So sehr das Wort «Hoffnung» zur Zeit gerade en vogue ist, so schwammig und diffus ist dessen Bedeutung. Eine Begriffsklärung liegt deshalb geradezu in der Luft. Mehr allerdings noch die Frage: Wie können wir ein hoffnungsfrohes Leben führen? Und ist es möglich, Hoffnung im Sinne einer Tugend zu erlernen? Professor Schulze konfrontierte die zahlreiche Zuhörerschaft gleich zu Beginn seines Referats mit diesen Fragen. Fragen, deren Klärungen er im Horizont des grossen Denkers und Kirchenlehrers Thomas von Aquin verortete.
Zunächst wartete Professor Schulze mit einer Anekdote auf. Nach dem Tode von Papst Franziskus wurde er nach dem – leider unrealistischen – Szenario befragt, welchen Namen er sich geben würde, falls er, Schulze, gewählt würde. Spontan gab er zur Antwort: «Papst Leo XIV.!» Wie kommt er nur auf diese Idee? Tatsächlich hatte Papst Leo XIII. zu einem Revival der Philosophie und Theologie des Aquinaten aufgerufen, in dessen Denken das Spannungsverhältnis von Glaube und Vernunft, von Glaube und Wissen einen zentralen Stellenwert einnimmt und eben diesem Denken sich Professor Schulze leidenschaftlich verbunden weiss.
Kein Leben ohne Hoffen
Hoffen ist, so Professor Schulze, für den Menschen essentiell: Atmen, den Sauerstoff einatmen, macht nur dann Sinn, wenn ich hoffen kann, dass mich die eingeatmete Luft auch wirklich am Leben erhält. Gleichzeitig ist es sehr schwierig, Hoffnung philosophisch und theologisch zu begründen. Denn gleich in zweifacher Hinsicht ist Hoffnung der Gefahr ausgesetzt, seines eigentlichen Kernes beraubt zu werden und in konträre Extreme zu kippen. Da ist zum einen die Utopie innerweltlicher Heilslehren, wie sie der Kommunismus geradezu idealtypisch verkörpert, und die – weil völlig realitätsfremd – schliesslich im Zynismus enden. Gefahr droht der Hoffnung auch von der entgegengesetzten Seite: Hoffnung weicht zumal in wohlstandsgesättigten, materialistischen Gesellschaften – sei es in der Spätantike, sei es in westlichen Ländern heute – oft der Sinnleere, der Verzweiflung. Der Suizid als Ausweg gewinnt zusehends an gesellschaftlicher Akzeptanz.
Zunächst einmal, so Professor Schulze, gilt es festzuhalten: Hoffnung hat per se nichts mit Moral zu tun. Auch der Räuber, der in eine Bank eindringt, ist ein Mann der Hoffnung – der Hoffnung auf fette Beute. Für die Stoiker ist die Hoffnung eine blosse Illusion, buchstäblich ein «frommer Wunsch», der sich nie erfüllen wird. Es gelte deshalb, von dieser Selbsttäuschung Abschied zu nehmen. Ernst Bloch, einflussreicher marxistischer Philosoph des 20. Jahrhunderts, verstieg sich seinerseits zur Aussage, nur der kommunistische Märtyrer sei ein wahrer Märtyrer, weil er sich aufopfere für ein zukünftiges, klassenloses Gesellschaftsmodell, ohne von dieser Aufopferung selbst in irgendeiner Weise zu profitieren, auch nicht auf eine Kompensation im Jenseits hoffen könne. Jahre später hielt ihm der Philosoph Günther Pöltner entgegen, dass jemand, der sich selber als Person nicht ernst nimmt, auch niemand anderen als Person ernst nehmen kann.
Angesichts der Gefahr, einer Art Zweifrontenkampf ausgeliefert zu sein, sprich gegen die Utopie zur Linken und gegen die Verzweiflung zur Rechten, hat es die Hoffnung ausgesprochen schwer. Nicht umsonst gilt der Traktat über die Hoffnung als der schwierigste Teil im Werk des Thomas von Aquin.
Für Thomas von Aquin wie für die Kirche ist die Hoffnung eine Tugend. Sie ist wie die anderen Kardinal-Tugenden eine Lebenskraft, aus der heraus der Mensch gut wird und zum Guten strebt. So gesehen ist die Hoffnung die Gegenspielerin der Angst. Aber auch insofern die Gegenspielerin der Freude, als für die Hoffnung noch nicht alle Ziele, zu denen sie hinstrebt, erfüllt sind – sonst gäbe es ja nichts mehr zu erhoffen. Mit der Angst teilt die Hoffnung die Sorge des möglichen Scheiterns. Ergo ist die Hoffnung zwischen den Polen der Angst und der Freude zu verorten.
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Eine der bedeutendsten Studien über die Hoffnung, die nach dem 2. Weltkrieg verfasst wurden, war wohl weniger das oben kritisierte "Prinzip Hoffnung" von Ernst Bloch, der Glaube an den Sozialismus des sog. innerweltlichen Paradieses als vielmehr die hochdifferenzierte Erörterung von Josef Pieper aus dem Jahre 1948 "Über die Hoffnung", wobei Prof. Schulze mit Recht vermerkt, dass der Traktat von Tnomas von Aquin (aus dem 2. Teil des 2. Hauptteils der Summa theologica) zu den schwierigsten Erörterungen der Tugendlehre gehöre. Was Schulze im Zusammenhang mit falschen Hoffnungen "Anmassung" nennt, charakterisiert der sprachstarke Pieper als "Vermessenheit", ein wohl noch präziserer Ausdruck, weil näher an der "ratio", der "zumessenden" menschlichen Intelligenz, deren Mass indes die Schöpfungsordnung zu sein hätte. In diesem Sinn ist Hoffnung mehr als die von Günther Anders auch bei Bloch kritisierte "Hofferei", die vermessene Erwartung, als würden sich die Probleme von selbst lösen. Biblische Hoffnung grenzt sich von der Menschenfurcht ab, welche Thomas "die knechtliche Furcht" nennt, ohne der Furchtlosigkeit der Tollkühnheit zu verfallen, im Sinne der Gottesfurcht: "Wer ohne Furcht ist, kann nicht gerettet werden", mahnt Jesus Sirach 1,28. Hoffnung heisst indes stets, das Ziel noch nicht erreicht zu haben, sich dessen Ungewissheit bewusst zu sein, im Vertrauen auf die Möglichkeit, vom Status viatoris, dem Unterwegssein, zum Status comprehensoris zu gelangen, gemäss Philipperbrief 3,13: das Ziel einer Glückseligkeit, welches "innerweltlich" wohl kaum dauerhaft erreichbar scheint. Eine radikale Aussage findet sich diesbezüglich im Buch Hiob 13.15: "Wenn er mich auch tötet, ich werde auf ihn hoffen." Der Satz passt vielleicht zu Bonhoeffer, der sich bei seiner Hinrichtung indes sehr wohl bewusst war, dass nicht Gott ihn getötet hat. So wie es nicht Gott ist, der uns in die Versuchung führt, eine missverständliche Übersetzung aus dem Herrengebet, von Papst Franziskus zu recht kritisiert, was dem Schweizer Vaterunser-Kenner Prof. Stefan Sonderegger bei seinen umfassenden Forschungen der diesbezüglichen Übersetzungsgeschichte schon vor 50 Jahren bewusst war, im Appenzeller Vaterunser korrigiert: "Loo üüs nüd versuecht see."
Christliche Hoffnung ist Vetrauen in Gott.
So dürfen Frauen weiterhin hoffen, dass sie dereinst innerhalb der kath. Kirche auch Priesterinnen sein können, wenn sie von Gott berufen wurden.