Eingangstür zu den Vatikanischen Archiven mit einem Relief, das die Übertragung der Archive nach Paris durch Napoleon zeigt (Bild: Wikimedia)

Weltkirche

Seit 25 Jah­ren offe­nes Kirchenarchiv

Vor 25 Jah­ren wurde das Archiv des «Dikas­te­ri­ums für die Glau­bens­lehre» geöff­net. Heute sind die Akten bis in die Amts­zeit von Pius XII. (1939 – 1958) zugänglich.

Dass Journalisten und vor allem Wissenschaftler relativ einfach die Räumlichkeiten im Erdgeschoss des «Sant'Ufficio» an der Südwestecke des Vatikans betreten können, haben sie zwei Männern zu verdanken, deren Porträts im Flur des Archivs hängen: Papst Johannes Paul II. und Kardinal Joseph Ratzinger, seinem späteren Amtsnachfolger.

Am 22. Januar 1998 ordnete Papst Johannes Paul II. offiziell die Öffnung des Archivs der einst gefürchteten Römischen Inquisition an. Dafür eingesetzt hatte sich auch der damalige Präfekt der Kongregation, Kardinal Ratzinger. Ein erster Anstoss war jedoch aus Kalifornien gekommen: Von dort schrieb der aus Turin stammende Mittelalterhistoriker Carlo Ginzburg 1979 einen Brief an Johannes Paul II. und bat ihn, die Archive der Inquisition zu öffnen.

Im Vatikan dauert bekanntlich alles etwas länger. So erhielten erst ab 1991 einzelne ausgesuchte Historiker Zugang zum Archiv. Damals kam Alejandro Cifres aus Valencia an die Glaubenskongregation, zunächst als Theologe für Lehrfragen. Der heutige Leiter des Archivs am Dikasterium für die Glaubenslehre wuchs nach und nach in seine Aufgabe hinein. Anfangs sei man dort gar nicht darauf vorbereitet gewesen, standesgemässe wissenschaftliche Arbeit zu ermöglichen, räumte Cifres vor Jahren einmal ein.

Es bedurfte eines Wissenschaftlers wie Joseph Ratzinger, der als Präfekt damit begann, im vatikanischen Durcheinander Pfade für die Forschung anzulegen. Heute sorgt ein neunköpfiger Stab dafür, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt im historischen Archiv forschen können. Voraussetzung sind – wie bei den meisten historischen Archiven – wissenschaftlicher Auftrag und Referenzen.

Das Archiv der Glaubensbehörde besteht aus knapp 4900 Archivbänden der 1542 gegründeten «Sacra Congregatio Romanae et universalis Inquisitionis», 380 Bänden der 1966 abgeschafften Kongregation für die verbotenen Bücher sowie 255 Bänden des Inquisitionsarchivs Siena. Dieser historische Schatz lagert in klimatisierten Kellerräumen des viergeschossigen Gebäudes – brandgeschützt und videoüberwacht.

Ein grosser Teil des Archivs ging verloren, als Napoleon es bei seinem Kultur-Raubzug 1797 durch Italien nach Paris schaffen liess. Den späteren Rückweg traten nicht mehr alle Dokumente an. Vor allem die Akten alter Inquisitionsprozesse fehlen. «Die hielt man damals für uninteressant, ihr historischer Wert wurde nicht erkannt», sagt Cifres. Wobei prominente Fälle wie Galileo Galilei oder Giordano Bruno noch vorhanden sind. Aber über sie war das meiste schon bekannt, bevor das Archiv geöffnet wurde.

Vieles von dem, was noch vorhanden ist, betrifft theologische Debatten. Die meisten der 100 bis 200 Forschungsanträge pro Jahr kommen aus Italien, gefolgt von Anfragen aus dem übrigen Europa und den USA. Aber auch aus China, der Türkei oder Kenia. Die Untersuchungen drehen sich um einzelne Autoren und historische Persönlichkeiten, um Positionen der Kirche zu Naturwissenschaft, Astrologie und Mystizismus, um theologische Kontroversen, teilweise auch um die Beziehungen des Heiligen Stuhls zu einzelnen Staaten und den politischen Systemen des 20. Jahrhunderts.

Öffentlich zugänglich ist der Archivbestand bis in die Amtszeit von Pius XII. (1939–1958). Dessen Pontifikat gab Papst Franziskus am 2. März 2020 frei, nachdem die Archivmitarbeiter das Material einigermassen katalogisiert und teils digitalisiert hatten. Aus dem langen Pontifikat von Pius XII. gibt es auch im Sant'Ufficio sehr viele Dokumente, wie Cifres verriet. Die diplomatisch Spannenden jedoch – zum Zweiten Weltkrieg und Holocaust, aber auch aus den Jahren des Kalten Kriegs und der Unabhängigkeitskriege europäischer Kolonien – liegen in den Archiven des Staatssekretariats sowie dem Vatikanischen Apostolischen Archiv, einst Geheimarchiv genannt.

Da die Glaubenskongregation eher für Fragen der theologischen und moralischen Lehre zuständig ist, finden sich dort mögliche Antworten auf die Frage, ob der Papst Adolf Hitler eventuell habe exkommunizieren wollen. Oder welche Bücher mit faschistischem oder sozialistischem Gedankengut verboten wurden – oder warum nicht. So befasste sich ein Langzeitprojekt des Münsteraner Kirchenhistorikers Hubert Wolf mit der Erschliessung und Digitalisierung des Index der verbotenen Bücher.

Angesichts mutmasslicher Sensationen warnt Historiker Wolf: Um valide Ergebnisse zu bekommen, müssten Bestände umfassend durchgearbeitet und genau analysiert werden. Was wird intern diskutiert? Wann weiss wer was? Wie werden Kardinäle und Päpste beraten? Wer wie eingeschaltet? Was passiert? «Alle Antworten auf solche Fragen müssen sauber miteinander verknüpft werden», so Wolf.

Die Archive des Vatikans zählen zu den wichtigsten Quellen für das historische Wissen der Menschheit.

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KNA Katholische Nachrichten-Agentur


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