Interview Neuevangelisierung

Ver­kün­di­gung durch Bilder

Mike Qer­kini ist ange­hen­der Lit­ur­gie­wis­sen­schaft­ler, pas­sio­nier­ter Iko­no­graf und ein begeis­ter­ter Pries­ter. Wie Wis­sen­schaft, Iko­no­gra­fie und Seel­sorge zusam­men­ge­hen und warum er mit Gleich­ge­sinn­ten die erste Iko­nen­schule im deutsch­spra­chi­gen Raum gegrün­det hat, erzählt er im Inter­view mit swiss​-cath​.ch.

P. Mike, könnten Sie kurz erklären, was eine Ikone ist?
Mike Qerkini: Bildtheoretisch ist es schwierig, das Phänomen «Bild» zu definieren, weil jede wissenschaftliche Disziplin das Bild anders definiert. Am besten definiert man die Ikonen über ihre Funktion: Ikonen sind christliche Bilder, die in einem funktionalen Zusammenhang mit dem gefeierten Glauben, der Liturgie oder dem Gebet stehen. Die Ikonen gehören in den Bereich der Liturgie.

Was unterscheidet ein westliches Bild von einer östlichen Ikone?
Prinzipiell muss man festhalten, dass die West- und Ostkirche die gleiche Bildtheologie haben. Das Konzil von Nikaia (787), das siebte ökumenische Konzil, hielt fest, dass die christlichen Bilder zum katholischen bzw. orthodoxen Glauben gehören. Begründet wird dies traditionell mit der Inkarnation Gottes, dem Weihnachtsmysterium: Gott hat die Materie in seinem Sohn Jesus Christus angenommen und erlöst. Wo immer Ikonen und christliche Bilder sind, wird das Weihnachtsmysterium fortwährend verkündet. Unterschiedlich haben sich jedoch die Bildtraditionen entwickelt: In der Westkirche wurde vor allem die naturalistische Darstellung betont. Die sakrale Kunst sollte die Nähe zum Mysterium Christi durch eine originalgetreue Illustration der Protagonisten bewirken. Der Hype um das Turiner Grabtuch besteht beispielsweise gerade darin, dass es das wahre Angesicht Jesu abbilden soll. Durch das Betrachten dieses Grabtuches ist man der Person Jesu ganz nahe: Ein bärtiger Mann mit geschlossenen Augen, der offensichtlich gequält und gekreuzigt wurde. Die östliche Ikonografie hingegen ging mit den Ikonen einen anderen spirituellen Weg. Ikonen und christliche Bilder zeigen stets den erlösten Menschen. Um die erlöste Welt, den Himmel, darzustellen, braucht es eine neue Sprache, Formen, Darstellungen usw. Nimmt man nun das orthodoxe Pendant zum Turiner Grabtuch, das Mandylion, so wird man dort schnell die unterschiedliche Tradition sehen: Das nicht von Menschenhand gemachte Bild des Angesichts Jesu hat nicht, wie man bei einem Grabtuch annehmen müsste, geschlossene Augen. Dort wird der verherrlichte Christus mit kaum bemerkbaren Leidensspuren und offenen Augen dargestellt. Im Himmel sind die Wunden verklärt und es gibt dort keinen Tod. Die Ikone ist demnach keine Fotografie, kein Artefakt, sondern ähnlich einer himmlischen Reliquie, die durch den Zeicheninhalt des Evangeliums geheiligt ist. Dort, wo das Wort Gottes, Jesus Christus, präsent ist, ist der Himmel und dort geschieht die Verwandlung. Daher ist konsequenterweise jede Ikone eine wundertätige Ikone. Grob zusammenfassend und vielleicht etwas stereotypisch gesagt wollen Ikonen das Evangelium durch einen bestimmten Darstellungskodex darstellen, während vielleicht ein christliches Bild in der Westkirche über das Naturgetreue zum Evangelium führen möchte. Beiden gemeinsam ist jedoch die Verkündigung des Evangeliums, die Bildtheologie.

 

 

In der Schweiz sind Ikonen in Kirchen noch immer selten.
Vor ein paar Jahren besuchte ich eine serbisch-orthodoxe Kirche. Der Priester gibt selbst Ikonenkurse. Er erklärte mir, dass die Ikonenkurse Bestandteil der Pfarreiseelsorge sind. In dem Moment fragte ich mich, warum ich in meinem Theologiestudium nie auf die Bildtheologie zu sprechen kam. Das ist doch auch eine Methode, um das Evangelium zu verkünden. Wie bereichernd muss eine theologische Ausbildung sein, die mir eine Fülle von Methoden für die Verkündigung des Evangeliums bereitstellt. An diesem Punkt wurde mir klar, dass die Idee einer Ikonenschule unbedingt öffentlich werden muss, um in der Theologie und in der Pastoral die Relevanz der Bildtheologie aufzuzeigen. Die Ikonenschule ist aber eigentlich nichts Neues: Das Werkzeug ist alt, die Theologie ist urchristlich. Wir reihen uns lediglich in die Tradition der Kirche ein und zeigen, dass die Verkündigung des Evangeliums kreativ geschehen kann!

Sie haben die Ikonenschule erwähnt, die sie mit Gleichgesinnten gegründet haben.
Ja, da darf ich etwas träumen! Die Idee einer Ikonenschule schlummert in meinem Herzen. Bei dieser Schule geht es um einen Ort, an dem das sichtbar gewordene Evangelium, Jesus Christus, sowohl in der Wissenschaft als auch im gelebten Glauben einen zentralen Platz einnimmt. Die Pflege und Forschung der Bildwissenschaft und der gelebte Glauben sind unter einem Dach: Ein Zentrum für die Bildforschung und für die Liturgie. Es ist ein Haus, in dem diverse Exerzitien angeboten werden und Rückzugsmöglichkeiten für Menschen in verschiedensten Lebens- und Glaubenslagen möglich sind. In diesem Sinne ist die Ikonenschule eine spirituell ausgerichtete, flexible Bildungseinrichtung, eine Akademie, bei der das Lehrmittel das Evangelium ist. Das sind alles noch Visionen und Ideen. In unserem Verein hat es für solche Ideen Platz. Ich bin aber felsenfest davon überzeugt, dass irgendwann der richtige Wink vom Heiligen Geist kommen wird, der uns die entsprechenden Räumlichkeiten zeigen wird. Noch fehlen uns die finanziellen Möglichkeiten. Jetzt sind wir jedoch reich an Liebe zum Evangelium, zu den Ikonen und christlichen Bildern. Das versuchen wir nach Möglichkeiten in die Tat umzusetzen.

Was bietet der Verein «Ikonen-Schule» heute schon an?
Wir versuchen vielfältig unterwegs zu sein. Beispielsweise waren wir am Weltjugendtag Schweiz anwesend, um den Jugendlichen zu zeigen, dass man Ikonen nicht immer auf Holz schreiben muss und dass man eine Ikone auch in eineinhalb Stunden schreiben kann. Dort konnten wir auch über die Bildtheologie sprechen. Wir versuchen weiter in Kunstschulen präsent zu sein. Das Interesse an uns besteht weniger in der Methode als in der Gestaltung der Idee der Ikonenschule. Wir sind anscheinend eine Inspiration für Studentinnen und Studenten, die auch mit wenig Geld auskommen müssen. Weiter bieten wir individuelle bildtheologische Referate und Weiterbildungen für einzelne Gruppierungen an. Wir fördern den Austausch auch zwischen den christlichen Konfessionen, indem wir untereinander im Gespräch bleiben. Die Freude an Farben hat uns sogar so weit geführt, dass wir eine freundschaftliche Beziehung mit einer Lackierfirma pflegen: Hier verbindet uns nicht primär der Glaube, sondern die Freude an den Farben. Trotzdem kam es vor, dass die Geschäftsleitung um den Segen für ihren Betrieb gebeten hat. Heute hängt eine Ikone des Heiligen Josefs im Büro der Geschäftsleitung. Berührungsängste haben wir keine.

 

 

Von der Ikonografie zur Lackierfirma ist trotzdem ein grosser Schritt …
Wenn ich segnend durch das Firmengebäude gehe, ist das auch Verkündigung: Mitten im Materiellen und im Leistungsdruck symbolisiert der Segen das Geistliche und ich verkünde damit den Menschen, dass Gott die Materie angenommen hat und die Menschen, ihre Arbeit und ihre Mühe fruchtbringend segnet. Der Mensch lebt ja bekanntlich nicht von Brot allein. Die Verkündigung des Evangeliums hat bei der Ikonenschule einen weiten Horizont: auf der wissenschaftlichen Ebene (Bildtheologie), bei einer Lackierfirma oder auch in einem Ikonenkurs für Kinder. Hier beispielsweise zeigen wir den Kindern, dass man seinen Glauben auch in Bildern ausdrücken kann. Das Ikonenschreiben verbinden wir mit einer Tauferneuerung, denn bei den Ikonen geht es um das Fundament des Christseins. Ich denke, wenn ein Kind eine eigene, selbst geschriebene Ikone im Zimmer aufhängt, bedeutet ihm das mehr, als wenn es eine Ikone geschenkt erhält. Wenn dann auch die Auseinandersetzung mit der Ikone und ihre Bedeutung dem Kind klar sind, kann es im Glauben wachsen und dem Christsein einen Ausdruck in seinem Leben geben. Wir ermuntern deshalb auch Eltern, dass sie mit ihren Kindern «bildtheologisch» unterwegs sein sollen, denn aus der Bildwissenschaft wissen wir, dass der Mensch ein «Bildwesen» ist: Er denkt, fühlt, deutet seine Umwelt in Bildern, auch wenn uns das nicht bewusst ist.

Gibt es auch Ideen für eine konkrete Zusammenarbeit mit Pfarreien?
Der Kirchenraum ist ein Abbild einer Pfarrei. Das ist etwas, was ich während meiner Forschung entdeckt habe: Ich habe willkürlich eine Pfarrei ausgewählt und sie mithilfe der bildlichen Darstellungen in der Kirche erschlossen. Aufgrund der Bildthemen in der Kirche habe ich die Behauptung aufgestellt, dass dieser Pfarrei die Diakonie am Herzen liegt. Und tatsächlich! Die ausgewählte Pfarrei hatte eine stark diakonische Ausrichtung. Diese Analyse hat meine Vermutung bestätigt: Der Ort, an dem wir feiern, beeinflusst uns und wir beeinflussen den Ort. Es wäre nun sehr spannend, mit einer Gemeinde ihren Kirchenraum zu erschliessen und mit ihnen zu schauen, was sie prägt und in welche Richtung sie sich in der Zukunft entwickeln möchte: Welchen Aspekt des Evangeliums liegt der Pfarrei am Herzen? Wenn eine Pfarrei das wünscht, können wir daher eine Kirche bildtheologisch erschliessen oder beratend zur Seite stehen, wenn sie den Kirchenraum gestalten möchte. Zurzeit beschränkt sich jedoch die Zusammenarbeit darin, dass wir für Pfarreien Ikonenkurse konzipieren, anbieten und durchführen.

Wie ist die Resonanz?
Ausnahmslos positiv. Ich merke immer stärker, dass wir zu einer professionellen Anlaufstelle geworden sind. Staatliche Institutionen melden sich bei uns ebenso wie Private. Oft werden wir im Zusammenhang mit einem Todesfall kontaktiert, wenn der oder die Verstorbene Ikonen oder Bücher über Ikonen hinterlässt. Die Angehörigen möchten wissen, ob die Ikonen einen Wert haben. Wir sind keine Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker, aber wir haben einen Blick dafür und können eine erste Einschätzung geben. In einem Fall konnte ich darauf hinweisen, dass es sich bei einem unscheinbar aussehenden Buch um ein einzigartiges Buch über Ikonen handelt, das inzwischen vergriffenen ist. Man bringt uns allgemein grosses Vertrauen entgegen. Das hat sicher auch damit zu tun, dass wir alle ehrenamtlich arbeiten und es uns nicht ums Geld geht.

Das klingt alles sehr spannend. Um auf Ihre Kursangebote zurückzukommen: Kann jeder Ikonen schreiben?
Ikonografie ist nicht nur für Künstlerinnen und Künstler. Jeder Getaufte, jeder, der sich mit dem Evangelium auseinandersetzen möchte, ist eingeladen zum Ikonenschreiben. Man darf nicht sagen «Ich habe kein Talent» oder «Ich kann nicht zeichnen». Ich kann auch nicht zeichnen! Aber ich bin getauft und habe den Wunsch, mit Jesus unterwegs zu sein. Wenn noch eine Anleitung einer Ikonenschule dazukommt, dann kann es nur gut werden. Denn diese Anleitung, diese Regeln und Arbeitsschritte sind aus den Erfahrungen von vielen Ikonografinnen und Ikonografen entstanden. Es geht schlussendlich auch um die Frage: Was ist meine Berufung als Getaufte, als Getaufter? Wenn der Mensch ein Bildwesen ist, dann ist jeder berufen, eine wahrhaftige Ikone Jesu Christi zu sein.

Zur Person
Mike Qerkini (35) ist in Kreuzlingen/TG aufgewachsen. Ursprünglich kommt er aus dem Südosten von Kosovë, Stublla e Epërme. Er studierte Religionspädagogik und Theologie in Luzern und erwarb an der Theologischen Hochschule Chur seinen Master in Theologie und das Lizenziat in Liturgiewissenschaft. Er schreibt seine Dissertation in liturgischer Bildtheologie. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit und der Arbeit im Verein «Ikonen-Schule» ist er in der Pastoral als Seelsorger tätig.

 

Information
Der Verein «Ikonen-Schule» bezweckt die Förderung der östlichen und westlichen klassischen wie auch modernen Ikonografie, der östlichen und westlichen Bildtheologie und besonders der liturgischen Bildtheologie. Er engagiert sich auch in der liturgiewissenschaftlichen Auseinandersetzung der liturgischen Bildtheologie.
www.ikonen-schule.ch


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


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Bemerkungen :

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    Sonja 21.10.2022 um 20:26
    Bis jetzt habe ich drei Ikonen geschrieben. Die erste mit Eitempera und die folgenden zwei in Enkaustik, unter der Anleitung und Unterstützung von P. Mike. Alle drei Ikonen sind sehr schön geworden, doch die Enkaustik-Technik ist schon einfacher. Auch über die Auswahl der passenden Farben und die Farbmischung habe ich viel gelernt.
    Allen, die Freude haben an Ikonen, kann ich einen Kurs bei der Ikonenschule wärmstens empfehlen.
  • user
    Edon 10.10.2022 um 19:10
    Danke an die Ikonen-Schule. Authentische Arbeit im Reich Gottes. Wir freuen uns immer wieder auf die Begegnung mit P. Mike und der Ikonen-Schule.
  • user
    Marijeta C. 10.10.2022 um 14:53
    Ich war auch bei einem Ikonenkurs der Ikonen-Schule. Traumhaft! So kann ich nur bestätigen: Die Kurse zeugen von professionellem Können und Wissen. Ich werde diese Arr von Spirtualität und Theologie nie vergessen. Ganz liebe Grüsse
  • user
    Petra 10.10.2022 um 14:04
    Vielen Dank für den tollen Artikel über die Ikonenschule! Es ist eine riesige Freude für mich, denn von P.Mike und seiner Ikonenschule bekam ich ein super Werkzeug in die Hand, wie aus meinem nicht vorhandenen Zeichnungstalent etwas wunderschönes entsteht. Die Kurse zeugen von professionellem Können und Wissen. Die Theologie geht gleich ins Herz. Eine Erfahrung, die meinen Alltag als Christin bereichert hat! Aber eine kleine Warnung: 1. Die Kurse machen süchtig. 2. In einer Ikone steckt auch viel von einem selbst drin. :)
  • user
    Lucia 10.10.2022 um 13:34
    Vielen Dank für das authentische Engagement. Die Ikonen-Schule und die Trägerschaft macht tolle Arbeit. Die Kurse zeugen von professionellem Können und Wissen. Die Theologie geht gleich ins Herz. Ich freue mich, wenn ich bald einen Ikonenkurs bei der Ikonen-Schule machen kann. Es ist ein kleiner Traum von mir, den ich gerne verwirklichen möchte. Danke auch an die ehrenamtlichen Mitarbeiter, die wahrhaftig eine Ikone Jesu Christi sind, jeder einzelne. :)