Plakat einer Kampagne gegen die weibliche Genitalverstümmelung. (Bild: Amnon Shavit, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Hintergrundbericht

Weib­li­che Geni­tal­ver­stüm­me­lung: Frauen als Opfer und Täterinnen

Der 6. Februar ist der Inter­na­tio­nale Tag der Null­to­le­ranz gegen­über weib­li­cher Geni­tal­ver­stüm­me­lung. Trotz Ver­bot in vie­len Län­dern ist die­ses grau­same Ritual noch immer weit ver­brei­tet. Auch in der Schweiz gibt es betrof­fene Mäd­chen und Frauen.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert weibliche Genitalverstümmelung («Female Genital Mutilation», kurz «FGM») als teilweise oder vollständige Entfernung der äusseren weiblichen Genitalien ohne medizinischen Grund. FGM wird meist an Mädchen bis 15 Jahren durchgeführt – oft ohne Betäubung und mit unhygienischen Instrumenten wie Rasierklingen oder Messern.

Die FGM verstösst gegen Artikel 3 der «Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte» («Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person») und gegen die UN-Kinderrechtskonvention, welche die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, «alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmassnahmen [zu treffen], um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung […] zu schützen» sowie «alle wirksamen und geeigneten Massnahmen [zu treffen], um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen».

Seit 2003 wird am 6. Februar auf diese Menschenrechtsverletzung aufmerksam gemacht; trotzdem wird diese Tortur weiter praktiziert. Weltweit sind über 230 Millionen Frauen und Mädchen von FGM betroffen: 144 Millionen in Afrika, 80 Millionen in Asien, 6 Millionen im Nahen Osten.

Gemäss «Terre des Femmes» wird FGM traditionellerweise in 32 Ländern Afrikas, auf der Arabischen Halbinsel und in einigen Ländern Asiens sowie in einigen Ländern Südamerikas ausgeübt. Darüber hinaus gibt es mindestens 60 weitere Länder, in denen FGM dokumentiert worden ist.[1]

In Afrika sind die Zahlen von Land zu Land sehr unterschiedlich. Es gibt immer noch Länder, in denen weibliche Genitalverstümmelung fast überall vorkommt; dort sind mindestens 9 von 10 Mädchen und Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren beschnitten (z. B. in Somalia oder Guinea). In Kamerun oder Uganda hingegen ist nicht mehr als 1 Prozent der Mädchen und Frauen davon betroffen.

FGM ist in erster Linie kulturell bedingt. Sie wird damit begründet, dass unbeschnittene Mädchen später nicht in der Gesellschaft akzeptiert werden. So kommt es, dass sich auch christliche Mädchen und Frauen dieser schmerzhaften Prozedur unterziehen: Sie wurde bei koptischen Christinnen in Ägypten, orthodoxen Christinnen in Äthiopien sowie Protestantinnen und Katholikinnen im Sudan und in Kenia festgestellt. Überwiegend wird die weibliche Genitalverstümmelung jedoch von Muslimen praktiziert.

In der Schweiz noch immer ein blinder Fleck
Die EU-Kommission spricht von 600 000 Opfern weiblicher Genitalverstümmlung, die in Europa leben; die meisten sind Migrantinnen. In sogenannten Diaspora-Gemeinden – diese bestehen aus Familien mit dem gleichen Identitätshintergrund, die im Ausland gut vernetzt leben – werden die Traditionen und Bräuche des Heimatlandes gepflegt.

Die Zahl betroffener und gefährdeter Mädchen und Frauen hat sich in der Schweiz durch die Zuwanderung von Menschen, die aus Ländern kommen, in denen FGM üblich ist, in den letzten Jahren erhöht. Das «Bundesamt für Gesundheit» gibt die Zahl aktuell mit 24 600 an.

Vor zwölf Jahren führte die Schweiz ein strenges Gesetz gegen Genitalverstümmelung ein (siehe Infobox unten). Bisher gab es aber nur eine einzige Verurteilung im Kanton Neuenburg: Ein Mann zeigte seine aus Somalia stammende Ehefrau an, weil sie die gemeinsame Tochter hatte verstümmeln lassen. Die Mutter wurde zu einer achtmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt.
Simone Giger, Projektverantwortliche beim «Netzwerk gegen Mädchenbeschneidung Schweiz», gab an, dass der Schuldspruch in der somalischen Gemeinschaft der Schweiz für grosse Verunsicherung gesorgt habe (NZZ vom 1. Oktober 2024).

Trotz der erlittenen Schmerzen und Beschwerden würden die Frauen die Genitalien ihrer Töchter ebenfalls verstümmeln lassen, erklärte Bella Glinski, Leiterin der Anlaufstelle gegen Mädchenbeschneidung in St. Gallen. Die Beschneidungen werden mehrheitlich durch Frauen durchgeführt, auch hier in Europa. Wanderfrauen aus Frankreich oder Grossbritannien ziehen durch Europa, sammeln Mütter mit ihren Mädchen in Privatwohnungen und nehmen die Beschneidung vor.[2]

Mittlerweile haben die meisten Kantone eine Anlaufstelle für Betroffene, doch viele betroffene Frauen sprechen aus kulturellen Gründen nicht mit einer Schweizerin über dieses tabuisierte Thema. Gemäss ihrem Jahresbericht 2023 bearbeitete die nationale Anlaufstelle im Jahr 2023 rund 130 Anfragen. «Meist erfolgte eine erste Kontaktaufnahme durch Fachpersonen, seltener durch die Direktbetroffenen selbst. Vielfach stand eine mögliche Gefährdung einer minderjährigen Person im Vordergrund, vorwiegend in Zusammenhang mit einer bevorstehenden Auslandsreise.»

Die Schweiz gibt Familien aus betroffenen Ländern einen Schutzbrief ab. Darin wird bestätigt, dass weibliche Genitalverstümmelung in der Schweiz strafbar ist.

Doch auch hier in der Schweiz wird das Thema noch immer tabuisiert; dies zeigt die Tatsache, dass es bisher nur ein Urteil zu FGM gegeben hat, obwohl es ein Offizialdelikt ist, d. h. eine Straftat, welche die Strafverfolgungsbehörde von Amts wegen verfolgen muss.

Während Simone Giger vom «Netzwerk gegen Mädchenbeschneidung Schweiz» eine generelle Meldepflicht gegenüber der Kinderschutzbehörde kritisch sieht, würde die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli eine härtere Ahndung dieser Straftaten begrüssen. Die SVP-Politikerin hat 2024 im Kanton Zürich eine Anlaufstelle für Betroffene eröffnet.
 

 


Eliminierung der FGM bis 2030 fraglich
Die weibliche Genitalverstümmelung muss dringend bekämpft werden. Schätzungsweise 27 Millionen Mädchen und Frauen sind in den nächsten fünf Jahren in Gefahr, sich einer FGM unterziehen zu müssen. Allein im Jahr 2025 werden voraussichtlich fast 4,4 Millionen Mädchen gefährdet sein.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete 2012 einstimmig eine Resolution zur Verstärkung der weltweiten Bemühungen, die Durchführung der weiblichen Genitalverstümmelung zu eliminieren. Um die vollständige Eliminierung der FGM wie geplant 2030 zu erreichen, müssten die Anstrengungen aber um das X-fache erhöht werden.

Laut UNICEF sind die internationalen FGM-Raten in den letzten Jahren erheblich gestiegen, wobei die Fortschritte bei der Abschaffung der Praxis in vielen betroffenen Ländern ins Stocken geraten sind oder sich sogar umgekehrt haben.

In einigen Ländern gibt es Fortschritte, doch die Aufklärungsarbeit wird oft durch wirtschaftliche oder klimatische Probleme sowie durch kriegerische Auseinandersetzungen behindert. Erfreulich das Ergebnis einer aktuellen UNICEF-Analyse. Diese zeigt, dass viele Männer gegen FGM sind. So lehnen in Äthiopien – einem Land mit einer der höchsten FGM-Raten weltweit – 87 Prozent der Männer die Praxis ab.

Ebenfalls positiv ist das Beispiel von Gambia. Hier wurde die Beschneidung bereits 2015 verboten, doch kürzlich versuchten konservative Muslime, das Verbot aufzuheben. Dank zahlreicher Proteste bleibt Genitalverstümmelung weiterhin verboten.

Das diesjährige Thema des «Internationalen Tages der Nulltoleranz gegenüber weiblicher Genitalverstümmelung» lautet Stepping up the pace: Strengthening alliances and building movements to end FGM (Das Tempo erhöhen: Stärkung von Bündnissen und Aufbau von Bewegungen zur Beendigung von FGM) und unterstreicht die Notwendigkeit der internationalen Zusammenarbeit.
 

Nationale und regionale Anlaufstellen zum Thema weibliche Genitalverstümmelung Link

 

Art. 124 StGB
Verstümmelung weiblicher Genitalien
1
 Wer die Genitalien einer weiblichen Person verstümmelt, in ihrer natürlichen Funktion erheblich und dauerhaft beeinträchtigt oder sie in anderer Weise schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.
2 Strafbar ist auch, wer die Tat im Ausland begeht, sich in der Schweiz befindet und nicht ausgeliefert wird.

Bestraft werden nicht nur Beschneiderinnen und Beschneider, sondern auch die Eltern oder Verwandten, die ein Mädchen beschneiden lassen.

Ein ausländischer Täter resp. eine ausländische Täterin wird bei einer Verurteilung für 5 bis 15 Jahre aus der Schweiz verwiesen (Art. 66a Abs. 1 Bst. b StGB).

 


[1] frauenrechte.de/unsere-arbeit/weibliche-genitalverstuemmelung/die-hintergrundinformationen/die-verbreitung
[2] www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgallen/maedchenbeschneidung-die-genitalverstuemmelung-wird-noch-immer-kaum-hinterfragt-anlaufstelle-gegen-maedchenbeschneidung-hat-ein-buero-in-stgallen-eroeffnet-ld.2663076


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin.


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