Zunächst Bischof von Nancy, wurde der versierte Kirchenhistoriker und Jurist Lavigerie Anfang 1867 von Pius IX. zum Erzbischof von Algier ernannt. Im Vorjahr hatte in der nordafrikanischen Hafenstadt die Cholera grassiert. Mehr als 50 000 Menschen waren gestorben, viele Kinder wurden zu Waisen. In dieser Lage wollte der neue Erzbischof eine Schwesterngemeinschaft gründen, die sich den Notleidenden annahm. Er sandte einen Priester in die Bretagne, um junge Frauen anzuwerben, die bereit waren, den Menschen in Afrika zu dienen. «Weder Reichtum noch menschliche Grösse» konnte er versprechen, sondern nur «Armut, Elend, Selbstverleugnung und einen möglichen Märtyrertod».
Erzbischof Lavigeries längerfristiges Ziel war eine Wiederbelebung des antiken Christentums in Nordafrika, ja eine Verbreitung in ganz Afrika. Als Mittel dafür sah er Missionsgesellschaften, die sich für Bildung, für Arme, Kranke und Waisenkinder einsetzen sollten. Im Oktober 1868 gründete er die Gesellschaft der Afrikamissionare (Weisse Väter); 1869 folgte der weibliche Zweig, die Weissen Schwestern.
Schwestern im Sturm
Wie schwierig die Aufgabe sein würde, dessen war sich Erzbischof Lavigerie bewusst: «Bei den Muslimen kann sich niemand einem weiblichen Wesen nähern, ohne selbst eine Frau zu sein», heisst es in seinem Missionsappell. «So wartet hier auf euch Frauen ein Auftrag, wie er euch in der Kirche kaum noch je anvertraut worden ist.» Acht junge Frauen entschieden sich für Algier – die meisten hatten die Bretagne nie zuvor verlassen. Am 9. September 1869 trafen sie ein. Noch tags zuvor waren sie in einen Sturm geraten, mit dem die Geschichte der «Missionsschwestern Unserer Lieben Frau von Afrika» quasi begann.
Die landläufige Bezeichnung der «Weissen Väter» und «Weissen Schwestern» knüpft an das weisse Ordensgewand an. Allerdings wurde der Name allzu häufig mit der Hautfarbe assoziiert, weshalb später die Bezeichnung «Afrikamissionare» bevorzugt wurde. Ihre Spiritualität ist von den Jesuiten geprägt, die in den Anfangszeiten die Seminaristen des Ordens ausbildeten. Die Mitglieder sollten die Kultur der einheimischen Bevölkerung respektieren und eine bodenständige Kirche aufbauen.
1878 wurden Missionsstationen in Ostafrika und 1894 in Französisch-Sudan gegründet, dem heutigen Mali, Burkina Faso und Guinea. 1874 entstanden Niederlassungen in Frankreich, 1884 in Belgien, 1894 in Deutschland und 1901 in Kanada. Allerdings waren nicht alle Versuche von Erfolg gekrönt. 1876 wurden drei Missionare beim Versuch, durch die Sahara das heutige Mali zu erreichen, von Tuareg getötet.
Einsatz gegen Sklaverei
Erzbischof Lavigerie engagierte sich vehement gegen die Sklaverei. Er besuchte dafür Europas Hauptstädte und Regierungen, predigte ein Ende des Menschenhandels. Als Reaktion wurden vielerorts Anti-Sklaverei-Gesellschaften gegründet, unter anderem auch die Missionsschwestern vom hl. Petrus Claver, deren Gründerin, Gräfin Maria Theresia Ledóchowska, vor genau 50 Jahren, am 19. Oktober 1975, seliggesprochen wurde.
1878 ernannte ihn Leo XIII. (1878–1903) zum Apostolischen Delegaten für Zentralafrika und damit zum Beauftragten für die Mission. Für seine Verdienste erhob er Charles Martial Allemand Lavigerie 1882 zum Kardinal.
Zwei Jahre später wurde – immer unter französischem «Protektorat» – das 1843 gegründete Apostolische Vikariat Tunesien zum Erzbistum Karthago erhoben und Kardinal Lavigerie mit dessen Leitung betraut. Unter Rückgriff auf die christliche Antike erhielt er mit dem Sitz von Karthago auch den alten Titel «Primas von Afrika».
Von Kardinal Lavigerie ging auch die Initiative zum Bau der Kathedrale in Karthago aus. Sie wurde binnen weniger Jahre auf dem höchsten Punkt des Bursa-Hügels errichtet, wo einst die Akropolis der antiken Grossmacht Karthago stand. Die mächtige Kathedrale St. Louis war dem heiliggesprochenen französischen König Ludwig IX. geweiht, der 1270 genau hier als Kreuzfahrer gestorben war.
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