Auszüge:
«Ich versuche, über das mir gestellte Thema ‹Die Eschatologie und die Christozentrik› zu sprechen mit dem Untertitel ‹Theologisches Denken über Zukunft und ewiges Leben›. […] Die Frage, ob es eine Zukunft über den Tod hinaus gibt, hat die Menschen immer wieder von neuem beschäftigt und wird sie wohl auch nie loslassen. Wo das Leben als Leid erfahren wird, kann der Gedanke an einen Fortgang des Lebens nach dem Tod zum Albtraum werden: im Buddhismus oder in manchen Formen des Hinduismus. Man ist sich dort bewusst geworden, dass ein Mensch sich durch sein Handeln tief in die Geschäfte dieser Welt hineinverstrickt, sodass er nach seinem Verscheiden gleichsam mit seinen Wurzeln darin haften bleibt. Die Hinterlassenschaft seines Tuns währt fort, er bleibt eingezwängt in die Passion dieser Welt, der er selbst neue Nahrung zugeführt hat. Und solange diese Hinterlassenschaft seines Tuns beiträgt zum Leiden dieser Welt, so lange ist er auch selbst nicht frei. So lange gehört er irgendwie mit hinein in die Tragödie eines Lebens, das am Ende Leid ist. […] Auch in der Sehnsucht nach dem Verlöschen in das Nichts hinein gibt es sehr wohl, wenn auch ganz verdünnt, die Hoffnung auf das Eigentliche, auf Erlösung von dem Sein, das Leid ist. Und wenn sich die Hoffnung des Menschen als Sehnsucht nach dem Nichts darstellt, so trifft man im Übrigen viel häufiger auf die umgekehrte Weise dieses Empfindens.
Der Mensch, der die Gabe des Lebens gekostet hat, erschrickt vor dem Nichts und dass der Tod ihn zu stürzen scheint. Er versucht, ihm zu entfliehen. Er sehnt sich nach dem Leben, nach Zukunft, ja so sehr ist der Mensch auf Zukunft bezogen, dass derjenige, der keinerlei Zukunft mehr vor sich sieht, auch die Gegenwart nicht mehr ertragen kann. Und deshalb schrecken wir beispielsweise oft davor zurück, dem unheilbar Kranken eindeutig Auskunft über seine Lage zu geben, um ein ganz konkretes Beispiel zu nennen. Freilich, wer genau nachdenkt, wird dadurch und durchaus gewahr werden, dass auch ihm die vorhin angedeuteten Empfehlungen des Menschen in Indien keineswegs einfach fremd sind. Niemand kann sich wünschen, dass es endlos so weitergeht.
Die Endlosigkeit unseres Alltagslebens ist kein erstrebenswertes Ziel und deshalb kann eine medizinisch hergestellte Unsterblichkeit für den Menschen und die Menschheit nur ein Albtraum sein. Der Mensch ist seelisch nicht gerüstet für die Unsterblichkeit des Leidens, und die Menschheit müsste an den inneren Spannungen zerbrechen, die aus dem Nebeneinander von Generationen der Menschen entstehen, die sich immer schneller voneinander entfernen. […] So steht der Mensch vor der Spannung, dass er Unendlichkeit will, aber Endlosigkeit fürchten muss. Dass er die Zukunft einerseits braucht und andererseits nicht ertragen kann. Er müsste also zugleich sterben und weiterleben, ein Dilemma, das sich vor ihm auftut. Sein Eigentliches müsste bleiben durch die Gabe des Lebens, der Liebe, der Freude. Sein Uneigentliches müsste aufhören. […] Zugleich bedarf der Mensch der Gewissheit, wo es um Sein oder Nichtsein geht. Mehr als irgendwo sonst. Wenn sie sich ihm nicht selbst gibt, versucht er sie sich zu schaffen. Und die Wege, auf denen dies versucht worden ist, die sind äusserlich mannigfach. Tiefer gesehen sind sie einander doch erstaunlich ähnlich und gar gleich. Beispiel: Wer über einen Friedhof geht, der findet in der Hauptsache die Namen von Menschen, die in den letzten 50 Jahren verstorben sind, mit einigen Ausnahmen. Der Schmuck an ihren Gräbern zeigt, dass Lebende ihrer in Liebe gedenken. Ihre Kinder und ihre Freunde leben noch. Und man weiss um ihr Tun, und ihr Bild steht noch vor Augen. Im Gedächtnis derer, die sie liebten, bleiben sie am Leben. Ihre Art vom zweiten Leben gehört noch einmal dieser Welt zu, aber eines Tages werden auch die Letzten gestorben sein, die um sie wussten. Der Grabstein wird durch einen anderen ersetzt werden, ihr Name und ihr Bild verschwinden. Sie sterben gleichsam ein zweites Mal, wenn das Gedächtnis der Menschen verlischt, dass ihnen Dauer gab über den physischen Tod hinaus. […]
Zukunft durch Nachkommenschaft
Der Totenkult des alten Ägypten ist von mir aus gesehen ein grandioser Versuch, immerwährende Unsterblichkeit zu erzwingen, indem man sein Gedächtnis unaustilgbar macht, indem man eine Wohnung auf Erden baut, die alle Zeiten überdauert. Nun zur Vorstellung, auch zu den äusseren Formen, in denen der Mensch die Frage nach seiner Zukunft jenseits des Todes durch die Tat zu beantworten sucht. Der Grundgedanke, der dabei leitend ist, bleibt durch den Wechsel der Kulturen hindurch erstaunlich konstant. Und wenn wir es noch präziser fassen, werden wir von selbst auch mit der christlichen Antwort auf unser Problem konfrontiert werden.
Die erste Erfahrung des Menschen ist zunächst die seiner Sterblichkeit. Er sieht, dass er aus sich selbst und in sich keinen Bestand hat. Die Kunst der Ärzte und der medizinischen Wissenschaft kann zwar die Grenzen seines Lebens immer mehr hinausschieben, Bestand geben kann sie ihm nicht. […] Der Mensch hat in sich selbst keinen Bestand, also muss er eben ausser sich suchen. Dann muss er sich selber, seine Existenz, dem anvertrauen, was nach ihm noch sein wird und fortdauert, in eine lange Zukunft hinein. Aber wie soll das geschehen?
Der erste Weg, den vor allem die sogenannten Naturvölker, aber zunächst auch das alte Israel, gesucht haben, heisst ‹Zukunft durch Nachkommenschaft›. In den Kindern leben der eigene Name und das eigene Blut weiter. In ihnen hofft jeder Israelit, Anteil zu finden am messianischen Reich, also an jener Zeit, in der es endlich das eigentliche Leben gibt. Jenes Leben, das lohnt immer fortzubestehen, weil es die Fülle und die Freude bringt, die wir jetzt nur augenblicksweise erahnen. […]
Da sind zwei Motive wirksam. Einmal die Vorstellung, mit dem Namen das Gedächtnis fortzusetzen, zum anderen, den Versuch mit der Lebensweitergabe auch etwas von der Substanz des Eigenen lebendig zu halten. […] Zukunft, das ist nur die Gesellschaft, in der Ungleichheiten, Unterdrückungen und Ungerechtigkeiten beseitigt sind. Man gehört der Zukunft an, man hat Zukunft, indem man sich an dem Kampf um diese Gesellschaft beteiligt. Das Gemeinsame all dieser Antworten besteht darin, dass sie die Zukunft des Menschen in einem Dritten suchen, das nicht eigentlich er selbst ist. […]
Sie [Die Menschen] vertrauen die Zukunft nicht dem Glauben, sondern dem Tun an. Für den Menschen, der heute nur noch die nachprüfbare, oder wie man so schön sagt, die praxisbezogene Erkenntnis akzeptiert, scheint dies der einzige Weg zu sein. Aber ist er wirklich vertrauenswürdig? Wird der Kampf der Gegenwart wirklich morgen eine gerechte Gesellschaft hervorbringen? Und wird diese Gesellschaft tatsächlich auch Zukunft für uns sein? […]
Nun beginnt für uns Menschen heute an dieser Stelle der Umriss der christlichen Antwort sichtbar zu werden, aber auch die Frage. Im Gang des bisher Gesagten wurde immer deutlicher, dass der Mensch im Lauf der Geschichte und heute mehr denn je versucht hat oder versucht, die Frage der Zukunft aus dem Raum der Theologie und des Glaubens herauszunehmen und zu einer Sache der Tat zu machen. […] Nun, wie sieht es in dieser Hinsicht mit der christlichen Antwort aus? Weist sie uns nicht in die reine Passivität des blossen Erachtens zurück, das dem Menschen keine Aufgabe setzt? Ist sie vielleicht deshalb unserem aktiven Zeitalter so fremd geworden?
Nun, eine gewisse Entmächtigung des Menschen bedeutet diese Antwort auf jeden Fall. Der Traum, er könnte sich selbst Unsterblichkeit geben, wird in der Tat zerschlagen. Er wird genötigt, nicht der eigenen Macht zu vertrauen. Er wird genötigt, von der eigenen Macht weniger zu halten und mehr von der Liebe, die er einmal nur geschenkt bekommen kann. Damit sind wir an einem wesentlichen Punkt der Antwort angelangt: Unsterblichkeit hat nach christlichem Glaube fundamental mit Liebe zu tun. Das allein Ewige ist die Liebe. Als Liebe ist Gott Ewigkeit und seine Liebe wiederum ist des Menschen Ewigkeit, Im Geliebtsein ist er unvergänglich aufgehoben. Er ist es, weil er selbst liebt. Auch ihm, dem Menschen, gibt nur die Liebe Ewigkeit.
Kein sinnvoller Lebensentwurf ohne die Frage nach dem Tod
Und von dem Mass und von der Weise seines Lebens hängen Mass und Weise seiner Ewigkeit ab. Des Menschen und der Menschheit Hoffnung ist die Liebe, so lautet die Antwort des christlichen Glaubens. […] Dem Unverfügbaren geöffnet, das weit über unser Leisten hinaus uns beschäftigt mit dem, was kein Mensch zu geben vermag, nämlich mit dem ewigen Leben.
Die Frage nach dem, was jenseits des Todes liegt, war lange Zeit beherrschende Thematik christlichen Denkens. Heute ist sie aus ganz unterschiedlichen Gründen aus dem Mittelpunkt verschwunden, ja geradezu an den Rand geraten. Das sogenannte Jenseits des Todes erscheint als Flucht vor der Drangsal und den Aufgaben des Diesseits, die in absichtsvoller Vertröstung von denen gefördert wird, denen im Diesseits die Macht gehört. […] Das Jenseits jedoch ist nicht nur unserem Wirken, sondern auch dem Zugriff des beweisenden Denkens entzogen und damit, im besten Sinn des Wortes, fragwürdig. Endlich ist auch theologisch das scheinbar völlig Klare recht unzugänglich geworden. Freilich ist dabei zu beachten, dass die theologische Problematik wesentlich von der Verschiebung des Lebensgefühls wie auch vom Verlust einer Philosophie bestimmt ist, die zwischen den Fakten der Offenbarung und den positiven Gegebenheiten der Wissenschaft den Raum des vermittelnden Denkens herstellen kann. […]
Ohne sinnvolle Antwort auf die Todesfrage ist gerade auch die Frage nach dem Leben des Menschen und seinem Auftrag nicht zu erhellen. Dieses Leben ist nun einmal vom Tod gekennzeichnet und nicht an ihm vorbei zu entwerfen. In dieser Frage ist aber das Problem miteingeschlossen nach dem, was jenseits des Todes ist: das Problem des Nichts oder des Seins in seiner ganzen Tiefe. Die biblische Frage, was dem Menschen die ganze Welt nütze, wenn er an seiner Seele Schaden leidet, scheint sich heute in ihr Gegenteil umzukehren. Vielleicht steht man hier bei dieser Umkehrung der Frage vor dem Hauptproblem der christlichen Existenz heute. […]
Auch der Skeptiker, auch der Ungläubige, auch der Atheist sollte leben «quasi Deus daretur», als ob es Gott wirklich gäbe. Was bedeutet das? Das heisst so zu leben, als ob man in einer unendlichen Verantwortung steht. Als ob Gerechtigkeit und Wahrheit nicht bloss Programme wären, sondern eine lebendige Macht, der man Rechenschaft schuldig ist. Als ob das, was einer jetzt tut, nicht wieder versinken würde wie ein Tropfen Wasser, sondern von bleibender Bedeutung handelt, als gäbe es Gott. Das heisst zugleich, handeln, als wäre der Mensch neben mir nicht irgendein Zufall der Natur, dann wirklich und am Ende nicht beliebig, sondern ganz wirklich ein Fleisch gewordener Gedanke Gottes, ein Bild des Schöpfers. So also, als wäre jeder Mensch zur Ewigkeit bestimmt und als wäre jeder Mensch mein Bruder, weil vom gleichen Gott geschaffen.
Handeln «quasi Deus daretur», als gäbe es Gott, das scheint unter christlicher Perspektive die einzig sinnvolle Abbildung von Kants kategorischem Imperativ in einer Zeit, in der die Voraussetzungen für die Brauchbarkeit dieses Imperativs zerbrochen sind. Gewiss: Kant hatte das sittliche Problem durch den einfachen Grundsatz zu lösen versucht: ‹Handle so, dass die Maxime deines Tuns jederzeit zu einem allgemeinen Gesetz werden könnte.› Diese zunächst sehr einleuchtende Lösung bleibt in Wirklichkeit aber nur so lange praktikabel, solange man sich ungefähr darüber einig ist, was sich verallgemeinern lässt und welche Formen des Tuns sich als allgemeine Gesetze halten. Vorausgesetzt ist also eine Gesellschaft, in der ein bestimmtes Wertgefüge besteht und in der man einigermassen sicher darin ist, was dem ganzen Wohle dient. Aber gerade darüber sind wir heute in einer Weise uneins geworden, wie es sich Immanuel Kant nicht vorstellen konnte. […] Der Bezugspunkt, von dem Kant her gedacht hat, nämlich die Allgemeinheit, die menschliche Gesellschaft, ist zu unsicher, als dass man einfach von hier her schon menschliches Handeln verlässlich aufbauen könnte. […]
An diesem Punkt wird etwas sehr Wichtiges sichtbar, das bisher noch gar nicht zur Sprache kam: der christliche Glaube an die Unsterblichkeit der Seele, das ewige Leben mit seiner Aussage über die Massstäbe und die Tragweite des menschlichen Lebens. Dieser Glaube will einschärfen, dass der Mensch nie ein Mittel, sondern immer selbst ein Zweck ist. Er will die Realität der Werte Gerechtigkeit und Wahrheit ins Bewusstsein rufen, die nicht nur Abstraktizismen, sondern Leben sind und die Leben geben. […]
Dies gesagt, darf man einen Schritt weitergehen. Eine Hypothese ist kein Glaubenssatz. Das menschliche Leben kann letztlich aber nicht auf einem «als ob» stehen. […] Es kann nicht die Grundform menschlicher Existenz sein. […] Denn Wahrheit und Gerechtigkeit sind als solche nicht Ideen, sie sind, sie haben ein Sein, oder anders ausgedrückt: Gott ist darin, denn Gott ist ein Gott der Liebe. Im christlichen Gottesbegriff ist die Unvergänglichkeit des Menschen bereits eingeschlossen. Wir haben ein Geschöpf, das Gott ansieht und das Gott, der Ewigkeit ist, liebt und damit schon Anteil hat an der Ewigkeit des Herrn. Wie man dies dann genau formuliert oder wie man es sich vorstellen soll, sind am Ende sekundäre, wenn auch nicht unwesentliche und unwichtige Fragen. […]
In seinem Kern ist das Bekenntnis zur Unsterblichkeit der Seele zum ewigen Leben eben nichts anderes als ein Bekenntnis dazu, dass Gott wirklich ist, dass ich ihm vertraue. Es ist ein Satz, eine Aussage über Gott und darum ein Satz über den Menschen, der da in einer bestimmten Weise seine Existenz finden soll. Die Frage nach der Eschatologie und der Christozentrik oder der Erlösung ist das zentrale Anliegen der Enzyklika ‹Spe salvi›, die Papst Benedikt im November 2007 veröffentlicht hat. Unser Glaube lebt von der Hoffnung auf die Erlösung in Jesus Christus. Wir leben in dieser Hoffnung, die nicht nur eine mühsame Vorstellung einer ungewissen Zukunft ist, sondern eine Gewissheit. Oder, wie es in ‹Spe salvi› heisst, ‹eine verlässliche Hoffnung, dank der wir unsere Gegenwart bewältigen können›. Gott hat uns im Glauben die Sicherheit seiner Gegenwart geschenkt und die Bewältigung der Zukunft aus der Kraft des Glaubens, der Heil und Hoffnung ist. […] Die Erlösung des Heils ist nach christlichem Glauben aber nicht einfach da. Erlösung ist uns in der Weise gegeben, dass uns Hoffnung geschenkt wurde, eine verlässliche Hoffnung, mit der wir unsere Gegenwart bewältigen können. Jeder einzelne von uns. Gegenwart, auch mühsame Gegenwart, kann angenommen werden, wenn sie auf ein Ziel hinzuführt. Und wenn wir dieses Zieles gewiss sein können. Wenn dieses Ziel so gross ist, dass es die Anstrengung des Weges rechtfertigt. Nur drängt sich dann sogleich die Frage auf: Welcher Art ist denn diese Hoffnung?
Als zentrale Aussagen sind Glaube und Hoffnung als austauschbare Begriffe verwendbar. Im Glauben manifestiert sich stets und zugleich die Hoffnung auf die Wiederkunft des Herrn in der Zeit, aber auch die Hoffnung auf das Bleibende. Auf die bleibende und liebende Zuwendung Gottes zu uns Menschen. Es ist nicht nur die Hoffnung auf eine verbesserte Lebenssituation, sondern die grundsätzliche Hoffnung auf Erlösung. Auf das ewige Leben. Und worin besteht diese Erlösung? Ist sie eine Befreiung von politischer Herrschaft oder der Ruf nach grenzenloser Autonomie? Münden diese Formen nicht dennoch alle im Egoismus, in der Selbstgefälligkeit von selbst ernannten Befreiern und Erlösern, ganz egal welcher politischer Farbe sie angehören. Die Botschaft des Hoffnung schenkenden Glaubens ist eine andere. Was Jesus Christus gemacht hat, ist etwas ganz anderes. Er starb selbst am Kreuz für uns und hat uns hinein gestellt in die Begegnung mit dem Herrn aller Herren, dem lebendigen Gott, dem Gott der Hoffnung und des Lebens. Sein Tod am Kreuz ist Hoffnung, weil er stärker war als Unterdrückung und das Leiden. Deshalb hat er die Welt verändert und zur Liebe umgestaltet. Ein Gott, der für uns am Kreuz gestorben ist. […] Wir begegnen einander schon in der Liebe und Hoffnung, auch den Vereinzelten, den Sterben und den Verachteten gegenüber.
Wahres Glück weist über den irdischen Tod hinaus
Das Leben selbst hier und heute erhält zugleich eine neue Dimension. Es ist aus der Enge irdischer Begrenzung herausgelöst. Wir kennen das Dilemma. […] Was ist das denn das ewige Leben? Einerseits, so sagt es der Zyniker, wollen wir nicht sterben. Vor allem nicht vor dem anderen, der uns gut ist. Aber andererseits möchten wir doch nicht endlos weiter existieren, und auch die Erde ist dafür nicht geschaffen. Also, was wollen wir denn letztendlich? Die Paradoxie unserer eigenen Haltung löst eine tiefere Frage aus. Wir sprechen oft von Leben. Was ist das eigentlich – Leben? Und was bedeutet das eigentlich – Ewigkeit? Es gibt Augenblicke, in denen wir plötzlich spüren, ja, das wäre es eigentlich. Genau das, das wahre Leben, so müsste es sein. […]
Eigentlich wollen wir doch nur eines, alle miteinander wollen wir das glückliche Leben. Gar nichts anderes. Zu nichts anderem sind wir unterwegs. Nur um das eine geht es, dass wir Gott als Zielpunkt unseres Lebens entdecken. Das Eintauchen in den Ozean der unendlichen Liebe, in dem es keine Zeit, kein Vorher und Nachher mehr gibt. […]
Wir sind keine isolierten Individuen. Und Erlösung bedeutet nicht die Betonung einer Vorrangstellung vor dem anderen. Heil in Christus betrifft uns alle, betrifft alle Menschen. Er macht ihnen das Angebot des Heils und verkündet seine Botschaft durch die Kirche. Als Werkzeug in den Händen Christi weist die Kirche zugleich auf das selige Leben, das die gegenwärtige Welt übersteigt. Wenn der Faktor Gott vom Menschen in die reine Innerweltlichkeit heruntergezogen wird und seine Existenz geleugnet wird, wird die Leere spürbar, die sich in seinem Innern ausbreitet. Philosophisch, ich hab es bereits angedeutet, hat Kant den Versuch unternommen, das Christentum als rein ethisches Postulat gelten zu lassen. […] Ein Katalog, ein Regelwerk ethisch moralischer Gesetze würde das Reich Gottes auf Erden errichten. Gott selbst ist dabei nicht mehr notwendig. Er hindert den aufgeklärten Menschen, zu sich selbst zu kommen und hält ihn als Gefangenen in der eigenen Unmündigkeit. Hier ist jede Hoffnung auf Erlösung oder Befreiung, die den Menschen wirklich zum Leben führt, einer philosophischen Konstruktion gewichen. Und noch deutlicher sind die politischen Erlösungstheorien von Engels und Marx.
Im industriellen Fortschritt findet der Mensch zu seiner Bestimmung, d. h. Gott wird immer innerweltlicher interpretiert. Und im genauen Ablauf der Geschichtsnotwendigkeit wird der Arbeiter zum Ideal der an den wirtschaftlichen Abläufen orientierten Gesellschaft. Eigentum wird überführt an den Staat, die herrschende Klasse enteignet und die politische Macht gestürzt. Die Revolution soll Erlösung und Befreiung schenken. Um welchen Preis? Das Unmenschliche dieser Theorie besteht in der Reduzierung des Menschen auf ein Segment im wirtschaftlichen Fortschritt, in dem der Mensch sich, um Mensch zu sein, den Mechanismen der Produktion zu unterwerfen hat. Nein, das ist keine Form der Erlösung. […] Das wahre Reich Gottes ist Geschenk und nicht Produktion. Und es ist immer mehr, als wir verdienen. Ideologien der Menschen waren und sind am eigenen Vorteil ausgerichtet. Auch wenn sie Freiheit, Selbstbestimmung und Erfolg versprechen. […] Die Menschen haben vergessen, was der Mensch ist, der auf ihn, Gott hin, geschaffen wurde. Doch nicht der Mensch selbst erfüllt sich diese Hoffnung, sondern nur Gott allein. Die sogenannte neugewonnene Freiheit, ohne Ordnung in die Zukunft zu gehen, was brachte sie denn? Sie brachte Verderben, Knechtschaft, Unterdrückung und die ungebremste Herrschaft einiger Mächtiger.
Was war falsch an der politisch motivierten, in einer literarischen Form so harmlos daherkommenden Vision eines Karl Marx? Er hat vergessen, dass der Mensch immer ein Mensch bleibt. Er hat den Menschen vergessen und er hat seine Freiheit vergessen. […] Und er glaubte, wenn die Ökonomie in Ordnung sei, sei von selbst alles in Ordnung. Sein ureigener Irrtum ist der Materialismus. Der Mensch ist eben nicht nur Produkt und in erster Linie der ökonomischen Zustände. Und man kann ihn allein von aussen her durch das Schaffen günstiger ökonomischer Bedingungen schlichtweg nicht halten.
Wir kennen viele Formen der Hoffnung, jeder Tag ist angefüllt damit und jede Lebenssituation kennt eine andere. […] Die kleinen Hoffnungen des Alltags, die uns auf dem Weg halten, brauchen die grosse Hoffnung, die alles übersteigt. Und diese Hoffnung kann nur Gott selbst sein, der das Ganze umfasst, der uns geben und schenken kann, der uns im Lieben die Hoffnung schenkt und das wahre Leben. Es gibt Lernorte der Hoffnung, welche die Enzyklika ‹Spe Salvi› nennt. Das Gebet ist ein solcher Lernort. Wenn niemand mehr zuhört, wenn ich zu niemandem mehr reden kann in dieser Verlorenheit, bleibt immer: Als Betender ist der Mensch nie alleine. Beten bedeutet dabei aber nicht, den eigenen Vorteil zu suchen. Es schliesst uns nicht aus der Geschichte aus, es isoliert uns nicht. Denn rechtes Beten ist ein Vorgang der inneren Reinigung, der gerade menschenfähig macht. Es ist eine persönliche Begegnung mit dem lebendigen Gott, die in das gemeinschaftliche Gebet der Kirche hineinführt, das «Vater Unser» das «Ave Maria», und die Gebete der Liturgie. Aus dieser Begegnung, aus diesen Begegnungen erwächst die Reinigung, die uns zu hoffenden Menschen macht.
Ein zweiter Lernort der Hoffnung ist auch das Leiden. Im ‹Spe Salvi› heisst es: ‹Alles ernsthafte und rechte Tun des Menschen ist die Hoffnung in Gott.› Nur die grosse Zuversicht, dass trotz des vielfältigen Scheiterns mein Leben geworden ist in den Händen Gottes und von ihm her Sinn, Mut zum Wirken und Kraft zum Weitergeben erhält, lehrt uns die Hoffnung, in der wir gerettet werden. Auch das Leid, wer weiss es nicht, gehört zum Leben und ist ein Lernort. […] Gott ist auch ein Gott des Trostes und der Tröstung.
Schliesslich, damit abschliessend: Als dritten Lernort der Hoffnung nennt Papst Benedikt das Gericht. […] Den Ausblick auf das Gericht hat die Christenheit stets zum Massstab des gegenwärtigen Lebens als Aufforderung an das Gewissen, als Zeichen der Hoffnung auf die Gerechtigkeit Gottes verstanden. Es ist nicht das Szenario der Furcht, sondern das Bild der Verantwortung. Und es ist ein Blick nach vorne, der dem Christentum seine Gegenwartskraft gibt und zugleich das Vertrauen auf Gottes Gerechtigkeit schenkt. Es gibt Gerechtigkeit. Es gibt die Gutmacht, es gibt das Recht und die Auferstehung des Fleisches. Daher ist der Glaube an das Letzte Gericht zu allererst Hoffnung, dass alles zum Guten gelenkt wird. Nicht irgendein Gott, der sich unseren Blicken entzieht, ist unsere Hoffnung auf Erlösung, sondern Jesus Christus, in dem Gott uns sein Angesicht geschenkt hat.»
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