das geplante separate muslimische Grabfeld einzubringen.
In den Mainstream-Medien wurde unisono auf die inzwischen schweizweit in 36 öffentlichen Friedöfen errichteten muslimischen Grabfelder verwiesen, was bis dato zu keinen Konflikten geführt habe. Mag sein, mag sein. Tatsache bleibt jedoch, dass all diese separaten muslimischen Friedhofabteilungen gegen Bundesrecht, sprich gegen das zitierte Bundesgerichtsurteil vom 7. Mai 1999 verstossen. Daran ändert auch nicht der Umstand, dass – wie Dominik Feusi auf «nebelspalter.ch» zu Recht festhielt – Rechtsprofessoren im Auftrag interessierter Kreise eben dieses Bundesgerichtsurteil in ihr Gegenteil verkehrten. Umso wichtiger und verdienstvoller ist es, dass das Egerkinger Komitee nun die überfällige gesellschaftspolitische Debatte über das Verhältnis von Staat und Religion, von Gesellschaft und Religion, in unserem Land angestossen hat.
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