Mit spitzer Feder

Stän­dig müs­sen wir «müssen»

Der Päd­agoge der Nation, Hein­rich Pes­ta­lozzi, hat tiefe Spu­ren hin­ter­las­sen. Allen Beschwö­run­gen der Auto­no­mie und Selbst­ver­wirk­li­chung zum Trotz wim­melt es heute mehr denn je nur so von selbst­er­nann­ten Leh­re­rin­nen und Leh­rern, die das Volk unge­fragt beleh­ren, was es zu tun und zu las­sen hat.

«Müssen» heisst das Zauberwort. Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir von diesem Schlagwort nicht behelligt werden, uns sozusagen als Pflichtlektüre verordnet wird. Beispiele gefällig? Gerne.

«Das müssen Sie zum Schweizer Verkaufsstart des iPhone 6 wissen», hatte «watson.ch» 2014 verkündet. Die Lage sei hochdramatisch. Denn am 26. September 2014, so das Medienportal, «ist der Teufel los», da punkt 08.00 Uhr im Apple Store die ersten iPhone 6-Geräte erhältlich sind, aber «nur solange der Vorrat reicht». Was wiederum zur Folge hat, dass sich bereits am Vorabend der Belagerungszustand einstelle, weil «leidenschaftliche Apple-Fans vor den Geschäften übernachten werden».

Als am vergangenen Montag, den 5. August 2024, die Börsen weltweit abstürzten, reagierte «Blick-online» blitzschnell: «Was du jetzt als Kleinanleger wissen musst.» Und für einmal lag der «Blick» mit seinen Ratschlägen richtig. Der Verkauf von Aktien sei nicht angezeigt, denn die langjährige Erfahrung zeige, dass die Börse gerne überreagiere, mithin Ausschläge nach unten relativ schnell wieder kompensiere. Tatsächlich sollte sich diese Binsenwahrheit umgehend bestätigen: Bereits einen Tag nach dem «Black Monday» hatten sich die Börsenindizes weitgehend erholt.

Zuweilen reicht dieses «Wissen müssen» allein nicht: «Was du für deine Medikamenten-Lagerung unbedingt wissen musst», dekretierte der «Blick» seiner Leserschaft.

Das gilt selbstredend auch von der weltweit grössten Techno-Party, welche dieses Wochenende in Zürich über die Bühne geht: «Das musst du alles zur Street Parade wissen», titelt die Pendlerzeitung «20 Minuten» vom 9. August 2024 schon auf der Frontseite. Und lässt auf Seite sechs gleich eine Reihe von Tipps folgen, deren Nützlichkeit auf Anhieb einleuchtet. So macht angesichts des Mark und Bein erschütternden Lärms von 28 Lovemobiles die Abgabe von Gratisohrenschützern tatsächlich Sinn, denn wie Hermann Eichhorn nur allzu berechtigt warnt: «Wenn man zu lange zu nahe an den Lautsprecherboxen tanzt, kann man schwerhörig werden.»

Bleibt noch eine Leerstelle: Was, wenn einer vom Zeitunglesen partout nicht lassen will, aber von dieser penetranten, ausgesprochen lästigen «Müsserei» verschont bleiben möchte? Ratschläge von «20 Minuten» & Co. sind willkommen!


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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Bemerkungen :

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    Meier Pirmin 12.08.2024 um 11:15
    "Keiner muss müssen." Eines der berühmtesten Zitate von Gotthold Ephraim Lessing, sogar noch originaler als die berühmte Ringparabel aus "Nathan der Weise", die Lessing von Giovanni Boccaccio, dem Biographen von Dante, übernommen hat, nach Werner Bergengruen einem kritischen katholischen Schriftsteller des Mittelalters.
  • user
    Anna E. 11.08.2024 um 06:00
    Ja, Herr Stefan Fleischer... Sie haben recht.

    Mir fällt auf, wie grosszügig unser Herr ist.... Bei IHM steht nicht müssen sondern w o l l e n .... in dieser grossen Freiheit liebt ER uns.
  • user
    Stefan Fleischer 10.08.2024 um 09:39
    Was wir aber als Christen wissen sollten, über Gott, unseren Glauben, über den wahren Sinn unseres Lebens etc., da schreit oft kein Hahn danach. Dem weicht die moderne Verkündigung nur allzu gerne aus. Oft tönt es so, als genüge es zu glauben. Was wir konkret glauben sei nicht so wichtig. Wichtig sei nur ein einigermassen anständiger Mensch zu sein und ein erfülltes Leben zu führen, was immer das aus heissen mag. Doch was der Herr gesagt hat;: «Er rief die Volksmenge und seine Jünger zu sich und sagte: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.» (Mk 8,34), an das will kaum jemand erinnert werden.