Der barmherzige Samariter von Pelegrin Clavé, 1838.

Kommentar

Taten statt Worte — der Weg zur Versöhnung

Heute fei­ern wir das Hoch­fest der Geburt Christi, und damit stellt sich auch die Frage, wel­che Bedeu­tung für uns Katho­li­kin­nen und Katho­li­ken mit die­sem Fest ver­bun­den ist.

Sicherlich spüren viele Menschen, dass die kommerzielle Ausbeutung dieses zweithöchsten Kirchenfestes nicht der ihm gebührenden Tiefe gerecht wird. Ein sehr guter Freund von mir, dessen Familie zur einen Hälfte muslimisch und zur anderen Hälfte protestantisch ist, erzählte mir, wie sein christlicher Urgrossvater an Weihnachten immer einen Fremden zum Essen einlud. Dieser gläubige Zwinglianer verstand, dass die Geburt Jesu uns nicht auffordert, hinter verschlossenen Türen mit der Familie Weihnachten zu feiern, sondern das Tor unseres Herzens für diejenigen Menschen zu öffnen, die in unserer Gesellschaft leiden.

Umso bedenklicher ist es, wenn Katholikinnen und Katholiken, deren Glaubenslehre im Gegensatz zur reformierten verkündet, dass die Werke den Einzelnen mithilfe der Gnade Gottes gerecht zu machen vermögen, nicht nur an Weihnachten, sondern in ihrem ganzen Christ-Sein so leben, als ob man die Moral vom Glauben trennen könnte.

In den Evangelien werden uns viele Wundertaten geschildert, die Jesus für die Menschen gewirkt hat. Nicht erwähnt werden die vielen gewöhnlichen Dinge, die der Heiland in den 30 Jahren verrichtete, in denen er nicht öffentlich auftrat. Diese Taten, ohne dabei die Naturgesetze aufzuheben, müssen von so einer vollkommenen Gerechtigkeit und Liebe geprägt gewesen sein, wie kein Mensch sie auszuüben vermag. Mit der Menschwerdung hat Gott sich selbst in die Situation versetzt, in einer unvollkommenen Welt handeln zu müssen. Die Geburt Jesu ist daher der vollkommene Gegensatz zu einem deistischen Bild einer uns fremden und distanziert gegenüberstehenden höheren Macht.

Die Menschwerdung steht auch im Gegensatz zur Vorstellung, Religion und ethisches Handeln des Einzelnen seien getrennt voneinander zu betrachten.

Wahrhaftigkeit im Tun gefordert
Unsere Kirche hier in der Schweiz driftet momentan sehr stark auseinander und die Fronten scheinen unversöhnlich. Die unglückliche Etikettierung konservativ und progressiv ist hierbei schnell zur Hand, wenn es darum geht, die einzelnen Gruppen zu charakterisieren. Auf der vermeintlich konservativen Seite Katholiken, die sich keine Veränderung der Glaubenslehre wünschen, eine würdige und korrekte Liturgie fordern und vor allem in Fragen des Familienlebens und der Sexualmoral eine klare Linie verfolgen. Auf der anderen Seite die vermeintlich progressiven Katholiken, welche die katholische Tradition und Glaubenslehre zugunsten einer Öffnung gegenüber der Moderne aufweichen und relativieren wollen, jedoch wünschen, dass die Kirche in sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Fragen stärker ihre Stimme erhebt. Was beide Gruppen meines Erachtens so voneinander distanziert, ist das Festhalten an einzelnen Glaubensformeln, die für sich allein betrachtet sehr abstrakt wirken. Ich habe beispielsweise grossen Respekt für jeden, der ehrfürchtig die Kommunion mit dem Mund empfängt, doch wissen wir alle aus eigener Erfahrung, dass der Mund manchmal schmutziger ist als die Hand. Wer im Alltag lästert und seine Worte gebraucht, um andere Menschen zu degradieren, macht sich durch die sonntägliche Mundkommunion nicht gerecht. Ich habe auch grossen Respekt für alle Menschen, die sich sozial und ökologisch engagieren. Doch auch hier ist zu konstatieren, dass sich Nächstenliebe im Handeln am Mitmenschen bewähren muss und nicht durch die Wahl einer politischen Partei oder das digitale Posten von irgendwelchen Nachrichten auf den sozialen Medien. Der fleissige Instagram-Nutzer, der seine Empörung über den Zustand der Welt verbreitet, jedoch nicht bereit ist, persönlich etwas für das Wohl seiner Mitbürger zu tun, wird auch durch alle politische Korrektheit und Wokeness der Welt nicht gerecht.

Die eigene Wohlfühlzone verlassen
Die starren Fronten innerhalb der katholischen Kirche können nur dann versöhnt werden, wenn die eigene Rechtgläubigkeit vor allem durch die eigenen Taten bezeugt wird, wie bereits Jakobus es den frühen Christen mit auf den Weg gegeben hat. Hier steht der einzelne Katholik vor riesigen Herausforderungen. Er muss das eine tun und das andere nicht lassen, er muss wahrhaftig katholisch – allumfassend – fühlen, denken und vor allem handeln. Mit der gleichen Vehemenz, wie er sich für den Lebensschutz Ungeborener und älterer Menschen engagiert, gilt es sich dafür zu engagieren, dass junge Mütter finanziell nicht verarmen und Alte nicht vereinsamen. Mit der gleichen Leidenschaft, wie er sich für eine würdige Messfeier einsetzt, wird er sich für die Würde der Menschen einsetzen, die am Rande unserer Gesellschaft stehen. Ein Priester, den ich sehr schätze, hat mir vor einigen Tagen eine Weihnachtskarte zugeschickt, auf der er eine Episode aus dem Leben des grossen Mathematikers und Philosophen Blaise Pascal schildert. Als Pascal aufgrund seiner Schriften für eine gewisse Zeit vom Empfang der Kommunion ausgeschlossen wurde, nahm er einen Armen und Kranken in sein Haus auf und pflegte ihn, um auf diese Weise wieder den Leib Christi empfangen zu können. Dieser grosse christliche Denker des 17. Jahrhunderts hatte eine Natürlichkeit in seinem Denken und Handeln, die der modernen Glaubenspraxis vieler Katholiken – dies jeglicher Couleur – fehlt. Man versteckt sich in einer Wohlfühlzone, aus der heraus man sein Katholisch-Sein definiert.

Weihnachten ist das völlige Kontrastprogramm zu dieser Einstellung. An Weihnachten feiern wir, dass Gott seine himmlische Wohlfühlzone verliess und in einem kalten Stall in Bethlehem Mensch wurde. 30 Jahre lang, genau zehnmal länger als sein öffentliches Wirken, hat er nur durch seine demütigen und von absoluter Liebe geprägten Taten gezeigt, dass er Gott und Mensch ist.

Die Grabenkämpfe innerhalb der katholischen Kirche würden schnell abflauen, müssten alle Katholikinnen und Katholiken ihren Stellungnahmen zur Kirche zehnmal so viele Taten der Nächstenliebe folgen lassen.

Manch ein Katholik, der heute sein Heil im Label «konservativ» oder «progressiv» sucht, würde dann wohl seine Liebe zur Kirche verlieren, währenddem andere Menschen, die sich nach einem liebenden Miteinander sehnen, wie Jesus dies seinen Jüngern aufgetragen hat, neue Freude an der unverkürzten kirchlichen Lehre hätten.

Wollen wir die katholische Lehre nicht einem selbstzerstörerischen Relativismus preisgeben, ist die konsequente, richtig verstandene Werkgerechtigkeit wohl der einzige Weg, um die Flügelkämpfe innerhalb der Kirche zu beenden und neue Menschen für die Frohe Botschaft zu gewinnen.

 


Daniel Ric


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  • user
    Marianne Baldinger-Lang 02.01.2023 um 21:25
    Danke für diesen wunderbaren Artikel.
    Taten statt Worte, ist wirklich die Lösung.