Symbolbild. (Kenny Orr/Unsplash)

Weltkirche

Vati­kan: Keine Namens­nen­nung von ver­stor­be­nen Missbrauchs-​Beschuldigten

Das «Dikas­te­rium für Geset­zes­texte» lehnt in einem am 22. Februar 2025 ver­öf­fent­lich­ten Schrei­ben die Namens­nen­nung von ver­stor­be­nen Missbrauchs-​Beschuldigten ab. Damit spricht es sich gegen die ins­be­son­dere in den USA ver­brei­tete Pra­xis aus, bereits auf­grund glaub­wür­di­ger Vor­würfe («credi­bly accu­sed») die Namen von Beschul­dig­ten zu nen­nen. Eine sol­che ist nur gerecht­fer­tigt, wenn die ver­stor­bene Per­son bereits zu Leb­zei­ten rechts­kräf­tig ver­ur­teilt wurde.

Das Schreiben, datiert vom 5. September 2024, ist die Antwort auf eine Anfrage vom Juli des gleichen Jahres, in der das Dikasterium um eine Stellungnahme zur Frage der «bona fama defuncti» (guter Ruf von Verstorbenen) in der gegenwärtigen kanonischen Rechtsprechung gebeten wird. Bereits im Rahmen der Kinderschutzkonferenz vom Februar 2019 hatte Papst Franziskus darauf hingewiesen, dass die Namensnennung von lebenden Beschuldigten unzulässig ist, solange sie noch nicht rechtskräftig verurteilt sind.

Der Präfekt des Dikasteriums, Filippo Iannone OCarm, verweist zunächst auf can. 220 CIC. Dieser stellt einen allgemeinen Grundsatz auf, der Verleumdung und übliche Nachrede verbietet: «Niemand darf den guten Ruf, den jemand hat, rechtswidrig schädigen und das persönliche Recht eines jeden auf den Schutz der eigenen Intimsphäre verletzen.»

Im Umkehrschluss bedeutet dieser Kanon, dass die Verletzung des guten Rufs in einigen Fällen legitim sein kann, beispielsweise um eine Gefahr oder Bedrohung für Personen oder die Gemeinschaft zu vermeiden. Konsequenterweise ist sie nicht legitim, wenn eine solche Gefahr vernünftigerweise auszuschliessen ist, was auf verstorbene mutmassliche Straftäter zutrifft. «Es erscheint daher unzulässig, die Veröffentlichung solcher Informationen mit vorgeblichen Gründen der Transparenz oder der Wiedergutmachung zu rechtfertigen», so Iannone.

Er führt weiter den Grundsatz der Unschuldsvermutung bis zum (gerichtlichen) Gegenbeweis an (can. 1321 § 1). Auch gelten Gesetze «pro futuro», d. h. strafrechtliche Vorschriften können nicht auf Handlungen und Verhaltensweisen angewendet werden, die zum Zeitpunkt ihres Eintretens weder eine unerlaubte Handlung noch ein Verbrechen oder eine Straftat darstellten (vgl. canones 9; 18; 1313).

Das «Dikasterium für die Gesetzestexte» kommt zum Schluss: «Diese Grundsätze, die eine strukturelle Tragweite haben, können vernünftigerweise nicht durch ein allgemeines ‹Recht auf Information› ausser Kraft gesetzt werden, das jede Art von Informationen, und seien sie noch so glaubwürdig, zum konkreten Nachteil und existenziellen Schaden für die persönlich Betroffenen an die Öffentlichkeit bringt, umso mehr, wenn sie unzutreffend oder sogar unbegründet oder falsch oder völlig nutzlos sind wie z. B. bei verstorbenen Personen.»

Der Präfekt gib weiter zu bedenken, dass die Feststellung, ob eine Anklage «begründet» ist, oft auf einer nicht-kanonischen Grundlage basiert und sich mit einem relativ niedrigen Beweisstandard begnügt. Dies kann zur Folge haben, dass der Name einer Person veröffentlicht wird, die lediglich beschuldigt und gegen die ein unbewiesener Vorwurf erhoben wird, ohne dass ihr das Recht auf Verteidigung eingeräumt wird.

Abschliessend verweist das Schreiben auf die «Denkanstösse» (Punti di riflessione), die Papst Franziskus anlässlich der Kinderschutzkonferenz im Februar 2019 veröffentlicht hat. Punkt 14 bezieht sich auf das Recht auf Verteidigung. Die sowohl im Naturrecht wie auch im kanonischen Recht geltende Unschuldsvermutung müsse gewahrt werden. «Daher muss die Veröffentlichung von Listen der Beschuldigten, auch durch die Diözesen, vor der Untersuchung und der endgültigen Verurteilung vermieden werden.»
 

Beim «Pilotprojekt zur Geschichte sexueller Ausbeutung im Umfeld der katholischen Kirche in der Schweiz» wurde vertraglich festgelegt, dass «öffentliche Personen wie Bischöfe, Weihbischöfe, Vorsteher/innen von Ordensinstituten und weiteren Gemeinschaften des geweihten Lebens, Mitglieder von kantonalen staatskirchenrechtlichen Exekutiven sowie Inhaber von kirchlichen und staatskirchenrechtlichen Kaderstellen (Generalvikare, Bischofsvikare, Regenten von Priesterseminaren, Leiter/innen kantonalkirchlicher Verwaltungen)» nicht anonymisiert werden.


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin.


Kommentare und Antworten

×

Name ist erforderlich!

Geben Sie einen gültigen Namen ein

Gültige E-Mail ist erforderlich!

Gib eine gültige E-Mail Adresse ein

Kommentar ist erforderlich!

Captcha Code Kann das Bild nicht gelesen werden? Klicken Sie hier, um zu aktualisieren

Captcha ist erforderlich!

Code stimmt nicht überein!

You have reached the limit for comments!

* Diese Felder sind erforderlich.

Sei der Erste, der kommentiert