Screencopy von der Meldeseite der römisch-katholischen Körperschaft des Kantons Zürich www.zhkath.ch

Hintergrundbericht

Was von den sexu­el­len Miss­brauchs­fäl­len übrig bleibt

Im Kan­ton Zürich besteht seit dem 20. Novem­ber 2023 eine von der Kir­che unab­hän­gige Mel­de­stelle für Miss­brauchs­fälle. Recher­chen von swiss​-cath​.ch doku­men­tie­ren dabei eine über­ra­schend hohe Fehlerquote.

«Rund 50 Missbrauchsfälle gemeldet», lautet der Titel eines Artikels im Tages-Anzeiger vom 7. September 2024. Der Untertitel präzisierte: «Missbrauch. Über eine anonyme Meldeplattform der katholischen Kirche Zürich können Betroffene von Übergriffen berichten.» Die Katholische Kirche im Kanton Zürich (recte: Römisch-Katholische Körperschaft des Kantons Zürich) hatte nach der Publikation der Pilotstudie «Sexueller Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche in der Schweiz seit Mitte des 20. Jahrhunderts» im September 2023 eine flächendeckend plakatierte Meldeplattform angekündigt. Sie nennt sich «Kirche schaut hin» und soll verhindern, dass in Zukunft in Sachen Missbrauchsfälle nichts mehr unter den Teppich gekehrt wird.

«Ein Klick führt zu einem Meldeformular: Wem die katholische Kirche unrecht angetan hat, kann dort anonym eine Nachricht hinterlassen», heisst es weiter im TA-Artikel. Seit dem 20. November 2023 wird diese Meldestelle unabhängig von der Kirche geführt. Zuständig für die Entgegennahme und Bearbeitung der Fälle ist die Juristin und GLP-Kantonsrätin Andrea Gisler.

Helene Obrist, Autorin des TA-Artikels, gelangt zum Befund: «Die Juristin Gisler verzeichnete seither vier Meldungen, in denen es gesichert um sexuelle Übergriffe ging. Der Grossteil aller gemeldeten Fälle habe sich im Umfeld von Pfarreien abgespielt, sagt Gisler. Mehr ins Detail gehen kann sie nicht.»

Wie bitte? Dass auch im Kanton Zürich das Öffentlichkeitsprinzip gilt (Auszug aus dem Merkblatt des Kantons Zürich: «Jede Person hat grundsätzlich Anspruch auf alle Informationen, die bei öffentlichen Organen des Kantons Zürich vorhanden sind. Dieses Recht besteht voraussetzungslos.») dürfte auch dem ansonsten auf seine Recherchen so erpichten Tages-Anzeiger nicht unbekannt sein. Aber wohl in der zutreffenden Vermutung, solche Recherchen hätten in casu zu einem unerwünschten, dem eigenen Narrativ konträren Ergebnis geführt, liess man davon lieber die Finger. Irritatonen löste aber auch die im gleiche Artikel enthaltene Aussage der Ansprechperson Andrea Gisler selbst aus, wonach einige Meldungen den «Kern der Sache nicht ganz (!) treffen würden», so die Beschwerde, wonach das «Evangelium von einer Frau verlesen wurde».

Zwei von 26 Fällen

Grund genug also für swiss-cath.ch, gestützt auf das Öffentlichkeitsprinzip der Sache auf den Grund zu gehen. Der Befund förderte Überraschendes zutage:

Die von der Kirche unabhängige Ansprechperson Andrea Gisler hat in der Zeitspanne von ihrem Stellenantritt (20. November 2023) bis zum 31. Mai 2024 26 Meldungen erhalten.

Sieben dieser Fälle beschränkten sich auf die Rüge technischer Mängel des neu eingerichteten Melde-Pools, was knapp 27 Prozent aller Fälle ausmacht.

Verbleiben noch 19 Meldungen, in denen Fehlverhalten im kirchlichen Umfeld geltend gemacht wurde. Von diesen 19 Fällen bezogen sich vier Meldungen auf ausserkantonale Sachverhalte.

Bleiben noch 15 Fälle im Zuständigkeitsbereich der katholischen Kirche des Kantons Zürich übrig. Darunter fallen Meldungen wegen unangemessener Witze eines Pfarrers, antisemitische Äusserungen anlässlich einer Sitzung, das Verlesen des Evangeliums durch eine Frau sowie Veruntreuung von Geschenken – allesamt Meldungen, die mit sexuellem Missbrauch bzw. sexuellen Übergriffen nichts zu tun haben.

Gemäss Auskunft von Anwältin Andrea Gisler wurden lediglich in zwei Fällen sexuelle Belästigungen in Form von unerwünschten Berührungen geltend gemacht, in einem dritten Fall ging es um Zoophilie, also sexuelle Handlungen an/mit einem Tier.

Unter dem Strich verbleiben noch zwei von 26 Meldungen, welche als sexuelle Missbrauchsfälle (im weiteren Sinne) einzustufen sind.

In der am 12. September 2023 veröffentlichten Pilotstudie zum sexuellen Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche wird behauptet, man habe 1‘002 Fälle sexuellen Missbrauchs «identifiziert und teilweise analysiert». Aus wissenschaftlicher Sicht stossend dabei ist insbesondere, dass der Begriff «sexueller Missbrauch» (und damit das zentrale Studienobjekt!) in der Pilotstudie nirgends definiert wird, was einer willkürlichen Interpretation der gemeldeten Fälle Vorschub leistet.

Es ist selbstredend nicht davon auszugehen, dass in der Pilotstudie prozentual sich ebenso viele Meldungen als Falschmeldungen entpuppen wie im genannten Melde-Pool der katholischen Kirche im Kanton Zürich. Aber es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich unter den geltend gemachten 1‘002 sexuellen Missbrauchsfällen auch solche befinden, welche das Kriterium des «sexuellen Missbrauchs» nicht erfüllen. Es ist deshalb ein Gebot der Stunde, diese Fälle unter Wahrung der Anonymität aller Betroffenen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen – nicht zuletzt um der Glaubwürdigkeit eben dieser Pilotstudie willen.

 


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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Bemerkungen :

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    Stefan Fleischer 01.11.2024 um 06:29
    Auch ich fühle mich oft oft – noch als 86-jähriger -in unserer versexualisierten Welt, z.B. durch die Werbung oder eine gewisse moderne «Kunst» etc., sexuell belästigt. Wir waren nämlich von unseren Eltern noch zu einem gesunden Schamgefühl erzogen worden. Viel Gewicht wurde damals auch auf den Begriff der Ritterlichkeit gelegt. «Anstand aber Abstand» war das Motto. Wer die Hochachtung der Frau als Frau, insbesondere der Mutter, verletzte, galt als Rüppel. «Schlecht erzogen – sag’s zu Haus!»
    • user
      Hansjörg 01.11.2024 um 16:28
      Ja, damals in Ihrer Jugend war alles besser. Frauen durften ohne die Unterschrift des Ehemannes nicht arbeiten und auch kein Bankkonto haben. Der Mann war das Oberhaupt der Familie. Frauen durften nicht wählen und abstimmen, sie durften nicht Postbeamtin werden, sie durften viele Sportarten nicht ausführen.
      Nicht verheirateten Frauen wurden die Kinder weggenommen, Männern die sie geschwängert haben waren oft gut situiert und mussten dennoch keinen Unterhalt bezahlen.
      • user
        Stefan Fleischer 01.11.2024 um 18:40
        Lieber Hansjörg
        Ja, damals war alles besser, auch wenn längst nicht alles gut war. Es gab da noch Gott, unseren Vater und Herrn, von dem die meisten Menschen sich bewusst waren, dass sie seinen Geboten folgen sollten, dass er es auch dort gut mit ihnen meint, wo er ihnen sagen muss: «bis hierher und nicht weiter!» Diesen Gott zu verkünden, das vernachlässigt unsere Kirche ganz massiv. Und die Folge davon ist, dass jeder macht, was er (für sich) als richtig und gut empfindet, und kaum jemand sich fragt, was nun effektiv richtig und was falsch oder gar böse ist. Oder anders gesagt, die meisten Menschen fragen nur noch nach dem, was wir Menschen wollen, aber nicht mehr nach dem, was Gott will. Solchen aber führt zu jenem Chaos sondergleichen, welches wir heute erleben.
      • user
        Daniel Ric 02.11.2024 um 07:36
        Lieber Hansjörg, ich teile Ihre Auffassung, wonach man nicht pauschal behaupten kann, früher sei alles besser gewesen. Ich würde sogar sagen, dass viele der sozialen Phänomene, die heute zu beobachten sind, die Folge von Übeln aus der Vergangenheit sind. Die Tatsache, dass die Schweizer Frau lange nicht wählen durfte und das alte Eherecht den Mann privilegierte, hat sicherlich dazu geführt, dass noch heute bei vielen Frauen das Gefühl vorhanden ist, man müsse vehement gewisse Rechte erkämpfen, auch wenn diese mit Gleichstellung nichts zu tun haben. Wenn beispielsweise Frauen, die gar nicht den katholischen Glauben teilen, für das Frauenpriestertum eintreten, weil sie sich sonst diskriminiert fühlen, dann ist hier sicherlich die Erbschuld einer Gesellschaft zu spüren, die den Frauen lange Zeit Rechte verwehrte. Genauso wenig wie man nostalgisch auf die frühere Zeit blicken sollte, ist es aber auch verfehlt, die Gegenwart unkritisch zu glorifizieren. Gerade die jungen Frauen sind heute nicht wirklich selbstbewusster als die frühere Generation, da sie durch die sozialen Medien einem immensen Druck ausgesetzt sind, gewissen Idealen zu entsprechen. Hinzu kommt, dass die sexuelle Libertinage, die propagiert wird, den Frauen oft nicht nutzt, sondern sogar sehr schadet, da keine Stabilität und Geborgenheit gewährleistet wird, nach denen sich viele Frauen - aber auch Männer - sehnen. Aber um noch einmal ihren Punkt aufzugreifen: Ja, auch früher gab es viele Missstände - auch in der Kirche. Es ist unsere Aufgabe als Katholiken, an einer Kirche und Gesellschaft zu bauen, die nicht von einem Extrem ins andere fällt, sondern glaubwürdig und authentisch ist.
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        Ferdi24 03.11.2024 um 21:13
        Was Ihr Kommentar mit den s. Missbrauchsfällen und/oder der röm-kath Konfession zu tun hat, erschliesst sich mir nicht. Das staatliche Erziehungswesen war weitherum geschlechtergetrennt, die staatliche Grundschule vom preussischen Einfluss und den Erfahrungen des Weltkrieges geprägt, als militärischer Vorunterricht für künftige Soldaten zu dienen. Beamte sind noch etwas anderes als bloss Angestellte. Eine abgeschlossene Rekrutenschule gehörte zum Erfordernis als Beamter noch bis in die 1980er Jahre. Ledige Frauen erwähnen Sie nicht. Wieso verheiratete Frauen beim Staat nicht arbeiten durften hat nichts mit einer ehelichen Bewilligung zu tun, sondern weil die Zahl der Stellen beschränkt war und ein Lohnbezüger ausreichend fürs Auskommen der Familie zu sein hatte.
        • user
          Hansjörg 04.11.2024 um 13:19
          Sehr geehrter Ferdi24
          Ich habe kein Wort von Missbrauchsfällen geschrieben. Ich weiss auch nicht, was Sie mit "s. Missbrauchsfällen" meinen.
          Aber ich vertrete klar die Meinung, dass früher nicht alles besser war, sondern das Leben für den grössten Teil der Menschen war viel härter als heute. Da bin ich wohl nicht gleicher Meinung wie Sie oder Herr Fleischer.
          Und wenn Sie fragen, was das mit der kath. Kirche zu tun hatte, wenn Frauen die Kinder weggenommen wurden, so informieren Sie sich doch über die katholisch geführten Heime in Irland.
          • user
            Ferdi24 04.11.2024 um 22:50
            Es geht im Artikel um vermutete bzw. gemeldete sexuelle Missbrauchsfälle in der Gegenwart (2024 n Chr.) im Umfeld der kath. Kirche im Kanton Zürich. Sie weisen richtig darauf hin, dass Ihr Kommentar mit keinem Wort auf den Artikel eingeht. Und jetzt? Das aktuelle Wetter vielleicht?