Der Dialog mit den reformatorischen Gemeinschaften
Das vorstehend skizzierte Spannungsverhältnis gilt in noch ausgeprägterem Masse für jenes der Katholischen Kirche zu den reformatorischen Gemeinschaften. Denn mit der Reformation ist ein neuer Kirchentypus entstanden, der im Gegensatz zur Orthodoxie und dem Katholizismus Kirche nicht als Institution versteht, sondern als mehr oder weniger lose mit einander verbundene, auf die «Dynamik des Wortes» zentrierte Gemeinden, womit wiederum die «prototypische Realisierung des Begriffs ‹Kirche›» aus protestantischer Sicht ausgesagt ist.
Dankbar nimmt Kardinal Koch zur Kenntnis, dass die universalkirchliche Dimension des Kircheseins in der reformatorischen Theologie wiederentdeckt wird, «und zwar unter direkter Bezugnahme auf die Feier der Eucharistie». Er verweist auf eine Aussage des protestantischen Theologen Wolfhart Pannenberg, wonach in jeder Eucharistiefeier «mit dem wahren Leib des Herrn zugleich die ganze weltweite Kirche gegenwärtig ist, aber auch die Kirche aller früheren Generationen von Christen seit der Zeit der Apostel und der altkirchlichen Märtyrer».
Dieser Aussage stehen allerdings zahlreiche protestantische Positionsbezüge gegenüber, welche ein Papstamt als mit dem reformatorischen Kirchenverständnis für unvereinbar halten. Unter diesen Prämissen könnte deshalb ein Papstamt höchstens unter pragmatischen, nicht aber kirchenkonstitutionellen Gesichtspunkten in Betracht gezogen werden. Dies bedeutet zugleich, dass sich der Dialog mit den reformatorischen Gemeinschaften auf die Klärung des Verhältnisses zwischen Ortskirchen und Universalkirche und des Kirchenverständnisses generell konzentrieren.
Katholische Sicht einer Verständigung über das Papstamt
Im Hinblick auf die Weiterführung des ökumenischen Dialogs muss gemäss Kardinal Koch katholischerseits Klarheit darüber herrschen, dass der Primat des Bischofs von Rom dem Fundamentalprimat des Evangeliums nicht widersprechen darf, sondern ihm vielmehr zu dienen hat. Der petrinische Dienst an der Einheit der Kirche ist vor allem ein «Dienst am Glauben», für den der Bischof von Rom der autorisierte Zeuge ist. Im Sinne der höchstpersönlichen Zeugenschaft des Papstamtes kann dieses nicht nur als «Ehrenprimat» verstanden und verwirklicht werden, denn die so verstandene «Ehre» schliesst immer auch Autorität mit ein. Kardinal Koch verweist auf die lapidare Tatsache, dass ein Dienst, der nicht mit Vollmacht ausgestattet ist, erfahrungsgemäss just dann versagt, wenn er am meisten gebraucht wird.
Gerade aus ökumenischer Sicht ist der Primat des Papstes als ein Primat des Gehorsams gegenüber dem Evangelium zu verstehen. Der Papst hat Garant zu sein für die Treue der ganzen Kirche zu Gottes Wort. Sein Primat ist anders formuliert «letztverbindlicher Dienst am Glauben und glaubwürdiger Dienst an der Liebe und so Dienst an der Einheit der Kirche und auch Dienst an der Einheit der Christen.»
Ein erfolgsverheissender ökumenischer Ansatz ist gemäss Kardinal Koch schliesslich das Wissen um die wesenhafte gegenseitige Verwiesenheit von Petrusdienst und Eucharistie. Durch den «Dienst an der eucharistischen Liebe» nimmt der Bischof von Rom seine Verantwortung als Oberhaupt der weltweit in der Feier der Eucharistie sich konstituierenden und miteinander verbundenen Gemeinschaften wahr. Kardinal Koch schloss seinen Vortrag mit den Worten: «Wird der Petrusdienst des Bischofs von Rom von der Eucharistie her verstanden, dürfte abschliessend auch verstehbar werden, dass sein Vorsitz in der Liebe und sein Vorsitz in der Lehre des Glaubens unlösbar zusammengehören […] Und dann würde auch verstehbar, weshalb die Katholische Kirche das Petrusamt als ein grosses Geschenk betrachtet, das sie von Christus erhalten hat, jedoch nicht für sich behalten darf, sondern das sie mit der ganzen Christenheit in ökumenischer Gemeinschaft teilen möchte.»
Kritische Anmerkungen
Kardinal Kurt Koch ist sowohl formell (als Präfekt des «Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen») wie auch materiell (ehemaliger Professor für Dogmatik und Bischof der Diözese Basel) zweifelsohne geradezu prädestiniert, diese buchstäbliche Kardinalfrage des Christentums mit der erforderlichen Autorität und Kompetenz zu thematisieren. Gleichwohl sind – salva reverentia – einige kritische Anmerkungen indiziert.
Gleich zu Beginn seines Vortrages zitierte Kardinal Koch das bekannte Dictum von Papst Paul VI: «Der Papst ist, wir wissen es wohl, ohne Zweifel das schwerwiegendste Hindernis auf dem Weg des Ökumenismus.» Dieser Satz darf in fast keiner Wortmeldung zur Ökumene fehlen, wird vorwiegend von Kreisen in der Absicht instrumentalisiert (wozu Kardinal Koch ganz gewiss nicht gehört), das Papsttum als solches infrage zu stellen. Tatsächlich war es keine Eingebung des Heiligen Geistes, die Papst Paul VI. zu dieser Aussage veranlasste. Denn sie ist falsch, und zwar in zweifacher Hinsicht. Zum einen verfügen alle nicht-katholischen Denominationen dank dem Papsttum über einen Ansprechpartner, der im Namen der ganzen katholischen Gemeinschaft verbindliche Zusagen machen kann – umgekehrt ist dies nicht der Fall. Zum anderen wäre die Katholische Kirche ohne das Papsttum längst in unzählige, der Ökumene abträgliche Fraktionen zerfallen, der Protestantismus ist diesbezüglich ein eindrücklicher Negativ-Beleg.
Kardinal Koch spricht verständlicherweise aus «verhandlungstaktischen Gründen» überaus zurückhaltend Sachverhalte in den orthodoxen und protestantischen Kirchen an, die es gerade um einer echten, tragfähigen Ökumene willen verdienen, deutlicher beim Namen genannt zu werden. So spricht er von «innerorthodoxen Spannungen, die vor allem bei der ‹Heiligen und Grossen Synode› von Kreta im Jahre 2016 deutlich zum Ausdruck gekommen sind». Dabei handelte es sich jedoch tatsächlich nicht um blosse Spannungen, sondern um ein veritables Scheitern. Diesem sogenannten panorthodoxen Konzil ging eine mehr als 80-jährige Vorbereitungszeit voraus, um genau dieses Scheitern zu verhindern – vergeblich. Nach mehreren Absagen hatte auch die russisch-orthodoxe Kirche gerade einmal eine Woche vor Konzilsbeginn ihre Teilnahme abgesagt und machte dafür das Patriarchat von Konstantinopel verantwortlich. Mehr als die Hälfte der orthodoxen Christen war damit nicht mehr vertreten. Erfolgte diese Absage auf Befehl der Politik? Klar ist jedenfalls, dass vor dem Hintergrund dieser ekklesiologischen Konstellation eine Ökumene mit den orthodoxen Kirchen sehr anspruchsvoll und schwierig ist.
Mit Blick auf die reformatorischen Kirchen lobt Kardinal Koch Bestrebungen, die universalkirchliche Dimension des Kircheseins neu in den Blick zu nehmen, und zwar unter «direkter Bezugnahme auf die Feier der Eucharistie». Auch hier gilt es, die Realitäten nicht aus den Augen zu verlieren. Martin Grichting verweist in seinem Beitrag «Der synodale Irrweg» (NZZ vom 13. August 2022) auf das Beispiel der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Zürich. Dort entbrannte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein erbitterter Streit über die Verbindlichkeit des Apostolischen Glaubensbekenntnisses. Um eine Spaltung wenigstens formal zu verhindern, wurde es den Kirchgemeinden freigestellt, ob sie sich daran halten wollen. Seither ist die evangelisch-reformierte Kirche bekenntnisfrei.
Nicht verschwiegen werden darf schliesslich, dass Papst Franziskus mit dem Dokument «Fiducia supplicans» betreffend Segnung gleichgeschlechtlicher Paare gerade die Ökumene mit den orthodoxen Kirchen schwer belastet hat. So hat die Synode der koptischen Kirche am 7. März 2024 beschlossen, den theologischen Dialog mit der Katholischen Kirche bis auf Weiteres auszusetzen. Kein gutes Omen für erfolgversprechende «Ökumenische Perspektiven im Blick auf das Papstamt».
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Man könnte es auch anders formulieren und präzisieren, dass das Haupthindernis die Autorität des Papstamtes ist. Diese war noch nie besonders beliebt. Heute jedoch leben wir in einer autoritätslosen Zeit, einer Zeit da fast niemand mehr bereit ist, eine Autorität über sich anzuerkennen. Das ist schon im weltlichen Bereich so, wo wir uns einer solchen wenn immer möglich entziehen und wo nötig als Ersatz demokratische Entscheide benutzen. Das Gleiche gilt in unserer Kirche und dem gesamten Christentum. Und nicht zuletzt gilt das auch Gott gegenüber, welchen wir noch als die Liebe und Barmherzigkeit anerkennen, wenn nicht gar fordern, wo wir aber von Gott als unserem Schöpfer und Herrn und unserem gerechten Richter nichts mehr wissen wollen (es sei denn, er richte die «bösen Anderen».