Als Grundlage dieser Lebensgeschichten dient das epochale Werk «Zeugen für Christus», das Prälat Prof. Dr. Helmut Moll auf Anregung von Papst Johannes Paul II. und im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz verfasst hat.1 Wir danken in diesem Zusammenhang Prälat Prof. Dr. Moll für seine Bereitschaft, als Einstieg in unsere Porträt-Serie eigens den nachfolgenden Beitrag geschrieben zu haben:
Das lange Pontifikat Papst Johannes Pauls II. hat sich tief in das Gedächtnis der Kirche eingeprägt. Zahllosen Initiativen, ein umfangreiches Schrifttum, unvergessene Begegnungen und eine breite mediale Präsenz hinterliess der Pontifex als sein Erbe. Unvergessen bleibt die erste Predigt des neuen Papstes auf dem überfüllten Petersplatz wenige Tage nach seiner Wahl. «Habt keine Angst! Öffnet, ja reisst die Türen weit auf für Christus!», rief er am 22. Oktober 1978. Der neue Papst wollte ein neues Kapitel aufschlagen: «Öffnet die Grenzen der Staaten, die wirtschaftlichen und politischen Systeme, die weiten Bereiche der Kultur, der Zivilisation und des Fortschritts seiner rettenden Macht! Habt keine Angst! Christus weiss, was im Innern des Menschen ist. Er allein weiss es!» Christus wurde als der vorgestellt, der den Menschen zu sich selbst führt und ihm seine eigene Identität erschliesst. In diesen kraftvollen Worten überwand der polnische Papst schon manche Mauer, deren Fallen er später auch noch buchstäblich erleben sollte. Wie ein Blitzlicht strahlte Christus auf! Genauso hatte das Zweite Vatikanische Konzil Jahre zuvor in der dogmatischen Konstitution über die Kirche festgehalten: «Christus ist das Licht der Völker» (LG 1).
«In unserem Jahrhundert sind die Märtyrer zurückgekehrt»
Der nahe Übergang der Kirche in das dritte christliche Jahrtausend stellte eine wichtige Perspektive dar, unter der der polnische Erzbischof von Krakau im Jahr 1978 als Bischof von Rom die Geschicke kraftvoll in die Hand nahm. Nie verlor er die grosse heilsgeschichtliche Perspektive aus den Augen. Die Verfolgungen des Nationalsozialismus und des Kommunismus mit seinen demütigenden menschenverachtenden Ideologien hatte er am eigenen Leib erfahren. Aufgewachsen in der Nähe von Auschwitz, standen ihm die Bilder der rauchenden Schornsteine des Krematoriums des KZ Auschwitz vor Augen. Er hatte erlebt, wie die Stühle seiner jüdischen Mitschüler in der Klasse von einem auf den anderen Tag leer blieben. Seine jüdischen Kameraden sollte er nie wiedersehen. Als Erzbischof von Krakau trotzte er den kommunistischen Machthabern und ihrem Versuch, Gott aus den Herzen der Menschen zu entfernen.
Papst Johannes Paul II. wollte die Geschichte lesen. Das zu Ende gehende zweite Jahrtausend mit seinen dunklen Schatten stand ihm vor Augen. Bei seinem Besuch im österreichischen KZ Mauthausen im Jahre 1988 fragte er tief bewegt: «Mensch von gestern – und von heute […] sage uns, haben wir nicht mit allzu grosser Eile deine Hölle vergessen? Löschen wir nicht in unserem Gedächtnis und Bewusstsein die Spuren der alten Verbrechen aus? Sage uns, in welcher Richtung sollen sich Europa und die Menschheit nach Auschwitz, nach Mauthausen entwickeln? Stimmt die Richtung, in die wir uns von den furchtbaren Erfahrungen von damals entfernen?»
Im Jahr 1994 veröffentlichte Papst Johannes Paul II. das Apostolische Schreiben «Tertio millennio adveniente» (Über die Ankunft des dritten Jahrtausends). Damit bereitete er die Kirche auf den Übergang in das dritte christliche Jahrtausend vor. In seinem Blick auf die Kirche hob er eine lange unbeachtete und überaus wertvolle Dimension der Kirche des zweiten Jahrtausends hervor. Hier schien er gleichsam zu beginnen, auf die in Mauthausen aufgeworfenen Fragen zu antworten. Er schrieb: «Am Ende des zweiten Jahrtausends ist die Kirche erneut zur Märtyrerkirche geworden. Die Verfolgung von Gläubigen – Priestern, Ordensleuten und Laien – hat in verschiedenen Teilen der Welt eine reiche Saat von Märtyrern bewirkt. […] Das ist ein Zeugnis, das nicht vergessen werden darf. […] In unserem Jahrhundert sind die Märtyrer zurückgekehrt, häufig unbekannt, gleichsam ‚unbekannte Soldaten‘ der grossen Sache Gottes. So weit als möglich dürfen ihre Zeugnisse in der Kirche nicht verlorengehen. Wie beim Konsistorium empfohlen wurde, muss von den Ortskirchen alles unternommen werden, um durch das Anlegen der notwendigen Dokumentation nicht die Erinnerung zu verlieren an diejenigen, die das Martyrium erlitten haben.» (Nr. 37)
Wider das Vergessen
Der Impuls Johannes Pauls II., das Zeugnis der Märtyrer nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, wurde in den Kirchen unterschiedlich aufgenommen. Für Spanien, Deutschland, Österreich, Italien, Slowenien, Russland, Polen, Bosnien und Kroatien wurden eigene Dokumentationen erstellt. Für die Schweiz liegt als Verzeichnis die «Schweizer Heiligenlegende» (Stein am Rhein 1987) von Anton Schraner vor. Sie widmet sich nicht explizit den Märtyrern: In ihr sind Blutzeugen aus den Missionsgebieten des 20. Jahrhunderts aufgeführt; erwähnt seien der selige Augustiner-Chorherr Maurice Tornay (1910–1948, Tibet), der Marianhiller Missionar Bruder Andreas (Georg) von Arx (1933–1978, Simbabwe) sowie der Salesianer Don Boscos Pater Johann Fuchs (1880–1934, Brasilien).
Somit erhebt sich folgende Frage: Hat die nationalsozialistische Schreckensherrschaft auch in der Schweiz Märtyrer hervorgebracht? Sind auch in der Kirche der Schweiz im vergangenen Jahrhundert die Märtyrer zurückgekehrt?
Papst Benedikt XIV. (1675–1758) fasste die bis heute geltenden Kriterien zur Bestimmung des Martyriums in einer vierbändigen Dokumentation zusammen. In ihrem Kern umfassen sie drei Dimensionen, die im Letzten der Heiligen Schrift entstammen und in der Hingabe des Gottessohnes ihren Ursprung finden. Es handelt sich dabei um die Tatsache des gewaltsamen Todes, das Motiv des Glaubens- und Kirchenhasses bei den Verfolgern und die bewusste Annahme des Willens Gottes trotz Lebensbedrohung bei den Verfolgten.
Kommentare und Antworten
Sei der Erste, der kommentiert