Infolge des Gesundheitszustandes von Papst Franziskus wird sich sein Besuch auf die Hauptstadt Budapest beschränken. Dort wird ihn Kardinal Péter Erdö als Erster begrüssen. Der Erzbischof von Esztergom-Budapest und somit Primas von Ungarn zählt zu den profiliertesten Kirchenvertretern in Mittel- und Osteuropa. Das Konkordat zwischen dem postkommunistischen Ungarn und dem Heiligen Stuhl, das der Kirche heute wieder ein weitgehend ungehindertes Engagement im Bildungs- und Sozialwesen garantiert, trägt auch seine Handschrift. Zur Deckung der materiellen Bedürfnisse wird ein als «Kirchensteuer» bezeichneter, de facto aber freiwilliger Beitrag erhoben, den der Staat durch finanzielle Zuschüsse aufstockt.
Der sprachbegabte Primas ist vor allem ein Mann des Wortes und der Wissenschaft, nicht der grossen Öffentlichkeit. Über die Gesellschaft seiner ungarischen Heimat spricht Erdö schnörkellos: Der Kommunismus habe den «bürgerlichen Anstand ausgelöscht»; die freiwillige Befolgung von Rechtsnormen sei sehr niedrig.
In der Tat: Sein Vorgänger und ehemaliger Primas von Ungarn, Kardinal József Mindszenty (1892–1975), würde diesen Satz mehr als nur unterstreichen. Bereits nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie wurde er während der kurzlebigen kommunistischen Räterepublik ins Gefängnis geworfen. Nach seiner Befreiung errichtete er als Stadtpfarrer von Zalaegerszeg mehrere Schulen und leistete Pionierarbeit in der Jugendpastoral. Auf seine Verdienste als vorbildlicher, unerschrockener Seelsorger aufmerksam geworden, ernannte ihn Papst Pius XII. am 4. März 1944 zum Bischof. Am 15. September 1945 folgte seine Ernennung zum Erzbischof von Esztergom-Budapest und damit zum Primas von Ungarn mit anschliessender Aufnahme ins Kardinalskollegium. Vorgängig hatte er zusammen mit anderen ungarischen Bischöfen gegen die Verschleppung von Juden in die Vernichtungslager öffentlich protestiert, worauf ihn das nazihörige ungarische Marionettenregime ins Gefängnis steckte. Als nach der Machtübernahme der Kommunisten die Deutschen aus Ungarn vertrieben wurden, erhob Kardinal Midszenty erneut öffentlich Protest. Es war just dieser ausgesprochene, unbeugsame Gerechtigkeitssinn, der ihn bei den Kommunisten – weil dadurch moralisch unangreifbar – besonders verhasst machte. Als er gegen die Konfiszierungen der über 3100 katholischen Schulen und die generelle Unterdrückung der Religionsfreiheit seine Stimmer erhob, schlug die Staatsmacht endgültig zu. Am 26. Dezember 1948 wurde er verhaftet und durch wochenlange Folter und Verabreichung von Drogen für einen stalinistischen Schauprozess präpariert und zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Zuge des legendären ungarischen Volksaufstandes wurde er aus dem Gefängnis befreit und im Triumphzug nach Budapest geführt. Kurz vor dem Ende der Niederschlagung des Volksaufstandes flüchtete er in die US-amerikanische Botschaft.
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