Symbolbild. (Jsme MILA/Pexels)

Kommentar

Sui­zid­bei­hilfe im Kan­ton Zürich: Into­le­ran­tes Gesetzesvorhaben

Eine Zür­cher Volks­in­itia­tive will zukünf­tig allen Ein­rich­tun­gen des Gesund­heits­we­sens die Zulas­sung der Suizid-​Beihilfe auf­zwin­gen. Davon wären auch Haus­arzt­pra­xen betrof­fen. Das Vor­ha­ben ist in der Sterbehilfe-​Gesetzgebung der Schweiz beispiellos.

Am 31. Oktober 2022 hat das Zürcher Kantonsparlament mit einem denkbar knappen Verhältnis von 81:80 Stimmen entschieden, die Pflicht zur Zulassung der Sterbehilfe nur jenen Heimen aufzuerlegen, die von einer Gemeinde selbst betrieben werden oder von ihr einen Leistungsauftrag erhalten haben. Die Suizidassistenz-Lobby, sprich allen voran «Exit» und «Dignitas», konnte sich mit diesem demokratischen Entscheid nicht abfinden.

Sie lancierte eine Volksinitiative mit dem Titel «Selbstbestimmung am Lebensende auch in Alters-und Pflegeheimen». In kurzer Zeit kamen 12 944 gültige Unterschriften zusammen, nur 6000 wären erforderlich gewesen. Mit ein wesentlicher Grund für den raschen Erfolg war die Formulierung des Titels. Die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli bezeichnete ihn als «Irreführung»: eine faustdicke Untertreibung. Warum? Liest man den nachfolgenden Text, müssen nämlich nicht nur wie der Titel suggeriert alle Alters-und Pflegheime ihre Räumlichkeiten für die Suizid-Assistenz durch Dritte zur Verfügung stellen, sondern auch Spitäler, psychiatrische Kliniken, Gefängnisse und Hausarztpraxen. Im Grunde genommen hätte der Regierungsrat die Initiative aufgrund dieses offensichtlichen Etikettenschwindels und damit der unverfrorenen Irreführung des Stimmvolkes für ungültig erklären müssen.

Der Regierungsrat (Regierungsratsbeschluss Nr. 143 / 2025) lehnt die Initiative ab, dies hauptsächlich aus folgenden Gründen:

Der Initiativtext berücksichtigt nicht, dass Spitäler im Gegensatz zu Alters-und Pflegeheimen darauf ausgerichtet sind, die «Gesundheit der Bevölkerung zu erhalten, wiederherzustellen und zu fördern». Dabei ist es die Pflicht der Spitäler, die einem Suizidwunsch zugrunde liegenden Leiden im Sinne der Palliatve Care soweit wie möglich zu lindern.

Hinzu kommt, dass die Behauptung der Initianten, es gehe darum, den Menschen das Sterben in ihren eigenen vier Wänden zu ermöglichen, ins Leere greift, weil im Gegensatz zu Alters- und Pflegeheimen bei Spitälern nicht von einem vertrauten Zuhause gesprochen werden kann. Zudem, so der Regierungsrat weiter, besteht die Gefahr, dass die Patienten die «Option Suizid-Assistenz» als Druck wahrnehmen, ihren Angehörigen und der Allgemeinheit nicht mehr zur Last zu fallen. Besonders problematisch wäre dies, wenn in der Gesellschaft ein starker Fokus auf die Verfügbarkeit von Organen gelegt wird – was, so ist hier hinzuzufügen, in der Schweiz zweifelsohne der Fall ist. Dadurch ist aus der Sicht des Regierungsrates zu befürchten, dass Patienten das beklemmende Gefühl beschleichen könnte, Ärztinnen und Ärzte wären nicht mehr ausschliesslich auf die Heilung fokussiert, sondern hätten es auf ihre Organe abgesehen.

Zwang zur Sterbehilfe für alle Hausarztpraxen
Dass gemäss Initiativtext auch psychiatrische Kliniken zur Suizid-Beihilfe verpflichtet werden sollen, läuft ihrem Schutzauftrag, sprich die psychische Stabilisierung und Genesung der Insassen, diametral zuwider. In noch ausgeprägterem Masse würde die Duldung des assistierten Suizids in Gefängnissen gegen deren Zweckbestimmung verstossen. Denn gerade gegenüber inhaftierten Personen hat der Staat eine besondere Schutz- und Fürsorgepflicht (vgl. Art. 10 Abs. 1 Bundesverfassung). Es liegt auf der Hand, dass die Ausnahmesituation eines Gefängnisses für Häftlinge ausgesprochen belastend sein kann, was die Gefahr selbstschädigender Affekthandlungen bis hin zum Suizid in sich birgt und die zu verhindern der Staat verpflichtet ist. Der assistierte Suizid kann deshalb, so der Regierungsrat, «nur in einem streng begrenzten Ausnahmefall» als ultima ratio infrage kommen.

Last but not least: Die Annahme dieser Initiative hätte schliesslich auch zur Folge, dass alle Hausarztpraxen im Kanton Zürich einen Raum für die Sterbehilfe einrichten müssten. Es sind dies 3500 an der Zahl: Ein bürokratischer und finanzieller Overkill sondergleichen.

Der Regierungsrat unterbreitet dem Kantonsparlament einen Gegenvorschlag. Diesem zufolge sollen nur, aber dafür sämtliche Alters- und Pflegheime zur Duldung der Suizid-Assistenz verpflichtet werden, wodurch wiederum die «zentralen Anliegen der Initiantinnen und Initianten» erfüllt würden. Der Regierungsrat räumt ein, dass damit die Glaubens- und Gewissensfreiheit beeinträchtigt würde, auf welche sowohl religiös ausgerichtete Alters- und Pflegeheime als auch deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen verfassungsrechtlich verbrieften Rechtsanspruch haben.

Dieses Grundrecht kann mit dem Recht auf Selbstbestimmung der Heiminsassen kollidieren. Bei der dabei erforderlichen Rechtsgüterabwägung ist gemäss Regierungsrat die Verhältnismässigkeit des Eingriffs massgebend. Da die Heime zumindest partiell einer öffentlich finanzierten Gesundheitsversorgung angehören, könne ihre Privatautonomie durch öffentliches Interesse eingeschränkt werden. Eben diese Einschränkung greife nicht unverhältnismässig in die Glaubens- und Gewissensfreiheit der betroffenen Heime ein, da sie nicht zur aktiven Unterstützung der Suizidbeihilfe verpflichtet würden, sondern lediglich zu deren Duldung.

 

Untauglicher Gegenvorschlag des Regierungsrates
Was ist von dieser Argumentation des Regierungsrates zu halten? Zunächst einmal fällt auf, dass im Antrag des Regierungsrates nirgends der Frage nachgegangen wird, ob überhaupt und wenn ja wie viele Fälle bekannt sind, bei denen Bewohnerinnen und Bewohner ihre Wohnung in Heimen verlassen mussten, um den assistierten Suizid in Anspruch nehmen zu können. Es ist davon auszugehen, dass nur sehr wenige Personen davon betroffen waren. Gerade deshalb verstösst die Zwangsverpflichtung aller Alters- und Pflegeheime ungeachtet ihrer finanziellen Unterstützung durch den Staat gegen das Prinzip der Verhältnismässigkeit.

Eben dieser Grundsatz wird aber auch noch aus einem andern Grund verletzt. Im Kanton Zürich existieren rund 250 Heim-Institutionen. Lediglich 20 davon lehnen aus religiösen Gründen die Suizid-Assistenz in ihren Räumlichkeiten ab, also weniger als 10 Prozent. Es ist deshalb Menschen, welche die Suizid-Beihilfe in Anspruch nehmen wollen, durchaus zuzumuten, vor ihrem Eintritt in ein Alters- oder Pflegeheim abzuklären, ob die betreffende Einrichtung Suizid-Beihilfe zulässt oder nicht. Bis dato ist kein Fall bekannt, dass jemand keinen Platz in einem Alters- oder Pflegheim gefunden hätte, weil er auf dem Recht auf Suizid-Assistenz bestand.

Claudio Zogg vom Verband Artiset Zürich, der eine Umfrage bei den 250 Heimeinrichtungen im Kanton Zürich zu dieser Thematik durchgeführt hat, bezeichnet diese Volksinitiative als ein «Ärgernis», weil dazu schlicht kein ausgewiesener Bedarf besteht. Sie ist mehr als ein Ärgernis, nämlich der Ausdruck einer extrem intoleranten Geisteshaltung, welche die weniger als 10 Prozent ausmachenden Alters- und Pflegeheime mit religiöser Ausrichtung zur Aufgabe ihrer Identität zwingen will.

Zuger Toleranz versus Zürcher Intoleranz
Einen grundrechtskonformen, insbesondere die Glaubens- und Gewissensfreiheit des medizinischen Personals in angemessener Weise berücksichtigenden Weg schlägt demgegenüber der Regierungsrat des Kantons Zug ein. In einer soeben veröffentlichten Antwort auf eine Motion der Grünliberalen Kantonsratsfraktion schreibt er: «Der Regierungsrat hält die Schaffung eines generellen Anspruchs mit Blick auf den gelebten Alltag in den Zuger Spitälern, Kliniken und Pflegeinstitutionen nicht für angezeigt.» Der Zuger Regierungsrat will also den Entscheid betreffend Zulassung der Suizid-Beihilfe in Pflegeeinrichtungen diesen selbst überlassen. Dies auch deshalb, weil «im Rahmen der Eintrittsgespräche das Thema Sterbehilfe angesprochen wird, sodass die künftigen Bewohnerinnen und Bewohner wissen, welche Haltung in Sachen Sterbehilfe die jeweiligen Institutionen vertreten.» Gelebte Zuger Subsidiarität und Toleranz also statt Zürcher Zentralismus und Intoleranz.


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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    Schwyzerin 18.02.2025 um 15:45
    Wenn ein würdevolles Sterben in der Schweiz nicht mehr möglich ist, dann ist es besser die Schweiz zu verlassen, um dorthin zugehen, wo das Leben noch geschützt wird.
    • user
      ser AD 18.02.2025 um 23:40
      Was ist "Leben" überhaupt, und "schützen" ?

      Man fixiert sich hier auf den irdischen sichtbaren Aspekt. Leben ist Gottes Gnade reflektieren. Dann kommt man nicht auf Suizidgedanken.

      In der politischen Diskussion fehlt die Transzendenz, und sie ist verknorzt weil die falschen Prämissen den Ton angeben.