Bündner Wappen mit dem Interviewpartner Paul Widmer (zVg)

Interview

Pax Christi in uns, in unse­rem Land und auf der gan­zen Welt

In unse­rer Som­mer­se­rie ‘Warum ich gern katho­lisch bin’ berich­tet Paul Wid­mer über die Wie­der­ent­de­ckung des Bünd­ner Kir­chen­kom­po­nis­ten Renato Maranta und die heute erfol­gende Über­füh­rung von Reli­quien unse­res Lan­des­pa­trons Niklaus von Flüe in die Kapelle des hei­li­gen Kreu­zes in San Vit­tore im Misox.

Angaben zur Person (Ausbildung, aktueller Familienstand, berufliche Tätigkeit)
Ich habe in Zürich und München Philosophie, Geschichte und klassische Philologie studiert, war Assistent an der Universität St. Gallen, arbeitete als Lehrer und leitete Bildungshäuser in Deutschland und in der Schweiz, sowie ein Institut für interkulturelle Bildung und einen Verein und Thinktank für wirtschaftsethische Fragen der Globalisierung, der den Namen eines namhaften ungarischen Jesuiten und Chinaforschers trägt, mit dem Nachnamen Ladanyi. Ich bin verheiratet und habe eine Tochter, die eben das Jusstudium aufnehmen wird.

Jüngst wurdest Du in die Kirchenpflege der Kirchgemeinde der Stadt Winterthur gewählt. Was hat dich zur Kandidatur für dieses Amt bewogen? Welche Erwartungen verbindest du damit?
Die Kirchgemeinde ist eine subsidiäre Institution, die Verantwortung trägt, dass die katholische Kirche ihren Auftrag unter bestmöglichen Bedingungen erfüllen kann. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben besteht darin, die Gelder, die aus den Einnahmen der Kirchensteuern der Stadt entspringen, effizient und weitsichtig einzusetzen. Im Mittelalter bis in die frühe Neuzeit war die Kirche in Europa nicht nur für die rein kirchlichen und liturgischen Aspekte zuständig, sondern fast für die ganze Ausbildung und das Gesundheitswesen. Heute sind in Europa diese Aufgaben weitgehend vom Staat und von anderen privaten Einrichtungen übernommen worden, aber der ganzheitliche Einsatz für das Wohl des Menschen bleibt immerfort ein Wesenszeichen der katholischen Kirche. Heutzutage fördert sie gemäss dem reichhaltigen Fundus ihrer Soziallehre Institutionen vor Ort und in der Welt, welche sich um das Wohl der Menschen einsetzen, wo andere Institutionen an ihre Grenzen gelangen.

Dein Vater wirkte in den Sechzigerjahren als Chirurg am Missionsspital der Kapuziner in Ifakara, einer Stadt im Inneren Tansanias, war danach lange im Vorstand des Missionsärztlichen Vereins (heute Solidarmed) und leitete über mehrere Jahrzehnte die Hilfsorganisation Medicus Mundi Schweiz und Medicus Mundi International. Welche Eindrücke hat Dir sein Wirken für medizinische Entwicklungszusammenarbeit hinterlassen? Wie muss eine sinnvolle Entwicklungshilfe aussehen?
In der Tat waren Fragen der Entwicklungshilfe oft ein Thema am Mittagstisch unserer Familie. Deutliche Spuren hatten auch zahlreiche Besuche von Menschen, die in diesen Ländern wirkten, seien es Missionare, Ärzte oder auch Gesundheitsminister afrikanischer Staaten.

Für die Beurteilung der Entwicklungshilfe spielen viele Faktoren eine entscheidende Rolle. Erstens gilt es die volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten mit Neugier und Unvoreingenommen gründlich unter die Lupe zu nehmen, die langfristigen Ziele klar vor Augen zu halten und den Projekten als sinnvolle Mosaiksteine zu ihrer nachhaltigen Erfüllung auf den Zahn zu fühlen. Professionalität ist immer unabdingbar. Entscheidendes Ziel ist es sowohl anhaltende Not zu beseitigen wie auch Abhängigkeiten zu verringern und die freie Entfaltung der Menschen und ihrer Kultur zu fördern.

Weitere Aspekte vielversprechender Projekte sind ihre Vernetzung in einem gesamtheitlichen volkswirtschaftlichen Rahmen, und die durchgängige Kooperation mit lauteren Personen und vertrauenswürdigen Partnerorganisationen, die stets bedacht sind, die jeweiligen Situationen und neue Gegebenheiten bescheiden und offen geistig anzupacken. Ohne Menschen, die mit Herzblut und Beharrlichkeit gegen tausend Widerstände ihr Bestes geben, um bescheiden zu dienen, lässt sich kaum etwas Generationenübergreifendes aufbauen.

Mithin ist eine umfassende und auch metaphysisch verwurzelte Brüderlichkeitsvision letztendlich immer der Hintergrund fruchtbarer Entwicklungszusammenarbeit. Daher ist es nicht verwunderlich, dass nach wie vor Kirchen oder kirchennahe Organisationen im Bereich der Entwicklungshilfe federführend sind. In Afrika liegt immer noch ein Grossteil der Spitäler und Schulen in ihrer Obhut. Mithin leuchtet die besondere Bedeutung einer guten Theologie ein, die den Würdegrund des Menschen aufleuchten lässt im Worte Gottes, im Wesensgrund des Absoluten.

Im Alltag ist es wichtig, dass man Entwicklungszusammenarbeit auch in ihrem Selbstwert als Kulturdimension sieht, in der ein gegenseitiges Lernen und Wachsen in unterschiedlichen Dimensionen der Zivilisation gepflegt wird, teils durchwegs auch als Abendteuer erlebt wird und die beteiligten Menschen in spontaner Wertschätzung und Sympathie zusammenwachsen lässt.

Du bist an Musik, vor allem an kirchlicher, sehr interessiert. Besonders setzt du Dich für das Erbe des Bündner Kirchenkomponisten und Organisten Renato Maranta (1920-1954) ein. Wie bist du darauf gestossen? Wird er heute noch aufgeführt?
Mein Talent, Musikinstrumente zu spielen, hält sich in sehr engen Grenzen, aber Musik begleitet mich seit meiner Kindheitszeit, als es mir etwa im Alter von 4 Jahren gelang, Musikkassetten der Eltern selbständig abzuspielen, wenn sie nicht zuhause waren. In Erinnerung bleiben mir besonders die Suiten von Bach und die Hornkonzerte von Mozart, die in glücklichen Augenblicken immer wieder aufklingen und so nahm mein Interesse für klassische Musik, aber auch für Musik aus allen Herren Ländern seinen Lauf. So liess ich mich vor 6 Jahren vom Bündner Historiker und Schriftsteller Massimo Lardi gerne überzeugen im Hinblick auf das hundertste Geburtsjubiläum von Renato Maranta gemeinsam eine Tagung im Oktober 2020 zu organisieren, im Anschluss daran seine Werke allenthalben in Archiven und Bibliotheken gründlich aufzustöbern und seine Noten und Schriften in drei Bänden beim Verlag der Pro Grigioni Italiano in Chur in gediegener Form zu veröffentlichen. Wie auch jüngst Prof. Alois Koch in der Mai-Edition der Zeitschrift "Musik & Liturgie" festhält, hat sich der grosse Aufwand gelohnt, denn er bezeugt, dass die Musik Marantas den grossen kirchenmusikalischen Beiträgen der Vierzigerjahre zuzuzählen ist. Die bedeutendste Überraschung bestand aber in der Auffindung eines Vordrucks des von ihm gänzlich eigenständig komponierten und gedichteten Canzoniere del Grigioni Italiano, einem  Gesangsbuch für Italienisch Graubünden. Die feine Poesie seiner Dichtung und die gleichzeitig noblen wie auch volksverbunden, frisch klingenden Melodien seiner fast 80 erhaltenen Werke sind Ausdruck der hehren Bestrebungen der geistigen Landesverteidigung, aber ihre tiefe Ausdruckskraft bleibt auch über die Jahrzehnte ungemindert.

Am Abend des 1. Novembers 2024 wird seine Missa Christus Rex in der Kirche St. Luzi in Chur aufgeführt und dasselbe am Abend des 3. Novembers in der Hauptkirche von Poschiavo. Achtung: Das Konzert wird erst im Jahr 2025 stattfinden. Die Daten sind noch nicht bekannt. (Nachtrag vom 30. September 2024)

Am 1. August findet in der Probsteikirche von San Vittore (Misox) ein feierliches Pontifikalamt statt, unter Mitwirkung von Bischof Joseph Maria Bonnemain und Vigeli Monn, Abt von Disentis. Anschliessend findet eine Überführung von Reliquien unseres Landespatrons Bruder Klaus in die Kapelle des heiligen Kreuzes in San Vittore statt. Was hat es damit auf sich?
Diese Feier verdankt sich in erster Linie dem jahrelangen unablässigen Einsatz des Philologen und engen Familienfreundes Charles Gallo, der in England aufgewachsen und in Cambridge studiert hat, dann in Luzern unterrichtete und seit einigen Jahren wieder im Haus seiner Altvordern in San Vittore wohnt und ebenda stellvertretender Leiter der Kirchenpflege geworden ist. Im Anschluss an seinen Einsatz für den Verein Schweiz-Libanon konnte er vor einigen Jahren Reliquien des maronitischen Heiligen und Mönchseremiten des 19. Jahrhunderts, Scharbel Machluf, in die Kirche Santa Croce von San Vittore überführen. Mithin ist diese Kapelle als Ort der Versöhnung und Friedensbesinnung prädestiniert.

Dieses Jahr feiert Graubünden das 500ste Jubiläum des Bundstages und mithin der politischen Selbstbestimmung und Anlehnung an die Eidgenossenschaft als zugewandten Ort. Das war Anlass, auch Reliquien des Hl. Niklaus von Flüe zur Kirche Santa Croce in San Vittore zu überführen und dem Heiligen aus dem Libanon beizugesellen. Dies wird am 1. August in San Vittore durch eine feierliche Messe und Prozession erfolgen. Im Gottesdienst in der Probsteikirche wird eine Messe von einem renommierten Chor gesungen, die der jüdische Leiter der Scala Vittore Veneziani während seines Exils in Roveredo 1943 aus Dankbarkeit für die lokale Schule einst komponiert hat. Diese ausserordentliche Feier zum Jubiläum Graubündens ist damit verknüpft mit einem Aufruf an alle, den Geist des Friedens und Christi Herrschaft in uns, in unserem Land und auf der ganzen Welt mehr und mehr walten zu lassen. Mithin ist jeder, der über den San Bernardino in den Süden fährt, herzlich eingeladen, in San Vittore kurzen Halt zu machen, in Santa Croce für den Frieden zu beten und danach in einem Grotto Erfrischung zu finden.

Schliesslich eine generelle Frage: Was bedeutet dir die katholische Kirche? Was erhoffst du dir für die katholische Kirche?
Dazu müsste ich fast schon eine Abhandlung schreiben, aber ich greife nur drei Stichworte auf:

Geistige Offenheit: Im Glaubensbekenntnis wird schon in den ersten Jahrhunderten betont, dass die Kirche katholisch, d.h. alldurchwaltend sei. Das Wesen des Alldurchwaltenden wird in der Metaphysik des Aristoteles anhand der Bestimmungen, die jedem Seienden als Seienden auf irgendeine Weise zukommen, reflektiert, nämlich den sogenannten Transzendentalien des Einen, Wahren und Guten. Hinzu kann man auch das Andere und das Schöne zählen, wie z.B. beim Hl. Thomas von Aquin. Die katholische Kirche ist für mich mithin ein Ort, eine Gemeinschaft der bedingungslosen Ausrichtung auf die Wahrheit, auf die Güte und das Schöne und ihre Verflochtenheit, und dies bezeugt die christliche Geistesgeschichte und ihre Kunst in der ich mich beheimatet sehe. Eine der wichtigsten institutionellen Errungenschaften und Früchte sind die Universitäten und die allenthalben verbreiteten Schulen und Spitäler. Es ist also ein Geist der Offenheit, der respektvollen Begegnung, der bescheidenen vorurteilslosen Lernbereitschaft von allen, der Konfrontation der Argumente, des herrschaftsanfechtenden freien Diskurses, der Beratschlagung in Gremien (Rathäuser), die das Christentum aus der Antike geerbt und auf immer neue Weise bestimmt ist, voranzubringen als prophetischen Rammbock gegen die Gewalt, die Anmassung und den Stumpfsinn der Machthaber des Weltlichen.

Standfestigkeit: Durch die ehrfurchtvolle Bewahrung, das Studium, die Besinnung und Wertschätzung der geistigen Traditionen des Evangeliums, der alten Liturgie, der Weisheitstraditionen der Antike, der antiken Sprachkultur, der Kirchenväter und Kirchenlehrer, grosser Denker unserer Zeit ist die katholischen Kirche immer wieder dazu bestimmt, ein Ort der Besonnenheit zu sein, dem es gelingt, zeitgeistwiderständig zu bleiben, wo Eintagesfliegen als der Weisheit letzter Schluss feilgeboten werden und Massen durch Propaganda zu hysterischer Unbesonnenheit aufgehetzt werden. Besonders eindrücklich zeigte sich das im letzten Jahrhundert am Widerstand gegen die von Hetze und Verlogenheit geprägte Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus und des Kommunismus.

Eschatologische Wandlung: Das katholische Verständnis der Eucharistie, der Anbetung und Wandlung verweist auf die radikale Wandlungsbestimmung unserer Seele und des ganzen Kosmos in Jesus Christus, dem Worte Gottes. Die Tiefe seines Durchblicks unserer Seele ist unermesslich und ebenso jene seines Urteils, an dem ein jeder Christenmensch geheissen ist, seine Gewissensbildung auszurichten. Nur dank dieser ehrfurchterheischenden Blickschärfung leuchtet die Perspektive unserer Bestimmung zu vollkommenem Edelmut in der Neugeburt in Christo und der Glanz der göttlichen Barmherzigkeit, in der wir von A bis Z eingebettet sind, auf. Darin wird die Gnade des ewigen Bundes ersichtlich, beziehungsweise unserer überformenden Zugehörigkeit als Bürger und Streiter eines himmlisch siegreichen Königreiches spürbar und die Göttliche Liturgie dient letztendlich vor allem auch dazu, die Gläubigen in dieser wahren Heimat verbrüdernd zu beheimaten und das bildet das Fundament unserer christlichen Zivilisation, die wir Christenmenschen mehr und mehr entfalten wollen.


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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Bemerkungen :

  • user
    Stefan Fleischer 01.08.2024 um 09:44
    Ja, Friede und die Gerechtigkeit. Da nützen kein noch so lautes Geschrei, keine Forderungen und kein Aktionismus. Das kann diese Welt uns nicht geben, sondern nur Christus, unser Herr und Erlöser «Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben. (Mt 6,33) «Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.» (Joh 14,27) Da nützt nur die Umkehr, die Abwendung von der heutigen Menschzentriertheit zu einer neuen Gottzentriertheit. PAX CHRISTI