Im Dokument «Orientalium Ecclesiarum» des 2. Vatikanischen Konzils wurde diese Wertschätzung weiter ausformuliert. In der Gemeinschaft aller Teilkirchen im geteilten Glauben und unter der Leitung des römischen Bischofs findet eine kirchliche Struktur zu ihrem Ausdruck, die nicht durch Uniformität, sondern durch eine Einheit in der Vielgestaltigkeit besticht. Die liturgischen Wurzeln der Ostkirchen reichen weit zurück bis in die Wiege des Christentums im Nahen Osten. Sie bereichern die Kirche durch die Pflege ihrer Traditionen, die in vielgestaltiger kultureller Prägung gelebt werden. In einer Zeit der liturgischen Konfusion, in der viele Laien und sogar Priester die lebendige Beziehung zur heiligen Messe verloren haben, mag uns der Blick nach Osten bestärken, dass ein tiefes, sich aus dem Überlieferungsschatz der Kirche speisendes sakramentales Leben auch heute möglich ist. Wir beginnen unsere Reihe über die mit Rom verbundenen Ostkirchen mit einem Beitrag über die Syro-Malankarische Kirche Indiens.
Die Syro-Malankarische Katholische Kirche Indiens
Einmal im Monat feiert die Syro-Malankarische Gemeinde der Schweiz in den Kirchen St. Josef in Bern und Bruder Klaus in Urdorf. Die schlichte Kirche St. Josef aus den Neunzigerjahren wird dabei von einer eigentümlichen Stimmung erfasst. Bunte, mit Gold bestickte Tücher werden auf Altar und Ambo ausgebreitet; die edlen Farben und Muster verwandeln den Raum. Ein hölzernes Thomaskreuz steht auf dem Altar. Eine sakrale Fülle zieht an diesem regnerischen Sonntag in die Kirche ein, die sogleich ein wenig wärmer erscheint. Es scheint fast, als habe sie sich nach Farbe, Weihrauch und Gesang gesehnt.
Der Apostel Thomas in Indien
Die Geschichte der Syro-Malankarischen Kirche reicht weit zurück in die Vergangenheit. Nach der kirchlichen Überlieferung hat Thomas der Apostel das Christentum nach Indien gebracht. Im Jahr 52 n. Chr. soll er die südindische Provinz Kerala erreicht haben. Er gründete sieben Kirchen und bekehrte viele zum Glauben, bevor er zwanzig Jahre nach seiner Ankunft das Martyrium erlitt. Die indischen Christinnen und Christen, die sich als Nachfahren dieser sieben Kirchen verstehen, bezeichnen sich bis heute als Thomaschristen. Jahrhundertelang lebten die Thomaschristen als eine ungeteilte Kirche, die seit ihrer Gründung in Gemeinschaft mit der Katholischen Kirche stand.
Spannungen unter portugiesischer Herrschaft
Portugal baute seit dem 16. Jahrhundert seine Macht in Indien aus. Damit verbunden waren vielfache Bestrebungen, die Thomaschristen zu latinisieren. Einheimisches Brauchtum und die syrische Liturgie wurden abgelehnt. Die Portugiesen verfolgten die Strategie, westliche Gepflogenheiten in Indien durchzusetzen. Dazu kamen kirchenpolitische Entscheidungen, die die Thomaschristen vermehrt unter die Kontrolle des Königs von Portugal zwangen. Dies führte zu grossflächigen Unruhen unter der Bevölkerung, die 1653 mit dem sogenannten «Schwur vom schiefen Kreuz» zum Schisma führten. Dabei banden einige Thomaschristen ein Seil um ein freistehendes Kreuz, hielten es gemeinsam fest und legten damit einen Schwur ab, sich niemals der portugiesischen Machtausübung zu beugen. Diese Geste war nicht gegen die Römische Kirche gerichtet, sondern gegen die portugiesische Bevormundung. Dennoch führte sie zum Auseinanderbrechen der bis dahin geeinten indischen Christenheit. Nach und nach verzweigte sich das indische Christentum in viele verschiedenen Gruppierungen. Dabei blieb die Syro-Malabarische Kirche katholisch. Die Malankara Kirche hingegen spaltete sich ab. Es folgte eine Zeit chaotischer kirchenpolitischer Verhältnisse. In diesen schwierigen Verhältnissen geschah es, dass die Malankara Kirche den bis anhin gebräuchlichen ostsyrischen Ritus ablegte und den antiochenischen annahm. Dies ergab sich aus der notwendigen bischöflichen Sukzession eines eigenen Kirchenoberhauptes. Ein solcher war nicht zugegen und Rom gelang es in der Konfliktsituation nicht, Abhilfe zu schaffen. Somit schloss man sich der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien an, zu der nun Kontakte gepflegt wurden. So entstand die Syro-Malankarische Kirche, die noch fast drei Jahrhunderte von Rom getrennt blieb.
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Der Reichtum der katholischen Ostkirchen ist für uns im Westen nach wie vor ein weitgehend unentdeckter Schatz und Quelle der Inspiration. Gerade die indische Kirche, sei sie nun malabarisch oder malankarisch, zeichnet sich durch viel Dynamik und Glaubensfeuer aus - zumindest bezeugen dies die mir bekannten Priester und Laien des Subkontinents. Wer weiss wie ein Brief des "Heiligen Paulus an die Gemeinde in Kerala" ausgesehen hätte.