Die wenigen dort noch lebenden Christen (heute noch rund tausend von einst 5000) sind mit Angst und Sorge erfüllt. Gegenüber 20 Minuten weiss Ladenbesitzer Fasih über leidvolle Erfahrungen zu berichten: «Der Islamsiche Staat hat unseren Laden 2013 in Schutt und Asche gelegt, auch weil wir Wein verkauften. Wir mussten fliehen und nach der Rückkehr alles neu aufbauen.»
Wie der ‹Blick› gestützt auf CNN-Quellen berichtet, deutet auch der neue Lehrplan auf eine Islamisierung hin. Da wird der Begriff «Pfad des Guten» durch den Begriff «Pfad des Islams» ersetzt, statt fürs Vaterland soll für Allah gestorben werden und statt von denjenigen, die «verflucht und vom rechten Weg abgekommen» sind, ist nun plötzlich von «Juden und Christen» die Rede.
Passgenau in dieses Bedrohungsszenario fügt sich der Eklat rund um den verweigerten Handschlag für die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock, die zusammen mit dem französischen Aussenminister Jean-Noel Barrot im Auftrag der Europäischen Union kurz nach Neujahr Damaskus besuchte. Der neue Machthaber Ahmed al Sharaa begrüsste den französischen Aussenminister per Handschlag, verweigerte diesen aber der neben ihm stehenden deutschen Aussenministerin.
Der verweigerte Handschlag und seine Interpretationen
Die Reaktionen liessen nicht lange auf sich warten. Annalena Baerbock spielte den Vorgang nach Kräften herunter, um ja nicht als Blamierte, als Blossgestellte dazustehen. Wichtig sei das Signal der neuen Machthaber, die deutlich gemacht hätten, wie wichtig es ihnen sei, «auch die Frauen in den politischen Entscheidungsprozess einzubeziehen» (Neue Zürcher Zeitung vom 4. Januar 2025).
Auch 20 Minuten wollte die Deutungshoheit über diesen Vorfall nicht dem gemeinen Volk überlassen. Mit dem Beitrag «Affront oder Respekt? Das bedeutet der verweigerte Handschlag» versucht die Pendlerzeitung ihre Leserschaft aufzuklären. Als erster meldet sich Islamversteher Reinhard Schulze von der Universität Bern zu Wort. Es sei insofern kein Affront, als die Situation für die deutsche Aussenministerin nicht überraschend gekommen sei. Mehr noch: In geradezu halsbrecherischer Dialektik deutet Schulze die Verweigerungshaltung in ein positives Attribut des neuen Machthabers um – Ahmed al Shabaa stelle damit seine Frömmigkeit in den Dienst der Integration: «Er will damit seine Akzeptanz in der sehr heterogenen Szene der ehemaligen Oppositions-Milizen wie in der syrischen Gesellschaft stärken.» Ob das die religiösen Minderheiten, insbesondere die christliche, auch so sehen?
Elham Manea von der Universität Zürich hält dagegen: «Hinter dem verweigerten Handschlag steht das reaktionäre Weltbild der Fundamentalisten, dass Frauen und Männer nicht gleichwertig sind und sich in der Öffentlichkeit nicht gemeinsam zeigen sollten.» Jede Berührung einer Frau werde dabei als potentielle Versuchung taxiert. Islamexpertin Seyran Ates ergänzt gegenüber der Bild-Zeitung: «Die Vorstellung, dass sich Menschen die Hand geben, ohne sexuelle Gedanken zu haben, existiert in der Welt der Islamisten nicht.»
Damit wird ein neuralgischer Punkt eines Frauenbildes angesprochen, das sich in der islamischen Welt zunehmend ausbreitet. Die Verweigerung eines jeden Körperkontaktes zwischen Frau und Mann ist in diesen islamischen Kreisen nur im Sinne einer Mindestanforderung zu verstehen. Gerade erst vor zwei Tagen hat das Kampagnennetzwerk Avaaz eine Petition gestartet, um darauf aufmerksam zu machen, dass in einem Nachbarland Syrien, nämlich im Irak, im Parlament Bestrebungen im Gang sind, Kinderehen zu legalisieren sowie Frauen ihre Rechte auf Scheidung, Sorgerecht und Erbschaft zu entziehen.
Da stellt sich unweigerlich die Frage, warum tonangebende Kräfte im Westen vor diesem Menetekel die Augen verschliessen. Ist es Gleichgültigkeit, Opportunismus, Feigheit oder gar Selbsthass? Das Phänomen ist nicht neu. Als Aserbeidschan 2023 die christliche Bevölkerung aus Berg Karabach vertrieb, reagierte der Westen ausgesprochen desinteressiert und liess die dort seit Jahrhunderten ansässigen Armenier im Stich. Intakte Beziehungen zu dem über grosse Erdöl- und Erdgasvorkommen verfügenden Aserbeidschan waren und sind wichtiger.
Als eine Art «Menetekel en miniature» hat der Unterzeichnete einen Vorfall empfunden, der sich im November vergangenen Jahres im rege frequentierten Café einer grossen Schweizer Stadt zugetragen hat. Eine junge Muslimin breitet plötzlich mitten im Couloir ihren Gebetsteppich aus, um darauf ihr Freitagsgebet zu verrichten. Den anwesenden jungen Frauen mit ihren Kinderwagen war es während längerer Zeit nicht mehr möglich, das Café zu verlassen (vgl. Titelbild). Der Ladenbesitzer liess die Muslimin trotz Protesten gewähren.
Eine vielversprechende Antwort
Wie soll der Westen auf die offensichtliche Bedrohung seiner Identität und seiner Werte in angemessener Weise reagieren? Die ursprünglich aus Somalia stammende Ayaan Hirsi Ali hat in einem im Magazin 1/2025 von Zukunft CH veröffentlichten Beitrag einen vielversprechenden Weg aufgezeigt. Sie tut dies anhand ihres eigenen Lebensweges, der sie vom Islam zum Atheismus hin zum Christentum führte. Zu Beginn fühlte sie sich von den Versprechungen der Muslimbrüder in den Bann gezogen: Im Diesseits als Märtyrer für die Sache Allahs zu sterben und dafür mit dem Paradies belohnt zu werden. Gerade die radikalen Forderungen, weltlichen Verlockungen wie Musik, Tanz und Kinobesuche abzuschwören, auf westliche Mode und Make up zu verzichten und sich stattdessen für Ideale aufzuopfern, übten eine grosse Anziehungskraft auf die junge Frau aus. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York lösten ein Umdenken aus. Angesichts dieser und anderer Greueltaten begann ihr die These des Atheisten Bertrand Russell einzuleuchten, dass die ganze Religion auf Angst beruhe. Er schien ihr zum Nulltarif einen Ausweg aus einem unerträglichen Leben der Selbstverleugnung und der Schikanen gegenüber anderen Menschen zu ermöglichen.
Doch schliesslich gelangte sie zur Einsicht: Die westliche Zivilisation wird von drei verschiedenen, aber miteinander verbundenen Kräften bedroht: dem Wideraufleben des autoritären Verhaltens und der Expansion von Grossmächten wie der Kommunistischen Partei Chinas und Wladimir Putins Russland, dem Aufstieg des globalen Islamismus, der eine riesige Bevölkerung gegen den Westen zu mobilisieren droht, und der viralen Verbreitung der woken Ideologie, welche die Moralvorstellungen der nächsten Generation auffrisst. Dabei genügt es nicht, so Ayaan Hirsi Ali, darauf bloss mit säkularen Mitteln, sprich mit militärischen, wirtschaftlichen und technologischen Anstrengungen zu reagieren. Ebenso unzureichend ist ihr zufolge der Versuch, sich mit der «auf Regeln basierenden liberalen internationalen Ordnung» zufrieden zu geben.
Die einzig glaubwürdige Antwort liegt ihrer Auffassung zufolge in unserem Bestreben, das Erbe der jüdisch-christlichen Tradition zu revitalisieren. In diesem Sinne bekennt sie: «Ich habe mich auch deshalb dem Christentum zugewandt, weil ich das Leben ohne spirituellen Trost letztlich als unerträglich, ja fast als selbstzerstörerisch empfand. Der Atheismus konnte eine einfache Frage nicht beantworten: Was ist der Sinn und Zweck des Lebens.»
Für Ayaan Hirsi Ali ist schliesslich klar, dass wir vor diesem nihilistischen Hintergrund die woke Ideologie nicht wirksam bekämpfen können, wenn wir nicht unsere jüdisch-christliche Zivilisation verteidigen. Und wir können den Islamismus nicht mit rein säkularen Mitteln bekämpfen: «Um die Herzen und Köpfe der Muslime hier im Westen zu gewinnen, müssen wir ihnen mehr bieten als Videos und Tik tok.»
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