Viele Superlative ranken sich um die Erklärung «Nostra aetate», die vor 60 Jahren vom Zweiten Vatikanischen Konzil mit 96-prozentiger Zustimmung verabschiedet und am 28. Oktober 1965 von Papst Paul VI. verkündet wurde. Euphorisch wurde sie als «Meilenstein» in den Beziehungen der Katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen, als «Neuanfang», «Magna Carta», gar als «Kopernikanische Wende» gefeiert. In dem Dokument unterstrich die Kirche ihre Wertschätzung anderer Religionen und eröffnete mit ihnen Dialog und Zusammenarbeit. Schon damals hiess es nicht ohne Übertreibung, man werde das gesamte Konzil nach dieser Erklärung beurteilen.
Es ist eine der kürzesten und zugleich umstrittensten Erklärungen des Konzils; um wenige Texte wurde so hart gerungen. Das Papier enthält positive Formulierungen zu Buddhismus und Hinduismus. In erster Linie aber ruft es die Katholiken zu gegenseitigem Verständnis mit den Religionen auf, die ihnen am nächsten stehen, weil sie den alleinigen Gott anerkennen: Islam und vor allem Judentum.
Arabische Einwände
Schon im September 1960, zwei Jahre vor Beginn des Konzils, beauftragte Johannes XXIII. den deutschen Kurienkardinal und Jesuiten Augustin Bea, eine Erklärung über die inneren Beziehungen zwischen der Kirche und dem Volk Israel vorzubereiten. Eine durchaus persönliche Initiative des Papstes; allerdings mehrten sich Anfang der 60er-Jahre die Stimmen, die auf eine neue, positive Bewertung des Verhältnisses zwischen Christentum und Judentum drängten.
Durch die Indiskretion einer Journalistin, die ein vertrauliches Gespräch als Interview veröffentlichte, erfuhren die arabischen Staaten von der geplanten Judentumserklärung – und reagierten mit heftigen Interventionen. Man fürchtete, dass dies zu einer internationalen Aufwertung des Staates Israel führen könnte – von dem die Arabische Welt damals noch hoffte, er werde sich nicht halten können.
Auch unter den Konzilsvätern gab es unerwartete Opposition von Bischöfen arabischer Länder. Sie fürchteten, eine den Juden entgegenkommende Konzilserklärung werde den Christen in israelfeindlichen Staaten schaden. Und von Anfang an gab es eine kleine, aber sehr kämpferische Gruppe unter den Konzilsvätern, die theologisch ein neues Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum bzw. allgemein zu den Weltreligionen ablehnte.
Verurteilung des Antisemitismus
«Nostra aetate» betont das Verbindende mit den anderen Religionen, ohne den eigenen Wahrheitsanspruch zu schmälern. Christen, Juden und Muslime werden ermuntert, gegenseitige Missverständnisse im Dialog auszuräumen.
Das Judentum nimmt in «Nostra aetate» den grössten Raum ein. «Im Bewusstsein des Erbes, das sie mit den Juden gemeinsam hat, beklagt die Kirche […] alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgendjemandem gegen die Juden gerichtet haben», heisst es darin.
Die Konzilsväter stellten unmissverständlich fest, dass den Juden als Volk keine kollektive Schuld wegen der «Ereignisse des Leidens» Jesu angelastet werden könne. Aus der Bibel sei auch nicht zu folgern, dass die Juden von Gott «verworfen» seien. Das Konzil betont mehrfach mit biblischen Verweisen, dass die Juden «weiterhin von Gott geliebt werden», der sie mit einer «unwiderruflichen Berufung» erwählt habe.
In den Monaten nach dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 war von jüdischer Seite dem mittlerweile verstorbenen Papst Franziskus Parteinahme für die Palästinenser und einseitige Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung im Gaza-Krieg vorgeworfen worden. Positiv vermerkt wurde, dass Papst Leo XIV. ein paar Tage nach seiner Wahl in einer Botschaft an den römischen Oberrabbiner Riccardo Di Segni zusicherte, «den Dialog und die Zusammenarbeit der Kirche mit dem jüdischen Volk fortzusetzen und zu stärken im Geiste der Erklärung ‹Nostra aetate› des Zweiten Vatikanischen Konzils».
Holprige Geschichte mit dem Islam
Zum Islam heisst es wörtlich: «Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten.» Christen und Muslime sollten sich «aufrichtig um gegenseitiges Verstehen bemühen und gemeinsam eintreten für Schutz und Förderung von sozialer Gerechtigkeit, sittlichen Gütern sowie [...] Frieden und Freiheit für alle Menschen».
Die Muslime ehren Jesus als einen Propheten. Den Glauben an seine Göttlichkeit lehnen sie aber scharf ab. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten: den Glauben an den einen Gott, die Bedeutung des Gebets oder die ethische Verantwortung des Menschen.
2001 besuchte Johannes Paul II. in Damaskus als erster Papst eine Moschee. Unter seinem Nachfolger Benedikt XVI. kühlten die Beziehungen der Kirche zur islamischen Welt ab, dies nach seiner ebenso umstrittenen wie zukunftsweisenden «Regensburger Rede», in welcher er das Gewaltpotenzial des Islams angesprochen hatte. Papst Franziskus belebte «Nostra aetate» neu. Die «Erklärung zur Geschwisterlichkeit aller Menschen», die er 2019 mit dem Grossimam der Kairoer Azhar-Universität in Abu Dhabi unterzeichnete, gilt als wichtiges Dokument des christlich-muslimischen Dialogs.
Zum Schluss ruft «Nostra aetate» unter dem Titel «Universale Brüderlichkeit» zur Achtung der Würde jedes Menschen auf. Wörtlich heisst es: «Deshalb verwirft die Kirche jede Diskriminierung eines Menschen oder jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner Rasse oder Farbe, seines Standes oder seiner Religion willen, weil dies dem Geist Christi widerspricht.»
Eklat an Kongress
Anlässlich des 60. Jahrestages der Erklärung «Nostra aetate» versammelten sich am Dienstagabend rund 80 führende Vertreter verschiedener Religionen in Rom. Tags zuvor war es bei einem von der Päpstlichen Universität Gregoriana organisierten Kongress zum interreligiösen Dialog zu einem Eklat zwischen einem katholischen Theologen und jüdischen Vertretern gekommen. Auslöser war ein Vortrag des in Neapel lehrenden Schweizer Jesuiten Mario Imperatori. Er hatte in seinen Ausführungen eine Parallele zwischen dem Vorgehen Israels im jüngsten Gaza-Krieg und dem Genozid an den Juden im Dritten Reich gezogen. In spontanen Reaktionen aus dem Publikum sprachen sichtlich erzürnte jüdische Teilnehmer aus Israel und den USA von einem «dunklen Moment» und einem «traurigen Tiefpunkt» für den jüdisch-christlichen Dialog. Die von der Gregoriana-Universität gestellte Kongressleitung bemühte sich, die Wogen zu glätten, und rief dazu auf, die Standards einer akademischen Debatte einzuhalten. Zugleich distanzierte sich das Präsidium von einigen Ausführungen Imperatoris.
Echter Dialog beginnt nicht mit Kompromissen, sondern mit Überzeugungen
Papst Leo XIV. stellte seine Ansprache vom gestrigen Abend anlässlich des 60. Jahrestags von «Nostra aetate» unter das Thema «Gemeinsam in der Hoffnung voranschreiten». Vor sechzig Jahren wurde ein Samenkorn der Hoffnung für den interreligiösen Dialog gesät, so der Pontifex. «Ihre heutige Anwesenheit zeugt davon, dass dieses Samenkorn zu einem mächtigen Baum herangewachsen ist, dessen weit ausladende Äste Schutz bieten und üppige Früchte der Verständigung, Freundschaft, Zusammenarbeit und des Friedens tragen». Er erinnerte daran, dass einige Menschen ihr Leben gegeben haben – «als Märtyrer für den Dialog, die sich gegen Gewalt und Hass gestellt haben». Er betonte, dass echter Dialog weder eine Taktik noch ein Werkzeug, sondern eine Lebensweise ist. Dabei müsse man stark im eigenen Glauben verankert bleiben. «Denn authentischer Dialog beginnt nicht mit Kompromissen, sondern mit Überzeugungen – mit den tiefen Wurzeln unseres eigenen Glaubens, die uns die Kraft geben, anderen in Liebe zu begegnen.»
Kriege, Konflikte und Armut erinnern daran, wie zerbrechlich die Menschheitsfamilie ist. Die Religionsführer hätten die gemeinsame Verantwortung»: «unseren Gläubigen dabei zu helfen, sich von den Fesseln der Vorurteile, der Wut und des Hasses zu befreien; ihnen dabei zu helfen, sich über Egoismus und Selbstbezogenheit zu erheben; ihnen dabei zu helfen, die Gier zu überwinden, die sowohl den menschlichen Geist als auch die Erde zerstört.» Die Religionen seien mit der grossen Mission betraut, in allen Menschen wieder den Sinn für Menschlichkeit und für das Heilige zu wecken. Papst Leo XIV. erinnerte an die Worte des heiligen Johannes Paul II. 1986 in Assisi: «Wenn die Welt weiterbesteht und Männer und Frauen in ihr überleben sollen, kann ihr das nicht ohne Gebet gelingen» und lud alle zu einem Augenblick stiller Andacht ein. «Möge der Friede auf uns herabkommen und unsere Herzen erfüllen.»
So wichtig das Treffen der Religionsführer ist und der Aufruf zu mehr Menschlichkeit und Frieden: Angesichts der zunehmenden Christenverfolgung gerade in islamischen Ländern, aber auch in Indien, stellt sich die Frage, ob ein ehrlicher Dialog mit den Religionen diese Fakten ausblenden darf.
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Eine Stelle im Artikel muss aber korrigiert bzw. ergänzt werden. Die Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. war nicht in allererster Linie eine Kritik am Islam, sondern am Protestantismus und den Tendenzen im Katholizismus, welche Vernunft und Glaube trennen wollen. Der Glaube schliesst Gewalt aus, da Gewalt dem Wesen Gottes widerspricht. Dem Voluntarismus,, der den göttlichen Willen von der Erkenntnisfähigkeit und damit auch von der Vernunft des Menschen löst, galt die Kritik Papst Benedikts, nicht speziell dem Islam. Aus diesem Grund wurden durch diese Rede keine Brücken niedergerissen, sondern blieben so intakt, dass Papst Franziskus den christlich-islamischen Dialog intensivieren und stärken konnte.
Und natürlich gibt es in allen Religionen und Weltanschauungen wahre Elemente, die man anerkennen kann, ohne das Christentum zu verleugnen. Wenn wir daran glauben, dass jeder Mensch Ebenbild Gottes ist, dann wird auch jeder Mensch einen Wunsch und Drang haben, die Wahrheit zu suchen. Ihm dabei zu helfen, ohne dessen Glaubensüberzeugungen zu beleidigen, führt die Menschen mehr zu Christus als ein dogmatisches und autoritäres Auftreten.
Als Katholiken sollten wir die Würde jedes Menschen - unabhängig von seiner Herkunft und Religion - verteidigen, dies von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod. Ich bin stolz, dass der Vatikan - hier sehe ich keinen grossen Unterschied zwischen Papst Franziskus und seinem Nachfolger Papst Leo - in den grossen Kriegen der letzten Jahren eine sachliche und objektive Position einnahm, die diesem Anspruch gerecht wurde.
Einer der wichtigsten Mitautoren dieses Konzilsdokuments war also jemand, der sich im Laufe seines Lebens immer weiter von der kirchlichen Lehre entfernte.
Man kann nur sagen "pervers". 1946 konvertiert, 1947 Augustiner, 1954 Priester.
Wo bleibt da die Prüfung? entsprechend wurde die Pflanze 20 Jahre später wieder ausgerissen.
Persönlich betrachtet kann man das verstehen, aber es ist nicht der Sinn der katholischen Kirche. Genau so chaotisch präsentiert sie sich seit den 60er Jahren.
auf Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Gregory_Baum