Die Schule von Athen von Raffael.

Weltkirche

Wahre Bil­dung ori­en­tiert sich am Bild des Men­schen als Abbild Gottes

Am 28. Okto­ber 2025 jährte sich zum 60. Mal die Ver­öf­fent­li­chung der Kon­zil­s­er­klä­rung «Gra­vis­si­mum edu­ca­tio­nis. Über die christ­li­che Erzie­hung». Aus die­sem Anlass ver­öf­fent­lichte Papst Leo XIV. das Apos­to­li­sche Schrei­ben «Diseg­nare nuove mappe di spe­ranza» (Neue Land­kar­ten der Hoff­nung entwerfen).

«Jede Generation ist für das Evangelium und die Entdeckung seiner fruchtbaren und sich verbreitenden Kraft verantwortlich.» So lautet einer der ersten Sätze des Apostolischen Schreibens. Papst Leo XIV. erinnert an die Geschichte der katholischen Erziehung, die eine Geschichte des Wirkens des Heiligen Geistes ist. Die pädagogischen Charismen sind keine starren Formeln, sondern «originelle Antworten auf die Bedürfnisse jeder Epoche».

Im zweiten Kapitel unternimmt der Pontifex einen Gang durch die kirchliche Bildungsgeschichte und fängt mit den Wüstenvätern an, die Weisheit anhand von Gleichnissen und Merksätzen lehrten. Das Mönchtum studierte, kommentierte und lehrte die klassischen Werke der Antike, «sodass ohne diese stille Arbeit im Dienst der Kultur viele Meisterwerke nicht bis in unsere Tage gelangt wären». Der Kirche verdankt die Welt die Entstehung der Universitäten. Bei den vielen Schulorden nennt er unter anderem den heiligen Josef Calasanz, der kostenlose Schulen für die Armen gegründet hat, «da er erkannte, dass Lesen, Schreiben und Rechnen eher eine Frage der Würde als der Kompetenz sind». Neben Johannes Baptist de La Salle, Marcellin Champagnat und Don Bosco erwähnt er auch «mutige» Frauen wie Vicenta María López y Vicuña, Francesca Cabrini, Giuseppina Bakhita, Maria Montessori, Katharine Drexel oder Elizabeth Ann Seton, die Kindern, Migranten und den Ärmsten neue Wege eröffnet haben.

«Wie können wir angesichts der vielen Millionen Kinder auf der Welt, die noch keinen Zugang zu Grundschulbildung haben, untätig bleiben?», so die rhetorische Frage des Pontifex. Und er erinnert an seine Aussage in seinem kürzlich veröffentlichten Apostolischen Schreiben «Dilexi te»: «Bildung ist einer der höchsten Ausdrucksformen der christlichen Nächstenliebe.»

Bildung als gemeinschaftliche Aufgabe
Es fällt auf, dass Papst Leo in «Disegnare nuove mappe di speranza» Bildung immer wieder als eine Gemeinschaftsaufgabe darstellt. Lehrer, Schüler, Familie, Verwaltungs- und Dienstpersonal, Seelsorger und Zivilgesellschaft kommen zusammen, um Leben zu schaffen. Dieses «Wir» verhindert gemäss Papst Leo, dass das Wasser im Sumpf des «Das haben wir schon immer so gemacht» stagniert, und es zwingt, zu fliessen, zu nähren, zu bewässern.

Die katholische Bildungswelt ist ein lebendiges und vielfältiges Netzwerk aus Schulen und Internaten, Universitäten und Hochschulen, Berufsbildungszentren, Bewegungen, digitale Plattformen, Seelsorge usw. Der Pontifex spricht hier von einer Bildungskonstellation, in dem jeder «Stern» seine eigene Leuchtkraft hat, aber alle zusammen einen Kurs aufzeigen. Er fordert die Institutionen explizit dazu auf, sich anzunähern: «Einheit ist unsere prophetischste Kraft.»

Vor allem die katholische Schule soll ein Ort sein, an dem Glaube, Kultur und Leben miteinander verwoben sind. «Die Erzieher sind zu einer Verantwortung berufen, die über ihren Arbeitsvertrag hinausgeht: Ihr Zeugnis ist ebenso wertvoll wie ihr Unterricht.» Aus diesem Grund ist die Ausbildung der Lehrer von entscheidender Bedeutung. Technische Aktualisierungen reichten nicht aus: Es gelte, «ein hörendes Herz, einen ermutigenden Blick und eine unterscheidende Intelligenz zu bewahren». Der Pontifex mahnt an, dass echter Glaube kein zusätzliches Fach ist, sondern «der Atem, der jedes andere Fach mit Sauerstoff versorgt». So kann die katholische Erziehung zum Sauerteig in der menschlichen Gemeinschaft werden.

Ethik als tägliche Praxis
Das Fundament der Bildung ist der Mensch als Ebenbild Gottes, «fähig zu Wahrheit und Beziehung». Die christliche Bildung umfasst den ganzen Menschen: spirituell, intellektuell, emotional, sozial, körperlich. «Er stellt nicht das Praktische dem Theoretischen, die Wissenschaft dem Humanismus, die Technik dem Bewusstsein gegenüber, sondern fordert, dass Professionalität von Ethik geprägt ist und dass Ethik kein abstraktes Wort, sondern tägliche Praxis ist.»

Dabei darf das Verhältnis von Glauben und Vernunft nicht als «optionales Kapitel» angesehen werden. Papst Leo zitiert hier den heiligen John Henry Newman, den er zusammen mit dem heiligen Thomas von Aquin zu Patronen der Bildungsmission der Kirche erklärt: «Die religiöse Wahrheit ist nicht nur ein Teil, sondern eine Bedingung der allgemeinen Erkenntnis.»[1] Diese Worte seien eine Einladung, das Engagement für eine ebenso intellektuell verantwortungsvolle und strenge wie zutiefst menschliche Erkenntnis zu erneuern.

Papst Leo XIV. weist darauf hin, dass die Familie der wichtigste Ort der Erziehung bleibt. Katholische Schulen arbeiten mit den Eltern zusammen, ersetzen sie jedoch nicht, denn «die Pflicht zur Erziehung, insbesondere zur religiösen Erziehung, obliegt in erster Linie ihnen und nicht anderen» (Gaudium et spes 48).

Digitalisierung kann Poesie und Ironie nicht ersetzen
Ein eigenes Kapitel widmet Papst Leo der Digitalisierung. Technologien müssen dem Menschen dienen, dürfen ihn nicht ersetzen; sie sollen den Lernprozess bereichern, Beziehungen und Gemeinschaften aber nicht verarmen lassen. «Auf jeden Fall kann kein Algorithmus das ersetzen, was Bildung menschlich macht: Poesie, Ironie, Liebe, Kunst, Vorstellungskraft, die Freude am Entdecken und sogar die Erziehung zum Fehler als Chance zum Wachstum.» Künstliche Intelligenz und digitale Umgebungen müssen auf den Schutz der Würde, der Gerechtigkeit und der Arbeit ausgerichtet sein.

Drei Prioritäten
Die raschen und tiefgreifenden Veränderungen der letzten Jahre setzen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene einer nie dagewesenen Fragilität aus. Für den Pontifex ist klar: «Es reicht nicht aus, zu bewahren: Wir müssen neu beginnen.»

Er nennt konkret drei Prioritäten:

  • «Junge Menschen sehnen sich nach Tiefe; sie brauchen Räume der Stille, der Besinnung, des Dialogs mit ihrem Gewissen und mit Gott.
  • Die zweite betrifft die menschliche Digitalisierung: Wir bilden zum sinnvollen Umgang mit Technologien und KI aus, indem wir den Menschen vor den Algorithmus stellen und technische, emotionale, soziale, spirituelle und ökologische Intelligenz in Einklang bringen.
  • Die dritte betrifft den unbewaffneten und entwaffnenden Frieden: Wir erziehen zu gewaltfreier Sprache, Versöhnung, Brücken und nicht zu Mauern.»

Papst Leo ist überzeugt, dass die katholische Erziehung die Aufgabe hat, in einer von Konflikten und Ängsten geprägten Welt Vertrauen wiederherzustellen. Sie soll daran erinnern, dass wir keine Waisen, sondern Kinder Gottes und somit Brüder und Schwestern sind. «Bildung ist nicht nur die Vermittlung von Inhalten, sondern auch das Erlernen von Tugenden. Es werden Bürger geformt, die zu dienen vermögen, und Gläubige, die Zeugnis ablegen können, freiere Männer und Frauen, die nicht mehr allein sind.»
 

Apostolisches Schreiben «Disegnare nuove mappe di speranza». Zurzeit erst auf Italienisch erschienen.

Konzilserklärung «Gravissimum educationis»

 


[1] John Henry Newman, L’idea di Università (2005), S. 76.


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

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Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin.


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