Natürlich habe ich die Wahrheit nicht gepachtet, wie man so gerne vorwirft. So primitiv im Denken bin ich nicht. Sechs Jahre lang habe ich mich mit Wahrheitstheorien befasst (Was ist Wahrheit? Kann man sie finden? Gibt es Kriterien der Gewissheit, sie gefunden zu haben usw.). Ich bin in dieser Frage keineswegs naiv, auch nicht intolerant oder anmassend. Ich kenne die skeptischen Theorien, die Pluralitätsthese und den Relativismus als ihre Konsequenz. Ich kenne auch die Vorwürfe gegenüber der Religion: Dass Absolutheitsansprüche angeblich ipso facto zu Gewalt und Unfrieden führen.
Ein ganzes Leben lang musste ich mich gegen die diesbezüglichen, immer wieder gleichen Vorwürfe und philosophischen Plattitüden verteidigen. Ich bin es müde, sie allesamt hier beim Namen zu nennen und zu widerlegen in all ihren Variationen.
Wahrheit ist, weil Gott ist. Auch die Atheisten wollen nicht getäuscht werden. Auch sie setzen die Übereinstimmung von Denken, Reden und Fakten voraus, wenn sie reden oder zuhören. Etwas anderes wäre nicht wünschenswert. Wir wollen wissen, ob der Partner Ehebruch begangen hat oder nicht. So einfach ist es. Also müssen wir die Wahrheit suchen und Schein überwinden. Einmal festgestellt, nimmt eine Wahrheit keine Rücksicht auf Gefühle und Befindlichkeiten. Hier liegt das Problem. Intolerant sind nur jene Menschen, die Widerspruch nicht ertragen, oder jene, die ihre eigene Sicht und ihre eigenen Interessen durchsetzen wollen. Für diese sind dann alle Mittel recht, und sie werden täglich angewandt. Die wahren Zeugen der Wahrheit aber sterben für sie, nicht immer blutig. Eine andere Seite dieser Medaille ist die Gerechtigkeit. Auch sie bringt Märtyrer hervor.
Wer keine Wahrheit hat, die ihn in die Pflicht nimmt, kann zu allen nett sein. Er stösst nirgends an. Er kann alles und jeden irgendwie in seine Haltung inkludieren und tolerieren. Er hat ein annehmliches Leben und wird beliebt.
Sobald man aber widerspricht, weil die Wahrheit einen dazu verpflichtet, wird es ungemütlich. Schaut in die Welt hinaus und erkennt, wie viele davon ein Lied singen könnten!
Unsere Zeit hat keine Wahrheit. Deshalb hat sie verlernt, um ihretwillen über sich selbst hinauszugehen. Das gilt auch für den einzelnen. Da es keine Wahrheit gibt, die grösser ist als die eigene Befindlichkeit, bleibt nur letztere. Diese gilt dann als wahr. Auf diese Weise bilden sich Männer ein, Frauen zu sein, um nur das bekannteste Beispiel zu nennen. Psychologische Probleme sind immer involviert, wenn man von Objektivität und Wahrheit redet. Sie sind auch der Grund für Intoleranz, Fanatismus und anderes mehr, abgesehen von knallharten Interessen, die schon immer die stärksten Gegner der einsam dastehenden Wahrheit waren. Denken wir an Christus vor Pilatus.
Ich plädiere für einen neuen Sinn für Objektivität. Es gibt einen Unterschied zwischen Wahrheit und Befindlichkeit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, Exklusion (von Sünde und Irrtum) und Inklusion (des Sünders), zwischen Gegebenem (Wirklichkeit) und Gewolltem, auch zwischen Amt und Träger. Das Amt ist grösser als sein Träger. Auch das begreift unsere Zeit nicht. Sie jubelt der Dekonstruktion des Amtes zu und hält es für Demut.
Woher kommt das Schwert der Wahrheit, ihre Eigenart, zu polarisieren, auszuschliessen und zu verurteilen? Ich antworte: Aus ihrem Wesen selbst! Wahrheit ist unbeugsam, unerbittlich, exklusiv (gegenüber dem Irrtum und der Lüge), intolerant gegenüber jeder Art von Falschheit und Schein. Sie bleibt in Ewigkeit. Und je nachdem, mit was sich die Menschen verbinden, bekommen sie es mit Wahrheit und Gerechtigkeit in aller Härte (Unbiegsamkeit) zu tun. Diese (gefühlte) Härte aber stammt nicht aus der Wahrheit selbst, sondern aus dem Widerspruch zu ihr (die Wahrheit kann man nicht biegen). Am letzteren (Widerspruch) halten viele Menschen fest. Umso empfindlicher ihre Reaktion, sobald man die Wahrheit sagt, Widersprüche und falschen Schein aufdeckt.
Der Fels Petri ist Fels, weil er die Wahrheit Christi verkündet und gegen Irrtum verteidigt. Solange er sie ausspricht und verkündet, ist er auch Stein des Anstosses. Daran führt kein Weg vorbei, denn der Knecht steht nicht über dem HERRN.
Wehe einer Kirche, die es allen recht machen will, die jeder Befindlichkeit in ihrer Lehre entgegenkommt, sich dem Geschmack und den Wünschen der Zeit anpasst mit Abstrichen an den Geboten Christi, Freundschaft mit der Welt sucht, von ihr akzeptiert werden will. Das geht immer auf Kosten des Evangeliums Jesu Christi. Wehe einer inklusiven Kirche, welche die Sünde nicht beim Namen nennt, Irrtümer nicht verurteilt, Christus nicht bezeugt als der einzig richtige Weg, die (geoffenbarte) Wahrheit schlechthin und als das wahre, ewige Leben. Wehe einer Kirche, die alles gelten lässt, um von allen geliebt und akzeptiert zu werden.
Hoffen wir, dass das kommende Pontifikat ein Pontifikat der Wahrheit sein wird.
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
"Hoffen wir, dass das kommende Pontifikat ein Pontifikat der Wahrheit sein wird."
Waren denn die letzten Papst Perioden nicht Pontifikate der Wahrheit?
Dass es innerhalb der Religionen, so auch in der katholischen Kirche, teilweise verschiedene Verständnisse von Glaubenswahrheiten gibt, bzw. dass diese teilweise etwas unterschiedlich ausgelegt werden, ist doch eigentlich nicht erstaunlich. Ist denn nicht jede Religion in ihren je eigenen kulturell-historischen Kontext eingebunden und ändert sich im Laufe der Zeit auch in diesen Zuammenhängen ein wenig? Ich meine, es wäre empirisch relativ leicht nachzuweisen, dass das hermeneutische Verständnis von Glaubenswahrheiten im Laufe der Veränderungen von Kulturen und Gesellschaften nie gänzlich unberührt bleibt.
Alfed North Whitehed schrieb an einer Stelle in seinem Vorwort zu seinem philosophischen Hauptwerk "Prozess und Realität": "Ich möchte daran erinnern, wie oberflächlich, schwach und unvollkommen alle Anstrengungen bleiben, die Tiefen in der Natur der Dinge auszuloten. In der philosophischen Diskussion ist die leiseste Andeutung dogmatischer Sicherheit hinsichtlich der Endgültigkeit von Behauptungen ein Zeichen von Torheit." Ich denke, ein Stück weit gilt dies analog auch für den Bereich der Theologie.
In diesem Zusammenhang kommt mir eine Äusserung von Max Horkheimer in den Sinn, als er einmal in einem Interview auf einen Briefwechsel zwischen Paul Claudel und André Gide zu sprechen kam: Claudel versuchte, Gide dem Christentum näher zu bringen, wobei Gide ihm antwortete, dass es ihm nicht möglich sei, die Dogmen des Christentums zu verinnerlichen. Claudel entgegnete ihm: Dann glaub es eben nicht, aber gehe in die Kirche und tue alles, was vorgeschrieben ist, dann wird es schon recht kommen.
Ja, da haben es die Päpste wirklich nicht leicht, wenn sie die ihnen obliegende Aufgabe verfolgen, den Kerngehalt von Glaubenswahrheiten zu bewahren, trotz tiefgehendem und schnellem Wandel von gesellschaftspolitischen Strömungen und Mainstreams.
Auch wenn sie von den verschiedenen theologischen Fraktionen so unterschiedlich eingeordnet und benotet werden: Wojtyla, Ratzinger und Bergoglio haben das trotz veschiedener Schwerpunktsetzungen nach meiner persönlichen Ansicht eigentlich recht gut gemacht. Diese Ansicht kann man auch vertreten, ohne auch nur im Ansatz ein Relativist zu sein.
Und dem neuen Pontifex, Robert Francis Prevost (Leo XIV), ist vorerst einmal zu gratulieren und viel Kraft, Gesundheit und Zuversicht zu wünschen.
darf der Text als Hirtenwort verlesen werden?