«Habemus episcopam!»[1]: So äusserte sich eine Stimme in den sozialen Medien, als sie von der Wahl des neuen Bischofs der Diözese St. Gallen erfuhr. Nein, noch ist es nicht ganz so weit. Der neue Bischof ist ein Mann, heisst Beat Grögli, war bis dato Dompfarrer an der St. Galler Kathedrale.
So völlig aus der Luft gegriffen war dieser Ausruf allerdings nicht. Auf die an der Medienkonferenz gestellte obligate Frage nach dem Frauenpriestertum liess der neue Bischof durchblicken, dies sei keine Frage nach dem «ob», sondern eine Frage nach dem «wann». Dazu brauche es allerdings einen langen Atem. Was Bischof Grögli darunter genau versteht, verdeutlichte er mit einem ominösen Satz in der an die Medien abgegebenen Dokumentation: «Mit dem langen Atem Gottes, mit seiner heiligen Geisteskraft (sic) gehen wir als Kirche gemeinsam den Weg.» Immerhin: Für einen langen Atem bedarf es als sozusagen chronologisches Unterpfand die dazu erforderliche Zeitspanne. Darüber verfügt Bischof Grögli zweifelsohne, stehen doch dem am 20. September 1970 Geborenen und damit jüngstem Mitglied der Bischofskonferenz nach menschlichem Ermessen noch zwanzig Amtsjahre bevor. Amtsjahre, die der zukünftige Bischof mit «Freude und Respekt» angehen will.
Sein zukünftiges Wirken als Bischof stellt Beat Grögli unter das Motto «In concordiam Christi – herzlich in Christus». Dabei legt er Wert auf die Präzisierung: «Wir ‹haben› es noch nicht. Deshalb – und das ist nun etwas für die Lateiner – heisst es: in concordiam Christi – und nicht: in concordia Christi. Wir sind noch nicht am Ziel.» Gerade Lateiner dürften mit dieser doch recht eigenwilligen Übersetzung von «concordiam Christi» ihre liebe Mühe haben. Der neue St. Galler Bischof nimmt dabei Mass am Schweizer Regierungssystem: «Concordiam – Konkordanz – bedeutet das Bemühen, miteinander unterwegs zu sein. Die Konkordanz-Demokratie ist dafür ein beredtes Beispiel»: Ein durchaus zweischneidiges Beispiel, ist es doch mit der viel gerühmten schweizerischen Konkordanz-Demokratie nicht erst seit heute alles andere als zum Besten bestellt.
Bischof Grögli zeigte sich gleich zu Beginn der Medienkonferenz beeindruckt von den letzten Gesten des verstorbenen Papstes Franziskus, aber auch von den ersten Worten seines Nachfolgers. Die Tatsache, dass Papst Leo XIV. unmittelbar nach seiner Wahl auf der Benediktionsloggia formell und materiell divergierende Akzente setzte, relativierte Bischof Grögli mit dem Hinweis: «Was die grossen Linien betrifft, liegt Papst Leo XIV. auf der gleichen Linie.» Wie sein Vorgänger fühle er sich einer synodalen Kirche verpflichtet, die offen für alle sei.
Unter die Gratulanten reihte sich auch der Deutsche Martin Schmidt ein, Präsident des Kirchenrates der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St. Gallen. Er erwartet vom neuen Bischof, dass dieser die «Reformierte Kirche als vollwertige Kirche anerkennt und nicht nur als kirchliche Gemeinschaft». Als ob nicht das Zweite Vatikanische Konzil aus ekklesiologischen Gründen die Unterscheidung zwischen Kirchen (= orthodoxe Kirchen) und kirchlichen Gemeinschaften (= protestantische Konfessionen) getroffen hätte. Als ob nicht diese Unterscheidung von Papst Benedikt XVI. in seinem Schreiben «Dominus Jesus» bekräftigt worden wäre. Und als ob der Bischof der Diözese St. Gallen befugt wäre, über diese Frage zu befinden.
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Letzterer Papst hat immerhin den bedeutendsten Text der Christenheit, das Vaterunser, auf eine auch in der Geschichte des Papsttums offenbar einmalige Weise so kompetent interpretiert, wie es meines Wissens ausser dem Schweizer Vaterunserkenner Stefan Sonderegger bis heute kaum jemand geschafft hat. Auch einige mehr intern gemente Kritiken an der Kurie und am Vatikan bis hin zum Spottnamen "Schwulenlobby" waren wohltuend, zu schweigen davon, dass er sich in der Ukraine-Problematik nicht ins Bockshorn hat jagen lassen. Auch dem neuen Bischof von St. Gallen gebührt der Vorschuss der Berufung, bei welcher Überraschungen immer ebenso gut möglich sind wie Enttäuschungen. Nach meiner Überzeugung sind aber Kirchenmusiker und christliche Schriftsteller und Inellektuelle, zu schweigen von bedeutenden Ordensfrauen und natürlich stillen Pionieren der Caritas, nicht zu verwechseln mit gleichnamigen Organisationen, mindestens gleich bedeutend für die Kirche wie Bischöfe und Päpste. Die Frage ist, ob diese geistige Substanz in unserer Kirche überhaupt noch vorhanden sei.
Im übrigen bleibe ich der Meinung, ceterum censeo, dass in keiner Religion oder konfessionellen Richtung Frauen eine so hohe Bedeutung erlangten wie in der katholischen Kirche. Sammelte im Verlauf der letzten 60 Jahre etwa die Namen und rudimentären Lebensgeschichten von etwa 2000 weiblichen Spiritualen vor allem im Sprachraum der germanischen und romanischen Idiome und staune über das Resultat. Die spirituell bedeutendste katholische Persönlichkeit in der Schweiz des 19. Jahrhunderts war, wenn man das Politische und Amtskirchliche zu relativieren versteht, die heilige Marguerte Bays, deren monatlicher Gedenkgottesdienst in Siviriez bei Romont morgen Mittwoch wieder fällig ist. Ihr gegenüber bleiben ihr damaliger Bischof Marilley ebenso wie der Kardinal Mermillod eine eher kleinere Nummer. Bischof Marilley nahm es aber immerhin auf sich, acht Jahre ins savoyische Exil zu gehen, und als er im angeblichen Jahr der Freiheit, in dem die Freiburger nicht über die Bundesverfassung abstimmen durften, ins Schloss Chillon als Häftling überführt wurde, schrie die Menge: "Häng ihn! Hängt ihn!" Das ist mit dem Glaubenszeugnis der heutigen Schweizer und deutschen Bischöfe gewiss nicht zu vergleichen. Ein vergleichbarer Kulturkampf ist indes glücklicherweise nicht mehr zu erwarten, insofern dürften heutige Bischöfe ruhig etwas mutiger auftreten.
Bei einer Systemkrise der lokalen Kirche wäre wohl für einen Getauften allenfalls ein Austritt aus einer als korrumpiert gesehenen oder empfundenen Gemeinde im Sinne der Heiligen Schrift kein Austritt aus jener Allgemeinen Heiligen Kirche, die nach einem göttlichen Versprechen halten wird bis ans Ende der Welt.