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Kommentar

Sünde gegen die Syn­oda­li­tät – Anlass für eine Gewissenserforschung

Ges­tern hat das Vati­ka­ni­sche Gene­ral­se­kre­ta­riat der Syn­ode zusam­men mit der Diö­zese Rom ein Schrei­ben zu einem Buss­got­tes­dienst her­aus­ge­ge­ben. Die­ser wird am 1. Okto­ber 2024 unter dem Vor­sitz von Papst Fran­zis­kus im Vor­feld zur Bischofs­syn­ode statt­fin­den. Der Sün­den­ka­ta­log ent­hält zwei Sün­den, die bis­her im «Kate­chis­mus der Katho­li­schen Kir­che» keine Erwäh­nung fan­den: «Die Sünde gegen die Syn­oda­li­tät» und «Die Sünde, die Dok­trin als Steine zu ver­wen­den, die man wer­fen kann».

Im Dokument, das «kath.net» in einer deutschen Übersetzung veröffentlichte, heisst es: Ziel sei nicht, «die Sünden anderer anzuprangern, sondern sich selbst als Teil derer anzuerkennen, die durch Unterlassung oder Tat die Ursache für Leid und die Verantwortung für das Böse sind, das den Unschuldigen und Wehrlosen zugefügt wird». Sünde ist bekanntlich ein Verstoss gegen die wahre Liebe zu Gott und zum Nächsten. Sie ist eine Verfehlung gegen die Vernunft, die Wahrheit und das rechte Gewissen. Das ruft nach einer tiefschürfenden Reflexion.

Was ist mit «Sünde gegen die Synodalität» gemeint?
«Sünde gegen die Synodalität / Mangel an Zuhören, [gegen] die Communio und Teilnahme aller», heisst es im erwähnten Dokument. Kardinal Kurt Koch hat folgende Kurzdefinition für den Begriff «Synodalität» geprägt: «Synodalität, wenn man sie ernst nimmt, heisst, so lange miteinander ringen, bis keiner mehr den Eindruck hat, das widerspricht dem Glauben.» Gemeint war das sicher im Zusammenhang mit der Bischofssynode in Rom 2023. Das gilt ebenso für Folge zwei, die vom 2. bis 27. Oktober 2024 wiederum in Rom tagt.

Synodalität ist inzwischen auch das grosse Schlagwort im Bistum Chur. Die Diözese Chur hat eine Handreichung für eine synodale Kirche herausgegeben, ohne die zweite Bischofssynode des Jahres 2024 überhaupt abzuwarten. Das Papier ist nicht nur deshalb als «Sünde gegen die Synodalität» zu werten. Es wurde nämlich meines Wissens sicher nicht im Priesterrat besprochen, sondern seinen «wehrlosen» Mitgliedern als fertiges Papier als verbindlich vorgestellt, um nicht zu sagen, hingeknallt. Ob diese Handreichung in der Entwurfsversion wenigstens den Weg in den «Rat der Religionspädagog:innen, Theolog:innen und Diakone» gefunden hat, entzieht sich meiner Kenntnis.
Verantwortlich für das Papier war die AG SPiBiC «Arbeitsgruppe synodaler Prozess im Bistum Chur». Die AG SPiBiC wurde – von aussen betrachtet – ziemlich willkürlich zusammengestellt.
Die Handreichung ist mit der Lehre der Katholischen Kirche sicher nicht völlig kompatibel. Sie ist durchtränkt von der LGBTQ-Ideologie (vgl. 1.3), wie der Verhaltenskodex, den der Bischof den obigen beiden Räten nicht zur Konsultation vorgelegt hatte, obwohl er gemäss Kirchenrecht dazu verpflichtet gewesen wäre.
Eine Kantonalkirche hat klammheimlich aufgrund einer Vereinbarung mit dem Bischof von Chur die Pflicht zur Unterzeichnung des Verhaltenskodex in die seit Januar 2024 überarbeiteten Musterarbeitsverträge integriert. Jene Vereinbarung gilt seit dem 1. Mai 2022.

Am 11. Juni 2022 erklärte der Bischof von Chur in einem Interview in der «NZZ am Sonntag», dass der Verhaltenskodex kein bischöflicher Erlass sei. Er habe ihn nur für sich persönlich unterzeichnet. Das ist ein unauflösbarer Widerspruch.

Die Handreichung für eine synodale Kirche verstösst mehrfach gegen das Kirchenrecht. Beispielsweise geht die Ökumene da entschieden zu weit, wenn Punkt 2.7.1 in die Tat umgesetzt werden sollte: «Wir erachten die gegenseitige Einladung und sakramentale Gastfreundschaft als sinnvoll und wünschenswert.» Allzu sehr sollten diese Bestimmungen aber nicht beunruhigen, denn Papier ist bekanntlich geduldig.

Unter 2.2.7 heisst es wörtlich: «Der Bischof trägt Sorge, dass das Volk Gottes an der Auswahl der kirchlichen Amtsträger und Amtsträgerinnen beteiligt wird.» Insider reiben sich die Augen, denn unlängst wurde ein Pfarradministrator gegen seinen Willen und gegen den Willen des zuständigen Kirchenrates (bestimmt auch des Kirchenvolkes) in einen Pastoralraum mit drei Pfarreien versetzt (vgl. 2.3.6). Da, wo die Lücke entstanden ist, wartet man nun seit Monaten auf eine Lösung.
In einer anderen Pfarrei rätseln die Kirchenbürgerinnen und -bürger, weshalb ihr beliebter und gewählter Pfarrer von einem Tag auf den anderen «im gegenseitigen Einvernehmen» mit dem Kirchenrat verschwunden ist.

Kommunikation ist – sofern sie nicht schief geht – offenbar Glückssache. Von der Devise «Wir verwirklichen eine offene und transparente Kommunikationskultur» (1.3) ist man im Bistum Chur noch weit entfernt.

Die Lernkurve für synodale Prozesse scheint bei den zuständigen Stellen in Chur und teils in den Generalvikariaten nicht besonders steil zu verlaufen – um das milde auszudrücken, während die unerfindlichen Personalentscheide aus der Blackbox in manchen Pfarreien Verwunderung bis Empörung bewirken. Statt sich mit den Organigrammen und Strategien überbezahlter Organisationsberater herumzuschlagen, wäre auf jener Ebene, die für diese Entscheide verantwortlich ist, der Einsatz des gesunden Menschenverstandes angesagt.

Böse Zungen behaupten, das höchst eigenartige kommunikative Verhalten sei bereits eine Folge der Umsetzung von Punkt 2.3.1: «Die Bistumsleitung bzw. die innerkirchlichen Kommunikationsverantwortlichen erarbeiten in Zusammenarbeit mit staatskirchenrechtlichen Vertreterinnen bzw. Vertretern ein Kommunikationskonzept.» Sollte sich Punkt 2.3.11 bereits ausgewirkt haben, müssten die jetzigen Kommunikationsexperten und -expertinnen eine Fehlbesetzung sein: «Für Publikationen des Bischofs, der Generalvikare und anderer Verantwortlicher lassen sich die Autoren und Autorinnen von Kommunikationsexpertinnen und -experten beraten und hören auf diese.»

Bei den synodalen Prozessen auf der nationalen Ebene, wie rund um die Einsiedler synodale Versammlung gemunkelt wurde, funktioniert das auch nicht besser. Die Gruppen wurden im Vorfeld so zusammengestellt, dass konservativere Teilnehmerinnen und Teilnehmer stets in der Minderheit waren. Nur Mehrheitsvoten aus diesen Gruppen konnten ins Plenum eingebracht werden.

Man wünscht den massgebenden Organisatorinnen und Organisatoren einmal den Besuch einer Landsgemeinde in Glarus. Dann müssten sie zur Kenntnis nehmen, dass das Volk bei einer direkten Demokratie viel mehr zu sagen hat, als bei den undurchsichtigen Mauscheleien bei synodalen Versammlungen und Kommissionen. Das Kirchenvolk ist überhaupt nicht repräsentativ vertreten, was wohl von Anfang an auch gar nicht beabsichtigt war.

Nationale Synodalitätskommission gibt sich weitreichende Kompetenzen
Nun wurde wiederum – ohne die zweite Bischofssynode abzuwarten – eine Nationale «Synodalitätskommission» mit 31 Mitglieder:innen 😀 zusammengestellt. Wer von ihnen aufgrund welcher Intention in diese delegiert oder ernannt wurde, bleibt im Dunkeln. Das ist, so lernt das Kirchenvolk, offenbar das bevorzugte Ambiente im Vorfeld synodaler Prozesse. Jedenfalls ist die staatskirchliche Körperschaft zusammen mit gut bezahlten Kirchenfunktionären überproportional vertreten.

Da bürokratische Mühlen langsam mahlen, könnte man sich entspannt zurücklehnen, hätte sich die Synodalitätskommission in Art. 11 Abs. 2–4 ihrer Statuten nicht weitreichende Kompetenzen gegeben: «Die Synodalitätskommission bestimmt die konkreten Themen und die Form ihrer Bearbeitung auf Grundlage der Konsultation an den Synodalitätstagen, der Ergebnisse diözesaner synodaler Prozesse sowie unter Berücksichtigung des weltweiten Synodenprozesses in eigener Zuständigkeit.

Die Synodalitätskommission bereitet die Ergebnisse synodaler Versammlungen auf. Sie unterscheidet, welche Ergebnisse weiter synodal beraten werden müssen, wo es weiterer Rückmeldungen bedarf und welche Ergebnisse als Ausdruck einer synodalen Richtungsorientierung oder einer konkreten Entscheidungsfindung gesehen werden können. Die Synodalitätskommission leitet Ergebnisse synodaler Entscheidungsfindung zu Richtungs- und Umsetzungsfragen an SBK, RKZ oder andere Adressaten weiter.»  

«Die Sünde, die Doktrin als Steine zu verwenden, die man werfen kann»
Das ist nicht nur sprachlich ein schwerer Brocken, der den Büsserinnen und Büssern im Vorfeld der Bischofssynode in diesem Bussgottesdienst vorgeworfen wird. Das erinnert an eine Passage im Brief, den Papst Franziskus am 1. Juli 2023 an Kardinal Víctor Manuel Fernández, den neuen Chef des «Dikasteriums für die Glaubenslehre», gerichtet hat. Dort heisst es wörtlich übersetzt: «Das Dikasterium, dem Sie vorstehen werden, hat zu anderen Zeiten unmoralische Methoden angewandt. Das waren Zeiten, in denen nicht die theologische Erkenntnis gefördert wurde, sondern mögliche Irrtümer in der Lehre verfolgt wurden. Was ich von Ihnen erwarte, ist sicherlich etwas ganz anderes.»
Es ist nicht davon auszugehen, dass Papst Franziskus hier mit den «unmoralischen Methoden» die Zeit der Inquisition im finsteren Mittelalter meint. Das liegt hinter uns. Dann wäre diese Sünde gar nicht aktuell und müsste in diesem Bussakt nicht eigens erwähnt werden.

Es ist selbstverständlich, dass die Verkündigung einfühlsam erfolgen soll und trotzdem braucht es auch klare Worte. Der Völkerapostel Paulus hat das vorgemacht. «Ich erinnere euch, Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündet habe. Ihr habt es angenommen; es ist der Grund, auf dem ihr steht» (1 Kor 15,1). Und für sich selbst sagte er: «Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!» (1 Kor 9,16b). «Auch wenn wir selbst oder ein Engel vom Himmel euch ein anderes Evangelium verkündeten, als das, das wir verkündet haben – er sei verflucht» (Gal 1,8).
Wenn wir uns seine Worte zu Herzen nehmen, die er im Ersten Brief an die Thessalonischer gerichtet hat, wird der Vorwurf, die Doktrin als Steine zu verwenden, sicher nicht zutreffen: «Wir ermahnen euch, Brüder und Schwestern: Weist die zurecht, die ein unordentliches Leben führen, ermutigt die Ängstlichen, nehmt euch der Schwachen an, seid geduldig mit allen!» (1 Thess 5,14). Oder denken wir an die Anweisung an den Bischof Timotheus: «Verkünde das Wort, tritt auf, ob gelegen oder ungelegen, überführe, weise zurecht, ermahne, in aller Geduld und Belehrung» (2 Tim 4,2). Und da fügte er hinzu, was für unsere Zeit durchaus zutrifft: «Denn es wird eine Zeit kommen, in der man die gesunde Lehre nicht erträgt, sondern sich nach eigenen Begierden Lehrer sucht, um sich die Ohren zu kitzeln (letzteres besser übersetzt: die den Ohren schmeicheln)» (2 Tim 4,3).

Die Mehrheit der Moraltheologen betrieb wohl in den letzten Jahren philosophische Ethik statt Moral, wie sie in den Enzykliken «Veritatis splendor» und «Evangelium vitae» durch den heiligen Papst Johannes Paul II. gelehrt wurde. Die Bussfeier am 1. Oktober müsste das besonders zum Gegenstand der Gewissenserforschung machen. Dann müssten manche aufgrund ihres Gewissens eingestehen, zu wenig für die Verkündigung des Evangeliums getan zu haben. Aber davon ist derzeit in den synodalen Prozessen kaum die Rede. Könnte es vielleicht sein, dass der Heilige Geist – anders als von manchen Exponenten behauptet – bei diesen Versammlungen keine grosse Rolle spielt? Der heilige Augustinus hat folgenden Satz geprägt: «Nach dem Mass, wie einer die Kirche Christi liebt, hat er den Heiligen Geist.»


Makoto Weinknecht

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  • user
    Stefan Fleischer 18.09.2024 um 16:14
    "Dann müssten manche aufgrund ihres Gewissens eingestehen, zu wenig für die Verkündigung des Evangeliums getan zu haben."
    Ja. Andernorts habe ich geschrieben:
    Hier fehlt m.E. noch eine Sünde:
    Die Vernachlässigung des Auftrags unseres Herrn und Erlösers:
    «Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt." (Mt 28,19)
    Übrigens, gemäss Quadro-Bibel kommt der Auftrag: «Verkündet!» in der Schrift 111 (in Worten einhundertelf) Mal vor.