Als Johannes Paul II. Papst wurde, wohnte ich in Castelgandolfo und studierte am Lateran. Ich war 23 Jahre alt. Meine früheste Erinnerung geht also auf die Tage unmittelbar nach seiner Wahl zurück, als er in den Hof des Sommerpalastes in Castelgandolfo hinunterstieg und es sich fügte, dass er ausgerechnet mir seine Hand reichte. Wir waren alle begeistert: Ein für päpstliche Verhältnisse junger, attraktiver und sportlicher Papst trat uns mit viel Ausstrahlung und Charisma entgegen und eroberte unsere Herzen im Nu. Bis dato war uns Karol Wojtyla unbekannt, und auch die Italiener mussten sich zuerst daran gewöhnen, einen Nicht-Italiener auf dem Stuhl Petri zu sehen. Es wehte ein neuer Wind durch den Raum der Kirche, jener Wind, der beim Begräbnis von Johannes Paul II. die liturgischen Gewänder der Konzelebranten aufblähte und die Seite des Evangeliars auf seinem schlichten Holzsarg umblätterte.
Johannes Paul II. war ein Prophet und ein starker Fels. Seine Biographie ist beeindruckend wie auch seine natürlichen (künstlerisch-poetischen wie intellektuell-philosophischen) und übernatürlichen geistlichen Gaben (sein Gebetsleben, seine mystische Erfahrung und seine Leidenskraft, sein Weitblick). Von Anfang an entfaltete Johannes Paul II. eine grosse missionarische Dynamik. Seine vielen Reisen waren ein neues Phänomen und gaben vielen Kleingeistern, die an deren Kosten erinnerten, Anlass zur Kritik. Johannes Paul II. war kein Mann, der sich im Vatikan festhalten liess. Er hatte die ganze Welt im Sinn und wie Paulus drängte es ihn, ständig hinauszugehen. Im Hinblick auf die Leitung der Kurie brachte das auch Nachteile.
Johannes Paul II. war ein grosser Verkünder des Evangeliums: Auch er ging bis an die Ränder der Erde und trug alle Völker mit Ehrfurcht im eignen Herzen. Seine symbolischen Gesten (das Küssen des Bodens des besuchten Landes) waren anfangs etwas gewöhnungsbedürftig. Inzwischen sind uns päpstliche Symbolhandlungen vertraut und beeindrucken nicht mehr auf die gleiche Weise wie damals, als sie uns noch ganz neu vorkamen – nur den Koran hätte er vielleicht besser nicht geküsst wegen der Missverständlichkeit der Geste; mir, der ich ihm sonst sehr positiv gegenüberstand, ging das zu weit.
Ich empfinde unsere Zeit als eine eschatologische. Wir kannten im letzten Jahrhundert Kriege und Verbrechen unglaublichen Ausmasses. Seit den Sechziger-Jahren des letzten Jahrhunderts mehren sich gesellschaftliche Zerfallserscheinungen. Eine Ideologie löst die andere ab und reisst viele mit sich. Auch die Kirche blieb nicht verschont. Vieles hat sich nach der Euphorie der Konzilszeit überhaupt nicht zum Besseren gewandelt. Ja, ich habe mich in den letzten fünfzig Jahren manchmal gefragt, wo Christus in seiner Kirche – von so vielen Flügelkämpfen zerrissen – sichtbar bleibt. Jeder beruft sich ja mit seinen eigenen Reformvorstellungen auf Christus. Die Meinungen darüber sind aber nicht mehr kompatibel. Johannes Paul II. wie später auch Benedikt XVI. waren da für mich wirkliche Lichtgestalten, ein sicherer Halt und ein klarer Bezugspunkt. Johannes Paul II. gab mir das Gefühl, dass das Schiff Petri in festen und guten Händen ist.
Er war inspiriert: Die Neu-Evangelisation war sein Reformansatz zusammen mit missionarischem Eifer! Mit dem ersten Weltjugendtag hat er dort angesetzt, wo die Zukunft der Kirche liegt: bei der Jugend. Was aus diesem ersten, wahrhaft prophetischen Funken als Brand entstanden ist, ist gewaltig und macht mich heute noch sprachlos: Wie ein Papst bis ins hohe Alter und in extremer Gebrechlichkeit eine solche Anziehungskraft und Wachstumsdynamik des Glaubens unter den jungen Menschen in aller Welt auslösen konnte, ist sein Geheimnis!
Johannes Paul II. hat manches anders und neu gemacht. Er schrieb auch Poesie. Er war viel nahbarer als alle Päpste vor ihm. Er war eine Geistesgrösse, an die viele seiner Gegner nicht im Geringsten heranreichten. Das Attentat führte allen vor Augen, dass gegen ihn gewaltige Kräfte aufstanden und ihn am liebsten beseitigt hätten. Es ist ihnen nicht gelungen.
Seine schwere Parkinson-Erkrankung war aus meiner Sicht für ihn eine wirkliche Kenose. Er musste seine Vitalität und Kraft dahingeben, zusehends mehr und mehr gebeugt. Wenn ich sein Bild am Anfang und am Ende seines Pontifikates in meinen Erinnerungen wachrufe, bin ich erschüttert. Es wurde einem auch vor Augen geführt, dass dieser Mann nach Heiligkeit strebte und darin bis zuletzt nicht nachliess. Sein fröhliches Sterben ist so beeindruckend wie sein langes Pontifikat. Er hat seine Sendung durchgetragen, den guten Kampf gekämpft und ist als Sieger gestorben. Alle Welt pilgerte nach Rom, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Während seines ganzen Pontifikates wurde er hart kritisiert. Er hatte viele Gegner. Aber beim Begräbnis und in den Wochen darauf war irgendwie alles anders: Niemand wagte es, undifferenziert und respektlos über ihn zu reden oder zu berichten. Für mich war das eine ganz frappante Erfahrung, wie der Heilige Geist die Stimmung in Kirche und Welt so verändern kann, dass niemand mehr es wagt, Seinem Wehen zu widerstehen.
Johannes Paul II. war in vielen Dingen prophetisch. Von Anfang an hat er auf die Erneuerung von Ehe und Familie gesetzt, eine einzigartig dastehende Theologie des Leibes und der ehelichen Liebe entwickelt und institutionell verankert. Er hat Ideologien demaskiert und politische Systeme zum Einsturz gebracht. Er propagierte unermüdlich eine Kultur des Lebens gegen eine sprichwörtlich gewordene Kultur des Todes. Zusammen mit seinem kongenialen Kardinal Joseph Ratzinger gab sein Lehramt sichere Orientierung in gesellschaftlichen und moralischen Fragen, wurde aber an den Theologischen Fakultäten weitgehend nicht befolgt. Das rächt sich. Seine Enzykliken sind von höchstem Niveau und bleibender Gültigkeit. Genauso nachhaltig wirken seine Katechesen, vor allem über Ehe und Familie.
Johannes Paul II. hatte seine Fühler am Puls der Zeit und wusste, was sie braucht. Er war selbst eine Antwort Gottes auf ihre Herausforderungen. Seine Strahlkraft bleibt ungebrochen.
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Irgendwann stand in einer Verlautbarung unter seinem Namen, einige würden noch der früheren Form der Messe anhängen, quod valde dolendum est. Das ist eine klare Absage an die Traditionelle Messe, und wer sie lesen wollte, musste Erzbischof Lefebvre verwerfen.
Papst Franziskus geht ein wenig pragmatischer an die Sache, er lässt die Piusbrüder einfach machen. In den 80er-Jahren waren Konzilsfanatiker am Ruder, jeder kann nun die notwendigen Schlussfolgerungen daraus ziehen.
Ich sehe da bei JP II keine Gottesliebe, wenn er lieber in die Synagoge geht als die Traditionelle Messe zu unterstützen. Immerhin gibt diese Gottesliebe sakramental weiter, und steht auch zu ihr.
Es gilt noch einmal: liebst du Mich mehr als diese (übernatürlich) ?
Heiligkeit ist eine christologische Eigenschaft, welche in den heroischen Tugenden zu Gottes Ehren ausgedrückt werden.
Früher war zum Titel Kirchenlehrer auch die integritas doctrinae gefordert. Für Don Bosco war dies fast ein Hindernis, weil jemand in seinem Namen eine Irrlehre verbreitete. Erst als man den Autograph fand, konnte der Apostel von Turin rehabilitiert und kanonisiert werden.
Für Päpste gilt insbesondere die übernatürliche Christusliebe: Simon, Sohn des Johannes, liebst du Mich mehr als diese? Weide meine Schafe. Das dem Papst innewohnende Hirtenamt besteht vor ALLEM in der Weitergabe des Sühneblutes (in der Messe) - das gehört auch zum Glauben als Tugend, weil man nicht lieben kann, was man ignoriert.
Mit der Erhöhung der Juden zu fratres maiores und der Rede von Menschenwürde wird die Liebe Christi ad absurdum geführt. Es zählt nicht mehr das Geschenk Gottes - das man anbeten soll - sondern die historische Natur als Trägerin der Erbsünde.
JP II hat vor allem in dieser Verkündigung erhebliche Mängel eingefahren. DAs wird der Heiligkeit Gottes nicht gerecht, wie Jesus fordert: seid heilig wie ich heilig bin, oder ich sende Euch wie der Vater mich gesandt hat. Eben mit der Herrlichkeit Gottes.
Irgendwie blieb diese in den letzten 60 Jahren auf der Strecke, und die Heroizität hätte gerade darin bestanden, sie wieder herstellen zu wollen, gegen alle zeitlichen Widerstände.
Aus meiner Sicht ist Johannes Paul II. nicht heilig. Ich kann ihn nicht als treuen Diener unseres Herrn Jesus Christus ansehen. Zwei Ereignisse erscheinen mir in diesem Zusammenhang besonders problematisch:
1. Gebetstreffen in Assisi (1986 und 2002): Der Papst lud Vertreter verschiedener Religionen ein, gemeinsam für den Frieden zu beten. Dieses Vorgehen ist eine Form des Synkretismus und steht meines Erachtens im Widerspruch zur katholischen Lehre. Solche Treffen erwecken den Eindruck, alle Religionen seien gleichwertige Wege zu Gott – ein Gedanke, der der katholischen Glaubenswahrheit nicht entspricht.
2. Koran-Kuss (1999): Während eines Besuchs im Irak küsste Johannes Paul II. den Koran. Diese Geste halte ich für äusserst problematisch.Das ist eine inakzeptable Geste, die den wahren Glauben verratet und die Gläubigen verwirrt.
Schlimmer ist wie JL anmerkt sein Personalismus und das Menschenrechtsgerede.
Ich anerkenne ohne Bedenken, dass Papst JP II viele Leute zur Kirche zurückgebracht und wahrhaftig zum äusseren Niedergang des Sowjetsreiches beigetragen hat.
Aber gerade letzteres feiert heute unterschwellig seine Urstände, soviele Linke auf der Welt und soviel Glorie von Kirchenseite für deren Treiben.
Dagegen fehlt gänzlich die Rede von Verzeihung und übernatürlicher Tugend. DA ging JP II leider nicht mit gutem Beispiel voran, und ist auch meines ERachtens NICHT heilig.
Wenn ich auch (vor allem am Anfang) von Papst JP2 begeistert war, hat er mich spirituell nie angesprochen.
Seine Ablehnung der Alten Messe (im Gefolge von Dziwisz?) macht die SAche noch schlimmer oder zeigt das eigentliche Problem: es war nicht wirklich übernatürlich.