Gottesdienst in der Syro-Malankara Kirche Heiliger Erlöser in Kalewadi, Pune, Indien. Zelebrant ist Pater Isaac Samuel OIC (Bild: zVg)

Weltkirche

Ori­en­ta­lium Digni­tas – Die Würde der Ostkirchen

Zur Katho­li­schen Kir­che gehö­ren auch die 23 ori­en­ta­li­schen Teil­kir­chen, die in vol­ler Gemein­schaft mit Rom ste­hen, jedoch ihre eige­nen Riten pfle­gen. Papst Leo XIII. hat 1894 in sei­ner Enzy­klika «Ori­en­ta­lium Digni­tas» nach­drück­lich den Wert und die Gül­tig­keit die­ser öst­li­chen Aus­drucks­for­men des einen katho­li­schen Glau­bens betont.

Im Dokument «Orientalium Ecclesiarum» des 2. Vatikanischen Konzils wurde diese Wertschätzung weiter ausformuliert. In der Gemeinschaft aller Teilkirchen im geteilten Glauben und unter der Leitung des römischen Bischofs findet eine kirchliche Struktur zu ihrem Ausdruck, die nicht durch Uniformität, sondern durch eine Einheit in der Vielgestaltigkeit besticht. Die liturgischen Wurzeln der Ostkirchen reichen weit zurück bis in die Wiege des Christentums im Nahen Osten. Sie bereichern die Kirche durch die Pflege ihrer Traditionen, die in vielgestaltiger kultureller Prägung gelebt werden. In einer Zeit der liturgischen Konfusion, in der viele Laien und sogar Priester die lebendige Beziehung zur heiligen Messe verloren haben, mag uns der Blick nach Osten bestärken, dass ein tiefes, sich aus dem Überlieferungsschatz der Kirche speisendes sakramentales Leben auch heute möglich ist. Wir beginnen unsere Reihe über die mit Rom verbundenen Ostkirchen mit einem Beitrag über die Syro-Malankarische Kirche Indiens.

Die Syro-Malankarische Katholische Kirche Indiens
Einmal im Monat feiert die Syro-Malankarische Gemeinde der Schweiz in den Kirchen St. Josef in Bern und Bruder Klaus in Urdorf. Die schlichte Kirche St. Josef aus den Neunzigerjahren wird dabei von einer eigentümlichen Stimmung erfasst. Bunte, mit Gold bestickte Tücher werden auf Altar und Ambo ausgebreitet; die edlen Farben und Muster verwandeln den Raum. Ein hölzernes Thomaskreuz steht auf dem Altar. Eine sakrale Fülle zieht an diesem regnerischen Sonntag in die Kirche ein, die sogleich ein wenig wärmer erscheint. Es scheint fast, als habe sie sich nach Farbe, Weihrauch und Gesang gesehnt.

Der Apostel Thomas in Indien
Die Geschichte der Syro-Malankarischen Kirche reicht weit zurück in die Vergangenheit. Nach der kirchlichen Überlieferung hat Thomas der Apostel das Christentum nach Indien gebracht. Im Jahr 52 n. Chr. soll er die südindische Provinz Kerala erreicht haben. Er gründete sieben Kirchen und bekehrte viele zum Glauben, bevor er zwanzig Jahre nach seiner Ankunft das Martyrium erlitt. Die indischen Christinnen und Christen, die sich als Nachfahren dieser sieben Kirchen verstehen, bezeichnen sich bis heute als Thomaschristen. Jahrhundertelang lebten die Thomaschristen als eine ungeteilte Kirche, die seit ihrer Gründung in Gemeinschaft mit der Katholischen Kirche stand.

Spannungen unter portugiesischer Herrschaft
Portugal baute seit dem 16. Jahrhundert seine Macht in Indien aus. Damit verbunden waren vielfache Bestrebungen, die Thomaschristen zu latinisieren. Einheimisches Brauchtum und die syrische Liturgie wurden abgelehnt. Die Portugiesen verfolgten die Strategie, westliche Gepflogenheiten in Indien durchzusetzen. Dazu kamen kirchenpolitische Entscheidungen, die die Thomaschristen vermehrt unter die Kontrolle des Königs von Portugal zwangen. Dies führte zu grossflächigen Unruhen unter der Bevölkerung, die 1653 mit dem sogenannten «Schwur vom schiefen Kreuz» zum Schisma führten. Dabei banden einige Thomaschristen ein Seil um ein freistehendes Kreuz, hielten es gemeinsam fest und legten damit einen Schwur ab, sich niemals der portugiesischen Machtausübung zu beugen. Diese Geste war nicht gegen die Römische Kirche gerichtet, sondern gegen die portugiesische Bevormundung. Dennoch führte sie zum Auseinanderbrechen der bis dahin geeinten indischen Christenheit. Nach und nach verzweigte sich das indische Christentum in viele verschiedenen Gruppierungen. Dabei blieb die Syro-Malabarische Kirche katholisch. Die Malankara Kirche hingegen spaltete sich ab. Es folgte eine Zeit chaotischer kirchenpolitischer Verhältnisse. In diesen schwierigen Verhältnissen geschah es, dass die Malankara Kirche den bis anhin gebräuchlichen ostsyrischen Ritus ablegte und den antiochenischen annahm. Dies ergab sich aus der notwendigen bischöflichen Sukzession eines eigenen Kirchenoberhauptes. Ein solcher war nicht zugegen und Rom gelang es in der Konfliktsituation nicht, Abhilfe zu schaffen. Somit schloss man sich der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien an, zu der nun Kontakte gepflegt wurden. So entstand die Syro-Malankarische Kirche, die noch fast drei Jahrhunderte von Rom getrennt blieb.
 


Der lange Weg zur Einheit
Es gab immer wieder Bestrebungen der Syro-Malankarischen Kirche, das Schisma zu überwinden. Dies glückte jedoch erst im 20. Jahrhundert, als Erzbischof Mar Ivanios mit vier seiner Anhänger zur Katholischen Kirche zurückkehrte. So wurde die Syro-Malankarische Kirche am 20. September 1930 von Papst Pius XI. wieder in die volle Gemeinschaft der Kirche aufgenommen. Nur fünf Menschen und dennoch eine ganze Kirche, bestehend aus Erzbischof, Bischof, Priester, Diakon und einem Laien, wurden vom Schweizer Alois Benziger, der damals lateinischer Bischof von Quilon in Kerala war, in die Katholische Kirche aufgenommen. Seitdem stellt sie eine der 23 katholischen Ostkirchen dar und ist zu einer kraftvollen Kirche herangewachsen. Bis heute wird die Rückkehr zur Katholischen Kirche in der Syro-Malankarischen Gemeinschaft als grosses göttliches Ereignis wahrgenommen. 2005 wurde sie von Papst Johannes Paul II. zu einem Grosserzbistum erhoben, das unter eigenem Kirchenrecht grosse Autonomie geniesst und weiterhin den antiochenischen Ritus pflegt. In der Enzyklika «Ut unum sint» schrieb Johannes Paul II., dass die Kirche aus zwei Lungenflügeln bestehe – dem Osten und dem Westen. Seit fast hundert Jahren bereichert nun die Syro-Malankarische Kirche als Teil der östlichen Christenheit wieder das vielgestaltige Glaubensleben der Katholischen Kirche.
 


Die heilige Qurbono – Die Messe der Syro-Malankara Christen
Die heilige Messe der Syro-Malankara Christen wird Qurbono (syrisch für Opfer) genannt. Sie stellt ein heiliges Geschehen dar, an dem die Gläubigen gemeinsam partizipieren. Die gesamte Heilsgeschichte – von der Schöpfung bis zum Tag des Jüngsten Gerichts – entfaltet sich dabei in den vielfältigen Symbolen, Zeichen und liturgischen Handlungen. Die Kirche selbst wird zur Ikone der Schöpfung. Der Altar repräsentiert die himmlische Sphäre und das Kirchenschiff die irdische. Die Messe wird gen Osten gefeiert. Schon in dieser Richtung drückt sich der Fluchtpunkt der Messe aus: Der auferstandene Christus, die neue Sonne, das in ihm anbrechende Gottesreich. Der Priester zelebriert also in die gleiche Richtung blickend wie die Gemeinde. Mit ihr zusammen blickt er gen Osten und ruft Christus an. Für die Liturgie des Wortes, das Austeilen der Kommunion und den Segen wendet er sich der Gemeinde zu. Der Priester hat die rituelle Funktion, zwischen diesen Sphären zu vermitteln. Als Gesandter der Gemeinde tritt er vor Gott und vermittelt dessen Gnadengaben wiederum zurück an die Gemeinde.

Das Wirken Gottes vor der Inkarnation
Die Messe beginnt mit dem Entzünden einer Kerze auf dem Altar – «Es werde Licht» (Gen 1,3). Die grosse Handlung der Heilsgeschichte beginnt mit dem ersten Schöpfungstag. In einer Syro-Malankarischen Kirche ist ein Vorhang Teil der Liturgie, der den Bruch in der Gottesbeziehung symbolisiert, wenn er gezogen wird. Wird er geöffnet, soll die heilsame göttliche Zuwendung zum Menschen ausgedrückt werden. In Entsprechung zum Sündenfall wird zu Beginn der Vorhang gezogen. Die Gabenbereitung besteht aus zwei Teilen: der Liturgie Melchisedeks und Aarons. Es entrollt sich hier das alttestamentarische Zeugnis des Volkes Israel, dessen priesterliches Erbe im Christentum fortlebt.

Gott wird Mensch
Zu Beginn der Liturgie des Wortes wird der Vorhang geöffnet – das Wort wird Fleisch. Durch die Inkarnation Gottes im Menschen Jesus von Nazareth wird die Beziehung zwischen Mensch und Gott wiederhergestellt. Die rituellen Handlungen, die folgen, stellen das öffentliche Wirken Christi bis zur Kreuzigung dar. Es folgt die Erinnerung an das letzte Abendmahl mit der Einsetzung der Eucharistie. Das Zentrum dieses Teils machen drei Gebete aus: das Gloria, die Einsetzungsworte und die Herabrufung des Heiligen Geistes auf Brot und Wein.
 


Kreuz und Auferstehung
Der Vorhang wird wieder geschlossen, während das Brot gebrochen wird. Christus stirbt am Kreuz. Die zugewandte Nähe Gottes wird vom Menschen zurückgestossen; doch der Tod hat nicht das letzte Wort. Christus wird von den Toten auferweckt. Der Vorhang geht auf und die Gemeinde betet vertrauensvoll das Vaterunser. Die Gaben werden analog zur Himmelfahrt Christi erhoben. Bei geschlossenem Vorhang kommuniziert der Priester. Dann wendet er sich mit den konsekrierten Gaben der Gemeinde zu. Der Vorhang geht auf. Die Gemeinde kommuniziert nun, während sich die Wiederkunft Christi in der Eucharistie und dem Schlusssegen schon im Hier und Jetzt andeutet. In Gebet, Gesang und Ritus fächert sich die gesamte Heilsgeschichte mitten in der Gemeinde auf. Der ewige Gott, der Gestern, Heute und Morgen in sich birgt, bricht in das Leben der Gläubigen ein und lässt sie an seiner Heiligkeit teilhaben.

Gegenwart und Zukunft
Die Syro-Malankarische Kirche zählt etwa 500 000 Gläubige weltweit. Es ist eine kleine Kirche, die zudem oftmals in der Diaspora zu bestehen hat. Pater George Mathew OIC (ein Syro-Malankarischer katholischer Priester, der der religiösen Kongregation Bethany Ashram angehört und an der Universität Fribourg promoviert) sprach mit swiss-cath.ch über die aktuelle Situation seiner Kirche. Die Dominanz von Wissenschaft und Technik, säkulare Ideologien und die sinkende Geburtenrate in christlichen Familien seien auch in Indien ein Problem für das Glaubensleben.

In der Diaspora fehlten ihnen zudem die finanziellen Mittel, um eigene Kirchen nach der antiochenischen orientalischen Tradition zu unterhalten. So sind sie für ihre liturgischen Feiern auf die bestehenden lateinischen Kirchen angewiesen. Sie sind der Katholischen Kirche in der Schweiz und dem Schweizer Volk dankbar für ihre Unterstützung, die der Syro-Malankarischen Gemeinschaft hilft, in ihrer Tradition und christlichen Kultur zu wachsen.

In Indien ist das Verhältnis zwischen den Religionen alles andere als friedlich. Die Katholische Kirche in Indien engagiere sich aktiv in der Mission in Indien und in anderen von Armut betroffenen Ländern, inspiriert und geleitet durch den Heiligen Geist, erklärt Pater George. In den seltenen Konfliktsituationen, die es dennoch gebe, werde die Kirche von der göttlichen Vorsehung des Allmächtigen geleitet und gelenkt, beteuert er.

Die Syro-Malankarische Kirche ist stolz darauf, Teil der katholischen Gemeinschaft zu sein und so an der spirituellen Erneuerung und dem theologischen Wachstum des Christentums und der Menschheit mitzuwirken. «Lasst uns beten», schliesst Pater Mathew das Gespräch, «dass die christlichen Werte uns allen zum Segen werden und dass wir einander helfen, im Glauben und im Zeugnis für Christus zu wachsen, wo immer wir sind, gemeinsam und vereint.»


Silvan Beer

Silvan Beer studiert gegenwärtig Theologie und Philosophie in Freiburg i. Ü.


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Bemerkungen :

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    Manuel Sebastian 28.01.2023 um 17:49
    Herzlichen Dank für diesen Artikel. Wir (Lateinische Ritus) leben in einer spezieller Zeit der Kirche hier mindestens in Europa. Da momentan keine Klarheit mehr in der Kirche gibt, können wir gut an die Orthodoxen Kirche, sprich an Orientalische Kirche und orientieren und lernen, was der Glaube ist und wie wir Pflegen soll.
  • user
    Max Ammann 28.01.2023 um 09:54
    Vielen Dank für den schön geschriebenen Artikel! Die historischen Ausführungen waren lehrreich, die Stimmung wurde spürbar wiedergegeben und der Beschrieb der Liturgie übersetzte die symbolisch-sakramentale Schönheit verständlich.

    Der Reichtum der katholischen Ostkirchen ist für uns im Westen nach wie vor ein weitgehend unentdeckter Schatz und Quelle der Inspiration. Gerade die indische Kirche, sei sie nun malabarisch oder malankarisch, zeichnet sich durch viel Dynamik und Glaubensfeuer aus - zumindest bezeugen dies die mir bekannten Priester und Laien des Subkontinents. Wer weiss wie ein Brief des "Heiligen Paulus an die Gemeinde in Kerala" ausgesehen hätte.