Werkstattgespräch für Medien. (Bilder: Niklaus Herzog/swiss-cath.ch)

Kirche Schweiz

Werk­statt­ge­spräch zum Stand der Auf­ar­bei­tung sexu­el­ler Miss­bräu­che: über­for­derte Kirchenleitung

In einem Werk­statt­ge­spräch infor­mier­ten die Kir­chen­ver­ant­wort­li­chen über den aktu­el­len Stand der Bekämp­fung sexu­el­ler Miss­bräu­che in der Katho­li­schen Kir­che. Der geplante Auf­bau eines kost­spie­li­gen, kom­ple­xen Kon­trol­lap­pa­ra­tes ruft zwie­späl­tige Gefühle hervor.

Ausgetretene Pfade? Von wegen! Geht es um tatsächliche oder vermeintliche sexuelle Missbräuche im Umfeld der Katholischen Kirche, sind sie (fast) alle wieder da. Rund 25 Journalistinnen und Journalisten fanden sich am Vormittag des 27. Mai 2024 in Zürich ein, um sich aus erster Hand über den aktuellen Stand der Aufarbeitung sexueller Missbräuche ins Bild zu setzen.

Die stattliche Journalistenschar durfte sich geehrt fühlen, zählte sie doch biblisch gesprochen nicht nur zu den vielen Berufenen, sondern zu den wenigen Auserwählten: «Am Montag werden ausgewählte Medien zum aktuellen Stand der im September 2023 beschlossenen, nationalen Massnahmen zur Aufarbeitung und gegen die Vertuschung von Missbrauch im kirchlichen Umfeld informiert», hiess es in der Medienmitteilung der Diözese Chur vom 26. Mai 2024. Und dazu ergänzend: «Regional tätige Journalisten sind nicht anwesend und können sich, unter anderem, an Bezugspersonen ihrer Region wenden.»

Besonders in Szene setzten sich die Leute vom Schweizer Fernsehen, die mit mehreren Kameras bestückt auf der Jagd nach einschaltträchtigen Sujets pausenlos herumwuselten. Die verantwortlichen Kirchenleute machten es ihnen aber auch ausgesprochen leicht. Nein, kein simples Mediencommuniqué war gut genug, da musste schon ein veritables Werkstattgespräch her. Diese Gelegenheit zur Profilierung als «Mister Proper» wollten sich Bischof Joseph Maria Bonnemain von der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) und Abt Peter von der KOVOS[1] (ein weiteres Mal) nicht entgehen lassen. Leicht getrübt wurde die «Saubermänner-Aura» durch die dauerpräsente Vreni Peterer, Präsidentin der «Interessengemeinschaft für missbrauchsbetroffene Menschen im kirchlichen Umfeld» (IG MikU), deren Selbststilisierung als «mater dolorosa» zunehmend exhibitionistische Züge anzunehmen droht. Flankiert wurden die Kirchenvertreter von Roland Loos, Präsident der «Römisch-Katholischen Zentralkonferenz» (RKZ), und Stefan Loppacher, Leiter der Geschäftsstelle «Fachgremium sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» der Schweizer Bischofskonferenz.

Um es vorwegzunehmen: Die Zahl der anwesenden Journalisten war indirekt proportional zum Ertrag des Werkstattgesprächs, erschöpfte sich dieses doch weitgehend in unverbindlichen Absichtserklärungen, Zielvorstellungen und vagen Zeithorizonten, hatte also auf gut Deutsch gesagt wenig Fleisch am Knochen (pars pro toto-Wording: «Die Gewährung von Aktenzugang aufgrund berechtigter Anfragen, beispielsweise von Betroffenen oder zu weiteren Forschungszwecken, ist hingegen noch nicht geregelt»).

Selbstverpflichtung zum Verzicht auf Aktenvernichtung
Am konkretesten waren die Informationen zum Umgang mit Missbrauchsakten. Im Sinn einer Selbstverpflichtung haben sich alle Bistümer bereit erklärt, entgegen der Vorschrift von can. 489 § 2 CIC keine Akten zu vernichten, die im Zusammenhang mit Missbrauchsfällen stehen oder den Umgang damit dokumentieren. Die Selbstverpflichtung der Ordensgemeinschaften steht noch aus. Abt Peter von Sury ortete ein spezifisches Problem bei den Ordensgemeinschaften infolge des erodierenden Mitgliederbestandes. In unseren Breitengraden seien die Orden oft nicht mehr in der Lage, die Aufarbeitung der dunklen Seite ihrer Geschichte professionell zu bewerkstelligen. Dennoch dürfe diese keinesfalls vernachlässigt werden. Abt von Sury bemühte das Bild der «Bodensanierung». Denn damit die Verkündigung des Evangeliums auf fruchtbaren Boden fallen könne, müsse dieser Boden zuerst saniert werden. Damit erwies er sich alles andere als bibelfest, ist es doch dem Wesen von Gottes Wort inhärent, dass es notgedrungen auch unter Dornen und Disteln fallen kann (vgl. Mt 13,22). «Was, wenn ein römischer Vorgesetzter auftaucht und die kirchenrechtlich vorgeschriebene Aktenvernichtung trotzdem anordnet?», lautete die Frage eines «CH Media»-Journalisten. «Dies wird einer der grossen Knacknüsse sein», beschied ihm der Präventionsverantwortliche Loppacher.
 

 


Nationales kirchliches Straf- und Disziplinargericht
Des Weiteren soll ein nationales kirchliches Straf- und Disziplinargericht geschaffen werden. Dies macht v. a. vor dem Hintergrund des unbestreitbaren Mangels an Fachpersonal bei den Diözesangerichten, den sogenannten Offizialaten, durchaus Sinn. SBK, RKZ und KOVOS haben bereits eine Idee, wie sie den Fachkräftemangel lindern können. Gesucht werden «Fachpersonen aller (sic) Geschlechter aus Psychologie und Rechtswissenschaft»: Non-Binäre sollen es richten!

Die Bischöfe Bonnemain und Gmür sind bereits in Rom vorstellig geworden, um den «Spielraum im Rahmen der universalkirchlichen Gesetzgebung zu eruieren». Unter der Leitung von Bischof Bonnemain wird eine Arbeitsgruppe bis zum Herbst des laufenden Jahres einen Konzeptentwurf präsentieren (Erarbeitung der Grundlagen, Struktur, Zusammensetzung und Zuständigkeiten). An einem runden Tisch mit der SBK, der RKZ und der KOVOS soll das Konzept diskutiert werden. Anschliessend wird die Bischofskonferenz die erforderliche Genehmigung bei der Apostolischen Signatur in Rom beantragen, was wiederum seine Zeit beanspruchen wird. Die im November 2023 erfolgte Ankündigung von Bischof Gmür, dieses Gericht werde noch im Verlauf des Jahres 2024 seine Arbeit aufnehmen, hat sich also als voreilig erwiesen.

Trennung von Opferberatung und Meldestrukturen
Die auf diözesaner Ebene bereits bestehenden Anlaufstellen haben sich insofern als problematisch erwiesen, als damit die Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit gegenüber den betroffenen Personen nicht per se gewährleistet ist. Opferberatung und Meldestrukturen sollen deshalb organisatorisch und personell klar getrennt werden. Die kirchliche Opferberatung soll bei den staatlichen Opferberatungsstellen angedockt werden. Die Modalitäten sind noch mit der «Schweizerischen Opferhilfekonferenz» und der «Konferenz der kantonalen Sozialdirektoren» auszuhandeln. Eine Knacknuss wird auch hier die Frage des Kostenschlüssels der Finanzierung von Entschädigungsforderungen von Betroffenen sein.

Die in den Bistümern bestehenden Melde- und Interventionsstrukturen werden in diözesane Fallberatungsstellen übergeführt. Die Professionalisierung der Melde- und Fallberatungsstrukturen gilt als sehr anspruchsvoll. Es ist gemäss Auskunft an der Medienkonferenz mit einem «mehrjährigen Transformationsprozess» zu rechnen. Die von «swiss-cath.ch» gestellte Frage, wie mit Vorfällen umgegangen werden soll, welche die betroffenen Personen nicht gemeldet bzw. weitergeleitet haben wollen, blieb ohne schlüssige Antwort.

Psychologische Tests
Die Frage, ob eine Person für die Seelsorge und insbesondere für die Seelsorge als Priester die notwendigen Voraussetzungen mitbringt, ist im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Verkündigung zweifelsohne von zentraler Bedeutung. Aufhorchen liess in diesem Kontext die hochgradig interpretationsbedürftige Aussage des Präventionsbeauftragten Stefan Loppacher: «Viele Leiter kirchlicher Ausbildungsstätten sagen mir immer wieder: ‹Meine Hauptaufgabe ist es, interessierte Leute abzuweisen.›» Ob da wohl die Richtigen «aussortiert» werden?

Durch eine Assessment-Professionalisierung soll nun die Eignung für den pastoralen Dienst verbessert und die «Fehlerquote» markant gesenkt werden. Mit Professor Jérôme Endrass, Leiter «Forschung und Entwicklung» beim «Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung» des Kantons Zürich werden standardisierte Assessments ausgearbeitet. Unter Beizug des Unternehmens «von Rundstedt» sind 2025 für «bestimmte Gruppen auszubildender bzw. neu anzustellender Personen im kirchlichen Dienst» erste Assessments geplant.

So weit, so gut. Die Gefahr ist allerdings nicht von der Hand zu weisen, dass dabei auch Bewerber deshalb abgewiesen werden könnten, weil sie sich zu der unter Generalverdacht gestellten zölibatären Lebensform als Priester berufen fühlen.

Pseudo-ökumenisches Trauerspiel
Die am 12. September 2023 veröffentlichte Pilotstudie, deren eklatante Mängel bis dato nicht thematisiert wurden (darin werden 1002 Missbrauchsfälle behauptet, aber nicht belegt), wird seit Januar 2024 für die stolze Summe von 1,5 Millionen Franken während drei Jahren weitergeführt. Eine gute Zusammenarbeit mit der Evangelisch-Reformierten Kirche Schweiz bei deren Durchführung einer «ergänzenden wissenschaftlichen Studie» wird angestrebt. Doch was heisst da «ergänzende wissenschaftliche Studie?»

Die Evangelisch-Reformierte Kirche Schweiz sieht sich gemäss eigenem Bekunden nicht in der Lage, die Vergangenheit ihrer eigenen Missbrauchsgeschichte durch die Sichtung der Kirchgemeindearchive und weiterer Akten aufzuarbeiten. Schuld daran sei – man höre und staune – ihre ausgesprochen föderale Struktur. Stattdessen begnügt man sich mit einer «repräsentativen Bevölkerungsumfrage und Beteiligtenumfrage», im Fachjargon «Dunkelfeldstudie» genannt. Eine Mogelpackung, kann doch keine Rede davon sein, dass mit dem blossen Ersatzbehelf einer Befragung lebender Personen die eigene Missbrauchsgeschichte glaubwürdig aufgearbeitet werden kann.

Fazit
Mit einem Wust von neu zu schaffenden Ausschüssen, Arbeitsgruppen und Gremien sonder Zahl sollen zukünftige Missbrauchsfälle wenn immer möglich verhindert werden. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit geht dabei zunehmend verloren. Der kostspielige administrative «Overkill» ist eine Überreaktion auf den Medien-Tsunami, der im Gefolge der Veröffentlichung der Pilotstudie (ein «Machwerk», so die «Weltwoche») die ganze Schweiz überschwemmte und ein von interessierten Kreisen bewusst intendiertes Zerrbild der Katholischen Kirche vermittelte. Von grossen, anspruchsvollen Herausforderungen war an diesem Werkstattgespräch seitens der Kirchenverantwortlichen wiederholt die Rede. «Überforderung» wäre wohl das zutreffendere Stichwort gewesen.

 


[1] «Konferenz der Ordensgemeinschaften und anderer Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens in der Schweiz»


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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Bemerkungen :

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    don martino mantovani 31.05.2024 um 13:03
    Danke, caro Signor Herzog. Sie sollten Pressesprecher des Bistums Chur werden, der rechtlichen, theologischen, kirchlichen, menschlichen, vernünftigen Gerechtigkeit willen. Studie über Studie, Massnahme über Massnahme, Vorsorge über Vorsorge … dabei geht die Seelsorge unter und viele sind erfreut, andre ersaufen in Traurigkeit, , Verbitterung. Welche Hoffnung nach Wahrheit, Liebe, Glück und Heil vermitteln noch die katholischen Hochwürden-Vertreter und all ihre angestellten Spezialisten? Jesus hat es richtig und gut gemeint heute bei der Tempelreinigung.
  • user
    Martin Meier-Schnüriger 29.05.2024 um 13:37
    Das Gefährlichste an der ganzen Sache scheinen mir die geplanten psychologischen Tests für angehende Priesteramtskandidaten zu sein. Damit will man vermutlich verhindern, dass die kommende Priestergeneration mehrheitlich aus treu katholisch gesinnten Männern besteht, die nicht in erster Linie Sozialarbeiter oder Pfarreimanager sein wollen, sondern Verkünder des Wortes Gottes, Spender der Sakramente und Beter. In Deutschland ergab eine kürzlich durchgeführte Umfrage unter jungen Priestern, dass die meisten von ihnen genau das unter Priestertum verstehen, sehr zum Ärger der Promotoren des so genannten "synodalen Weges".
  • user
    Hansjörg 29.05.2024 um 13:26
    Ich freue mich, dass immer wieder die sehr rechts stehende Weltwoche, mit deren Chef und Putin Versteher R. Köppel, als Quelle für den einzig richtigen Journalismus und die Wahrheitsfindung aufgeführt wird.
  • user
    Michael Dahinden 28.05.2024 um 18:15
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