Pater Rolf Schönenberger. (Bild: Niklaus Herzog/swiss-cath.ch)

Hintergrundbericht

Pater Rolf Schö­nen­ber­ger: Ost­eu­ro­pa­hilfe im Ver­trauen auf die Vorsehung

Seit 32 Jah­ren unter­stützt «Ost­eu­ro­pa­hilfe – Tri­umph des Her­zens» die not­lei­dende Bevöl­ke­rung in den ehe­ma­li­gen Län­dern der Sowjet­union. Schwer­punkt ist zur­zeit wegen des andau­ern­den Kriegs die Ukraine. «Swiss​-cath​.ch» hat sich mit Pater Rolf Schö­nen­ber­ger, dem «Aus­hän­ge­schild» des Hilfs­werks, zu einem Gespräch in sei­ner Hei­mat­stadt Wil SG getroffen.

72 Jahre alt wird er demnächst, und immer noch ist der am 29. September 1953 geborene Priester im Einsatz, gerade erst ist er von einer Reise aus Osteuropa zurückgekehrt. Die Rede ist von Rolf Schönenberger. Zusammen mit drei Geschwistern in Wil SG aufgewachsen, maturierte er an der Klosterschule Einsiedeln. Es folgten theologische Studien an der päpstlichen Lateran-Universität in Rom und Innsbruck.

Nach seiner am 8. Dezember 1992 in Fatima erfolgten Priesterweihe gründete er in der slowakischen Diözese Rožňava das Werk «Osteuropahilfe – Triumph des Herzens». Damaliger Diözesanbischof war Eduard Kojnok. Mit Elan und Begeisterung nahm Pater Schönenberger seine Arbeit auf: 1994 gründete er den ersten Stützpunkt in Kiew, zwei Jahre später folgte die zweite Niederlassung in Moskau.

Eine Orgel für Moskau
«Ich arbeite mit der Vorsehung», erläutert Pater Schönenberger im Gespräch mit «swiss-cath.ch». Es ist dies ein Vorsehungsglaube, der buchstäblich «Berge versetzt». Einer dieser «Berge»: Die in die Jahre gekommene Orgel des Basler Münsters. Nach 40 Jahren im Dienst sollte sie 2004 einer neuen Orgel Platz machen. Für 400 000 Franken wurde sie ausgeschrieben, doch es meldete sich niemand. Als unvermittelt die neuen Orgelpfeifen angeliefert wurden, war rasches Handeln angesagt. Die zuständige Kirchenbehörde bot nun die alte Orgel für 60 000 Franken an. Als Pater Schönenberger davon Kenntnis erhielt, erinnerte er sich an Tadeusz Kondrusiewicz, der unlängst zum Erzbischof der katholischen Kirche in Moskau ernannt worden war und händeringend um die Lieferung einer Orgel bat. Pater Schönenberger hatte die Prioritäten anders gesetzt, wollte zuerst den Armen in der Grossregion Moskau helfen, doch auf das wiederholte Drängen des Erzbischofs willigte Pater Schönenberger im Vertrauen auf die Hilfe der Mutter Gottes ein. Sein «Deal»: Wenn Kurt Koch, der damalige Bischof der Diözese Basel, 10 000 Franken beisteuert, werde er für den «Rest» besorgt sein.

Der «Deal» klappte – mit Unterstützung von Hubert Liebherr und dessen Verein «Kirche für den Osten». 30 Handwerker konnten für den Abbau der 5600 Orgelpfeifen gewonnen werden; auf zwei Sattelschleppern wurden sie nach Moskau transportiert. Der damalige, wegen seiner Volkstümlichkeit populäre Bürgermeister von Moskau, Juri Luschkow, wollte sich die Orgel für seinen geplanten Mega-Vergnügungspark unter den Nagel reissen. Mit knapper Not gelang es, ihn von dieser Zweckentfremdung abzuhalten. Mitten in dieser turbulenten Zeit erhielt Pater Schönenberger einen Telefonanruf eines bekannten Orgelbauers aus Kaufbeuren im Allgäu. Dieser hatte in den sozialen Medien von diesem Projekt erfahren und anerbot sich, die Orgel in Moskau kostenlos wieder aufzubauen, sofern ihm das Flugticket bezahlt würde. Abgemacht. Am 16. Januar 2005 war es so weit; Erzbischof Kondrusiewicz konnte während der Einheitswoche der Christen die Orgel unter Anwesenheit zahlreicher Repräsentanten der Politik und der orthodoxen Kirche einweihen. Das Echo auf die Einweihung der grössten Orgel in ganz Russland war gross. Die als Konzertorgel gebaute «Königin der Instrumente» kommt in der Moskauer Kathedrale wegen ihrer hervorragenden Akustik optimal zur Geltung und ist fast zu einer Art Wallfahrtsort westlicher Organisten geworden.
 


Eine Druckerpresse für Kiew
Nicht nur nach Moskau, sondern auch nach Kiew hat Pater Schönenberger «Berge versetzt». Dieses Mal keine Orgel, sondern eine Druckmaschine, genauer ein voll funktionsfähiges Occasions-Exemplar einer der weltweit als Goldstandard geltenden Heidelberger Druckmaschinen. Für 160 000 Franken wurde sie der Osteuropahilfe angeboten. Gerade zur rechten Zeit, denn mit der Implosion des Sowjetkommunismus brach auch die industrielle Infrastruktur weitgehend zusammen, nicht zuletzt die Produktion von Druckerzeugnissen jeglicher Art. Im riesigen Kombinat «Polygraph Kniga» mit seinen tausenden Arbeitskräften hatte das Sowjetregime zwecks Überwachung der Bevölkerung die Herstellung aller Printerzeugnisse monopolisiert.

In einer der leer stehenden Fabrikhallen konnte die Heidelberger Druckmaschine installiert werden – als Basis für den Aufbau einer ökumenisch ausgerichteten Druckerei. Der Schreibende konnte sich vor Ort selbst vom erfolgreich vollzogenen Ortswechsel dieser Premium-Druckmaschine ein Bild verschaffen. Nach Jahrzehnten der Unterdrückung und Verfolgung waren die Kirchen zwar wieder frei, aber völlig mittellos. Der Bedarf an kirchlichen Druckerzeugnissen war enorm – von Bibeln über Gesangbücher bis zu Materialien für die Katechese.

Besonders gefragt waren die Dienste der Druckerei, als Papst Johannes Paul II. im Jahr 2001 Kiew besuchte. Es galt, die Drei-Millionen-Stadt auf diesen Jahrhundertpapst aufmerksam zu machen, dem die Versöhnung von Ost- und Westkirche eine Herzensangelegenheit war (seine Mutter stammte aus der Ukraine) und der entscheidend zur friedlichen Überwindung der Sowjetdiktatur beigetragen hatte. Für die Osteuropahilfe war es deshalb eine Selbstverständlichkeit, für den Papstbesuch die erforderlichen Informationsmaterialien bereitzustellen. Als Anerkennung für die publizistische Unterstützung erlaubte die orthodoxe Kirche, dass vor dem berühmten Höhlenkloster, einem der wichtigsten Zentren des orthodoxen Christentums, mit Plakaten auf den Papstbesuch aufmerksam gemacht werden durfte.

Es war eine Zeit der Illusionen, gewiss, aber auch des ehrlichen Bemühens um Verständigung zwischen ehemaligen Klassenfeinden; eine Zeit auch, in der die Wiedervereinigung zwischen Ost- und Westkirche zum Greifen nahe schien. «So viel Zukunft war nie», orakelte das deutsche Wochenblatt «Die Zeit» und umschrieb damit punktgenau das damals vorherrschende Lebensgefühl.

Allein, es sollte anders kommen, ganz anders. Ein kapitalistisches Raubrittertum machte sich breit, der ideologische Feind war ja besiegt, auf soziale Grundrechte der arbeitenden Bevölkerung brauchte nicht mehr Rücksicht genommen zu werden. In einem – zumindest vorübergehend – rechtsfreien Raum galt plötzlich das Recht des Stärkeren. Einige wenige Superreiche, Oligarchen genannt, bemächtigten sich mit viel krimineller Energie der schier unerschöpflichen Bodenschätze. Höchst fragwürdige Errungenschaften westlicher Konsumgesellschaften überschwemmten das russische Riesenreich, die eigene Produktion brach weitgehend ein.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis es zu einem Gegenschlag des in seinem Stolz, in seinem Selbstwertgefühl zutiefst verletzten russischen Volkes kommen würde. Dass dieser Gegenschlag allerdings so brutal und wider grundlegendste Normen des Völkerrechts erfolgen würde, ahnte niemand. Seit Februar 2022 ringt die Ukraine um ihre Existenz, kämpft sie gegen den mörderischen, auch Spitäler, Schulen und Altersheime nicht verschonenden Angriffskrieg Putins – ein Iwan der Schreckliche in neuem Gewand.

«Inter arma silent musae» – im Krieg schweigen die Musen – wussten schon die alten Römer. Ins Heute übersetzt: Jetzt hat nicht der Einbau von Orgeln und Druckpressen Priorität, sondern humanitäre Hilfe für die elementarsten Alltagsbedürfnisse der kriegsversehrten Bevölkerung.
 


Dazu ist die «Osteuropahilfe – Triumph des Herzens» gut gerüstet. Dem Hilfswerk kommt zustatten, dass die Ukraine bereits seit Beginn der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts zusammen mit Rumänien einen Schwerpunkt bildet. Pater Rolf Schönenberger – er ist in der Diözese Chur inkardiniert und wurde von Bischof Vitus Huonder für seine Tätigkeit freigestellt – erwähnt gegenüber «swiss-cath.ch» als eines von vielen Beispielen den rund 90 Kilometer südlich von Kiew gelegenen Stützpunkt für Hilfsgüterlieferungen (Malopolovetske). Gleichzeitig wird dort ein Sozialzentrum aufgebaut: Im Parterre werden eine Tagesklinik und eine Mensa für die Essensausgabe für Bedürftige errichtet. Darüber fünf Wohnungen für alleinstehende Mütter mit ihren Kindern sowie sechs Wohnungen für Binnenflüchtlinge aus der Ostukraine.

Sehnsucht nach Frieden
Der Newsletter des Hilfswerks («Hilfe, die ankommt») vom April 2025 vermittelt ein eindrückliches Bild von seiner länderübergreifenden Präsenz. Die Hilfstransporte gelangen nicht nur in die Ukraine, sondern auch in die baltischen Staaten sowie nach Moldawien und Rumänien, Bosnien und Albanien. Über 4000 Hilfstransporte hat die «Osteuropahilfe – Triumph des Herzens» in den vergangenen 32 Jahren durchgeführt. Aber klar steht zurzeit infolge der andauernden russischen Aggression die Ukraine im Zentrum: Jede Woche erreichen vier bis fünf Sattelschlepper dieses kriegsversehrte Land – beladen mit Nahrungsmitteln, chirurgischen Instrumenten, Medikamenten, Transfusionssets und Anästhetika.

Dank jahrelangem Einsatz eigener Vertrauensleute und der Kooperation mit lokalen Vertretungen der Caritas und des Roten Kreuzes besteht Gewähr, dass die Hilfsgüter unter Vermeidung von Doppelspurigkeiten und mit einem minimalen Verwaltungsaufwand direkt und kostenlos den Bedürftigen zugutekommen.

«Die Menschen in der Ukraine wünschen sich nichts sehnlicher als den Frieden», sagt Pater Rolf Schönenberger abschliessend zu «swiss-cath.ch». Die Kriegsmüdigkeit ist nur allzu verständlich. Ihr entspricht – auch irgendwie verständlich nach dem seit drei Jahren andauernden Krieg – spiegelbildlich eine Spendenmüdigkeit in den westlichen Ländern. Aber gerade jetzt, wo die politischen Verwerfungen auf höchster Ebene die Friedensaussichten wieder verdunkeln, ist unser Solidarität gefragter und notwendiger denn je. Denn das ukrainische Volk kämpft nicht nur um seine, sondern auch um unsere eigene Freiheit.

 

Spendenkonto
Raiffeisenbank, Hauptstrasse 25, 9400 Rorschach
IBAN CH47 8080 8004 4868 0778 4


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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