Sportschützin Nicole Häusler. (Bild: «Swiss Paralympic»)

Hintergrundbericht

«Wenn beide Sei­ten offen sind, ist eini­ges mög­lich und dies nicht nur im Sport»

Nach den Olym­pi­schen Spie­len ist vor den Olym­pi­schen Spie­len, genauer gesagt vor den Paralym­pics. Sie fin­den vom 28. August bis 8. Sep­tem­ber wie­derum in Paris statt. Die Dele­ga­tion von «Swiss Paralym­pic» ist mit 27 Ath­le­tin­nen und Ath­le­ten die grösste seit 2008. In Paris wer­den 14 Medail­len angestrebt.

Auf dem offiziellen Plakat der Olympischen Spiele 2024 (einem Wimmelbild) sind auf dem Dach des «Grand Palais» zwei Fechter im Rollstuhl zu erkennen. Auf dem «Arc de Triomphe» treten vier Tennisspieler im Rollstuhl gegeneinander an. Das Internationale Olympische Komitee (IOK) wirbt damit für mehr Inklusion in der Gesellschaft.

Immer wieder gibt es Stimmen, die eine gemeinsame Austragung der Olympischen Spiele fordern. «Swiss Paralympic» befürwortet inklusive Sportevents, erklärt die Stiftung, welche die Schweizer Para-Sportlerinnen und -Sportler bei Paralympics und anderen internationalen Wettkämpfen unterstützt, auf Nachfrage. «Aufgrund der Grösse der beiden Events und der vielen Startklassen im Para-Sport erachten wir es als logistisch schwierig, Olympia und Paralympics parallel auszutragen.» Umso mehr freut sich «Swiss Paralympic» darüber, dass an der Rad-WM in Zürich 2024 vom 21. bis 29. September erstmals Radsportlerinnen und Radsportler mit und ohne Behinderung auf derselben Strecke starten und die WM inklusiv ausgetragen wird. «Dies ist sehr wichtig für die Sichtbarkeit des Para-Radsports.» In Zürich wird «Swiss Paralympic» mit 13 Top-Athleten präsent sein und eng mit «Swiss Cycling» zusammenarbeiten.

Die Verantwortlichen sind davon überzeugt, dass die paralympische Delegation in Paris grosses Potential hat. «Dass wir seit 2008 die grösste Delegation an den Paralympics stellen, zeigt, dass unsere beiden Schweizer Behindertensportverbände[1] sowie die engagierten Trainerinnen und Trainer eine gute Arbeit leisten und Athleten gezielt fördern. Wir haben aktuell einige Top-Athletinnen und -Athleten, die international anerkannt sind.» Die Stiftung Swiss Paralympic und die beiden Verbände seien weiterhin auf eine breite Unterstützung angewiesen, um mit der Professionalisierung des Para-Sports mitzuhalten und Nachwuchs-Athleten die Chance zu bieten, ihre Ziele zu erreichen.

Eine dieser Topathletinnen ist Nicole Häusler aus Pfaffnau LU, die sich als Sportschützin schon dreimal für Paralympics qualifizieren konnte. Sie fand trotz ihrer Vorbereitungen auf Paris Zeit für ein Interview mit «swiss-cath.ch».

Frau Häusler, Sie werden bereits zum dritten Mal an einer Olympiade teilnehmen (Rio de Janeiro, Tokyo, Paris). Worauf freuen Sie sich am meisten?
Ich freue mich auf meine Mitstreiterinnen und Mitstreiter und dass ich die Schweiz zum dritten Mal vertreten darf. Es wird auch beim dritten Mal nicht gleich sein und macht dies umso interessanter. Ich kenne die Anlage (Schiessstand) schon von 2022, als ich dort am Weltcup teilnahm und bei der aller ersten Möglichkeit den Quotenplatz für die Schweiz geholt habe.

Mit gerade einmal 27 erhielten Sie die Diagnose Multiple Sklerose (MS). Sie suchten nach einer sportlichen Betätigung, die mit Ihrer Behinderung vereinbar ist und kamen so letztlich zum Sportschiessen. War es von Anfang Ihre Absicht, den Sport auf diesem hohen Niveau zu betreiben?
Nein definitiv nicht, denn bis anhin war ich eher im Breitensport tätig, wobei ich auch dort schon einiges investiert hatte an Energie, Herzblut und Zeit. Es zeichnete sich aber sehr schnell ab, dass ich im Sportschiessen viel weiterkommen kann und ich ein gewisses Flair für diesen Sport habe. Ich nutzte somit diese Chance, auch wenn es einiges abverlangt, neben der Arbeit und den Therapien. Es macht mir einfach unglaublichen Spass und gibt mir auch eine gewisse Wertschätzung.

Die Krankheit Multiple Sklerose löst immer wieder Schübe aus und stellt sie vor neue Herausforderungen. So mussten Sie aufgrund einer Entzündung des Sehnervs – ausgelöst durch einen MS-Schub – das Visierauge wechseln. Woher nehmen Sie die Kraft und die Motivation?
Ich habe mir damals bei der definitiven Diagnose gesagt: Du kannst dein Leben nun entweder als negativ ansehen, aber was ist dann daran noch lebenswert? Oder du gehst das ganze positiv an und machst das Beste daraus. Ich wäre sehr wahrscheinlich nie zum Sportschiessen gekommen und hätte so tolle Erfahrungen in meinem Leben sammeln können, hätte ich die erste Möglichkeit gewählt. Somit hat die Krankheit neben seinem nicht immer schönen Gesicht doch auch etwas Gutes in meinem Leben. Sie hat mich definitiv auch stärker und selbstbewusster gemacht. Klar habe auch ich meine Hochs und Tiefs, aber wer schon nicht?

Die Paralympics finden getrennt von den Olympischen Spielen statt. Bedauern Sie das oder sehen Sie in den getrennten Veranstaltungen auch Chancen?
Ich denke, dass durch die Trennung mehr Sportarten an den Start gehen können und auch Randsportarten bei beiden Spielen mehr in den Fokus rücken können.

Im Sport wird seit vielen Jahren von Inklusion gesprochen. Aus Ihrer ganz persönlichen Sicht: In welchen Bereichen ist die Inklusion bereits gelungen und wo sehen Sie noch Nachholbedarf?
Ich würde sagen, es hat wahrscheinlich überall noch etwas Aufholbedarf. Manchmal habe ich das Gefühl, dass man zum Teil im Sport schon etwas weiter ist als im normalen Alltag.
Zwischendurch ergeben sich auch gute Gespräche in meiner Sportart und daraus entstehen dann zum Teil auch neue Möglichkeiten. Zum Beispiel war ich beim Training und ich erzählte, dass es schwierig sei, weil viele Schiessanlagen einfach noch nicht rollstuhlgängig seien und ich so nicht allzu viele Wettkämpfe in der Schweiz bestreiten könne. Es sei auch selten bekannt, welche zugänglich sind. Darauf wurde der Schiessstand in Winterthur ausgemessen und mir die Masse mitgeteilt – und siehe da, ich konnte beim nächsten Liegendmatch in Winterthur an den Start und mich mit den Fussgängern messen. Da es in der Schweiz zurzeit keine aktiven Parasportschützinnen und -schützen im Sportschiessen Gewehr gibt, bin ich froh, wenn ich mich mit den Fussgängern Nationalkader und Breitensport in den Liegendmatchs messen kann. Klar kann ich mich betreffend Resultate nicht (immer) wirklich mit ihnen vergleichen, aber ich habe somit ein Wettkampf Feeling. Hinzu kommt, dass dadurch das Parasportschiessen auch bekannter gemacht werden kann und vielleicht auch die Hemmungen etwas verfliegen. Ich denke, wenn beide Seiten offen sind, ist einiges möglich und dies nicht nur im Sport.

Welche Ziele haben Sie sich für die Paralympics 2024 gesetzt?
Ich schiesse in einer Kategorie, in welcher Frauen und Männer gemeinsam gewertet werden. Es wäre sehr toll, wenn ich es in einen Final schaffen würde, denn dann wäre mir ein paralympisches Diplom sicher, da die besten Acht der Qualifikation (60 Schüsse in 1,15 Std. oder 1 Std.) in den Final kommen und dann nochmals alles bei Null startet. Bei den letzten Paralympics in Tokyo hat es leider in den drei Wettkämpfen keiner Frau in den Final gereicht.

 

Während der Olympischen Spiele berichtete das Fernsehen SRF mit einem sehr grossen Aufwand aus Paris. «swiss-cath.ch» wollte von SRF wissen, ob auch für die Paralympics ein ähnlich umfangreiches Programm vorgesehen ist. Das Detailprogramm stehe zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht fest, so die Antwort von SRF, doch seien die Paralympischen Sommerspiele der weltweit bedeutendste Event für Para-Athletinnen und -Athleten. «Sowohl aus sportlicher als auch aus gesellschaftlicher Sicht steht für SRF deshalb ausser Frage, regelmässig und umfangreich über die Paralympics 2024 zu berichten.»

Auch die Diözese Paris hat sich auf die Paralympics vorbereitet. Gemäss einer aktuellen Mitteilung sind mehr als 75 Prozent der Pfarreien für Menschen mit Behinderungen zugänglich. Die Barrierefreiheit wurde insbesondere durch die Aussicht auf die Olympischen Spiele 2024 gefördert.
 

Informationen zu den teilnehmenden Athletinnen und Athleten sowie weitere Informationen finden sich auf https://www.swissparalympic.ch/

SRF berichtet im Tagesprogramm mit regelmässigen Liveschaltungen von den Paralympics 2024. Entscheidungen mit Schweizer Beteiligung und internationale Highlights sind, wenn immer möglich, im TV zu sehen und werden von Beat Sprecher, Stefan Hofmänner und SRF-Parasport-Experte Christoph Kunz begleitet. Täglich ab 18.45 Uhr begrüssen Jahn Graf und Olivier Borer in «Para-Graf live» Gäste aus Sport, Politik und Unterhaltung. Auch während der Sendung gibt es regelmässig Liveschaltungen zu Wettkämpfen nach Paris. 

Liste der barrierefreien Kirchen in Paris

 


[1] Die «Schweizer Paraplegiker-Vereinigung» (Rollstuhlsport Schweiz) und «PluSport».

 


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


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