(Symbolbild: Conmongt/Pixabay)

Mit spitzer Feder

Wer schützt die Kom­men­tarschrei­ber vor sich selbst?

Mar­tin Jucker, 2014 zum Schwei­zer Unter­neh­mer des Jah­res gewähl­ter Bauer, ist frus­triert. In einer Kolumne auf dem News-​Portal «nau​.ch» schreibt er sich sei­nen Ärger von der Seele.

In Seegräben im Zürcher Oberland führt er alljährlich im Herbst auf seinem Betrieb eine Kürbisausstellung durch: eine der farbenprächtigsten und originellsten ihrer Art. Der Andrang, auch aus dem Ausland, ist riesig. Auf seiner Homepage ersucht Martin Jucker deshalb alle Interessierten, doch bitte den Bus zu benutzen, denn die Parkplätze sind beschränkt. Doch nicht alle Autofahrer halten sich an diesen buchstäblichen Wink mit dem Zaunpfahl. Entsprechend genervt, ja unflätig reagieren manche von ihnen, wenn sie zurückgewiesen werden. Vorzugsweise auf den sozialen Medien. «Wer sich über etwas ärgert, tippt, und zwar sofort» nennt Jucker solche im Affekt geschriebenen Reaktionsmuster, wobei die obligaten Schuldzuweisungen nicht fehlen dürfen. «Völlig inkompetent»; «So was von unfähig» sind die gängigen Vokabeln, die dem Obstbauer aus dem Zürcher Oberland an den Kopf geworfen werden. Martin Jucker ist zu Recht frustriert, weil dies insbesondere auch seine mittlerweile über 100 Mitarbeitenden demoralisiert.

Weit davon entfernt, frustriert zu sein, erinnern mich als Redaktionsleiter von «swiss-cath.ch» Juckers Worte doch unweigerlich an ähnlich gelagerte Phänomene in unseren Kommentarspalten. Martin Meier-Schnüriger hat diesen Befund kongenial auf den Punkt gebracht: «

Herzlichen Dank für diesen erfrischenden Bericht über den Zürcher Klostermarkt! Dass ich hier offenbar als einziger einen Kommentar absetze, während es bei Berichten über eher negative Themen von Kommentaren nur so wimmelt, ist irgendwie symptomatisch für unsere Zeit und unsere Kirche: Was schlecht läuft, wird begierig wahr- und aufgenommen, die vielen positiven Aufbrüche, die es eben auch gibt, werden gerne übersehen. Eigentlich schade! Umso erfreulicher, dass swiss-cath.ch solche positiven Aufbrüche auch thematisiert.»

Schaut man sich die Themen in der Rubrik «Meist gelesen» der Mainstream-Medien an, scheint eine Präferenz für negative oder negativ empfundene Ereignisse geradezu in der Natur des Menschen zu liegen. Mich persönlich irritiert, dass allzu viele Kommentare nicht oder nur am Rande auf den jeweiligen Beitrag eingehen und stattdessen diesen vielmehr als Vehikel instrumentalisieren, um ein Desiderat aufs Tapet zu bringen, das man schon lange loswerden wollte. Als typisches Beispiel möchte ich meinen Beitrag «Des Papstes Leo XIV. erstes Lehrschreiben: Zweite, verbesserte Auflage erbeten» erwähnen. Mein Hauptanliegen war es, der Ursache auf den Grund zu gehen, weshalb es in Lateinamerika den Evangelikalen gelingt, der Katholischen Kirche unzählige Gläubige abspenstig zu machen. In den zahlreichen Kommentaren nahm niemand zu dieser essentiellen Frage Stellung. Stattdessen wurde in extenso fachkundig darüber disputiert, welche ökonomischen und theologischen Koryphäen sich innerhalb der kirchlichen Soziallehre bewegen und welche nicht. Mein unvergesslicher Deutschlehrer hätte in einem solchen Falle meinen Aufsatz mit der Bemerkung retourniert: «Thema verfehlt».

Zurück zu Obstbauer Martin Jucker. Er empfiehlt nicht nur den Parkplatzsündern, sondern allen Menschen guten Willens, den Fehler zuerst einmal stets bei sich selbst zu suchen. Ein Ratschlag, dem ich vorbehaltlos zustimmen kann. Denn es ist ein Ratschlag ganz ohne Frusterlebnis, aber mit unfehlbarer Erfolgsgarantie: Finde ich keine eigenen Fehler, irgendein Internet-User findet sie ganz bestimmt!


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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Bemerkungen :

  • user
    Stefan Studer 25.10.2025 um 22:39
    Man muss das Recht haben, sagen zu dürfen, was die Wahrheit ist, insbesondere, wenn es sonst nur political correctness hat: Vor dem Hintergrund der Amtszeit Huonder ist die gesamte Administration Bonnemain eine einzige Blamage.

    Bitte das als Hommage an die Meinungsfreiheit publizieren und nicht kassieren.
  • user
    Gerhard Walser 23.10.2025 um 21:04
    Lieber Herr Herzog, ich danke für diesen Beitrag und ich kann Sie wirklich gut verstehen, aber bitte nehmen Sie die Reaktionen negativer Art nicht persönlich. Das Internet und insbesondere die hiesige Funktion "Kommentare und Antworten" sind ein gesellschaftlicher Resonanzraum, in dem man sich auch einmal Luft machen kann. Früher hat man auf dem Marktplatz, auf dem Forum, im Wirtshaus, vor der Kirche miteinander sprechen können.
  • user
    Daniel Ric 23.10.2025 um 08:55
    Ich finde, man sollte aus dem Umstand, dass sich die Diskussionen im Kommentarbereich verselbständigen, die richtigen Schlüsse ziehen. Dies zeigt doch, dass die Gläubigen in ihrem Handeln sehr autonom sind und die Vorstellung von Autorität, wie sie früher vorgeherrscht hat, keine Geltung mehr hat. Dies sieht man nicht nur im kirchlichen, sondern auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Auch wenn ich überhaupt nicht glaube, dass die Menschen heute mündiger, aufgeklärter und eigenständiger im Denken sind als in früheren Zeiten, so muss man trotzdem akzeptieren, dass Diskussionen heutzutage nicht einseitig verlaufen und auch nicht eingeschränkt werden können. Daher mutet es mich seltsam an, wenn Laien, Priester oder Bischöfe eine Grundsatz-Kritik am Synodalen Prozess üben, den Papst Franziskus gestartet hat und Papst Leo nun fortsetzt. Wer glaubt, man könne in eine Zeitmaschine steigen und zur guten alten Zeit zurückkehren, in der die Rollen des Redenden und des Zuhörenden klar verteilt sind, lebt in einer Scheinwelt. Man muss sich offen Diskussionen stellen, auch denen, die man nicht erwartet hat, um die Menschen vom katholischen Glauben zu überzeugen. Mit dem Rückzug ins Schneckenhaus Autorität erreicht man nur einen Bruchteil von Gläubigen - wahrscheinlich meistens auch nicht die interessantesten und besten.
  • user
    Martin Meier-Schnüriger 22.10.2025 um 14:09
    Auch für diesen Artikel kann ich nur herzlich danken! Gerne komme ich in diesem Zusammenhang auf meine Anregung von neulich zurück: Mit einer Zeichenbeschränkung - z.B. auf 1000 Zeichen pro Kommentar - könnte man das erreichen, was ein Kommentar sein soll: ein kurzes, prägnantes Statement zu einem Artikel, aber keine (pseudo?)wissenschaftliche Abhandlung.
  • user
    Stefan Fleischer 21.10.2025 um 17:15
    Den Grund, weshalb es (nicht nur in Lateinamerika) den Evangelikalen gelingt, der Katholischen Kirche unzählige Gläubige abspenstig zu machen, habe ich in meinem Kommentar aufzuzeigen versucht. Wahrscheinlich war ich nicht deutlich, nicht konkret genug. Unsere Kirche bemüht sich immer mehr die Menschen für sich zu gewinnen, indem sie sich einseitig auf das irdische Heil konzentriert und deswegen das ewige Heil vernachlässigt. Sie verkündet einseitig Gottes Liebe zu uns, sodass das Kreuz Christi «für die einen zum Ärgernis, für die anderen zur Torheit» wird, wie Paulus diese Tendenz umschreibt. (vgl. 1.Kor 1,23) Dieser hat auch das Rezept bereit: «Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten!», als jenen, der gekommen ist, «sein Volks aus seinen Sünden zu erlösen». (vgl. Mt 1,21)