Es ist der Moment, in dem sich zwei Welten trennen: Öffentlichkeit und Innerlichkeit, Politik und Gebet, Macht und Ohnmacht. Wer die Schwelle der Kapelle überschreitet, lässt – zumindest symbolisch – alles hinter sich: Titel, Ambitionen, Kalkül. Der erste Klang ist der von Schritten: Leder auf Marmor. Gleichmässig. Gemessen. Wie das Echo eines Rituals, das älter ist als jeder, der es vollzieht. Dann: das Rascheln der Soutanen. Ein Räuspern. Der schwere Atem eines alten Kardinals. Vielleicht sogar ein Flüstern: «Domine, non sum dignus...» – «Herr, ich bin nicht würdig …»
Wo der Zweifel flüstert und die Berufung nachhallt
Die Sixtinische Kapelle ist nicht nur ein Kunstwerk – sie ist ein Resonanzkörper. Schon beim Konklave 1978, als zum ersten Mal seit Jahrhunderten ein Nicht-Italiener gewählt wurde, flüsterte man unter Fresken und Deckengemälden. Damals wie heute klangen die Gebete ähnlich, selbst wenn Namen und Sprachen wechselten. Stimmen tragen weiter als Worte gemeint waren. Jeder Zweifel, jede Überzeugung bekommt akustisches Gewicht. Die Fresken schweigen – und doch scheinen sie zu hören: «Ego Cardinalis Pizzaballa promitto, voveo ac iuro, me Christum Dominum, qui me iudicaturus est, testem invocando, me suffragium daturum esse illi, quem secundum Deum iudicavero eligi debere». – «Ich, Kardinal Pizzaballa, verspreche, gelobe und schwöre, unter Anrufung Christi, des Herrn, der mich richten wird, dass ich demjenigen meine Stimme geben werde, von dem ich vor Gott überzeugt bin, dass er gewählt werden soll.» Die Sixtinische Kapelle trägt diese Stimmen, hallt nach, bewahrt jedes Zögern. Man vernimmt das Kratzen einer Feder auf Papier. Das gedämpfte Geräusch beim Falten der Stimmzettel. Das kaum hörbare Geräusch einer Urne, wenn sie bewegt wird. Der Moment, in dem ein Name ausgesprochen wird, hat Schwere. Er ist nicht mehr nur ein Wort. Er kann zum Schicksal werden.
Herzklang und Weltenrauschen
In dieser kontrollierten Äusserlichkeit beginnt der innere Lärm. Denn manche Geräusche erklingen nicht im Raum, sondern im Herzen. Zweifel, Hoffnung, Angst. Der Dialog mit sich selbst. Bin ich bereit? Warum nicht ein anderer? Was will Gott und was will die Kirche? Die eigentliche Lautstärke des Konklaves entsteht in diesen Fragen. Wer genau hinhört, vernimmt das Ringen zwischen Berufung und Versuchung. Zwischen göttlicher Eingebung und menschlicher Strategie.
Während drinnen gebetet und gewählt wird, steht die Welt in gespannter Erwartung. Draussen, auf dem Petersplatz, ist die Spannung anders, aber nicht weniger intensiv. Ein Ozean aus Regenschirmen, Pilgern, Journalisten. Viele Sprachen. Viele Erwartungen. Viele Gebete. Dann steigt Rauch auf. Schwarz. Noch. Es murmelt. Jemand beginnt zu beten. Der Wind fährt durch die Menge. Rom hält den Atem an.
Der Klang des Anfangs
Später wird Weiss kommen. Glocken. Jubel. Ein Chor aus Erwartung, Erleichterung und vielleicht auch Skepsis. Vielleicht Trommeln aus Nigeria, Gesänge aus Polen. Gongs aus Manila, begleitet von einem Ave in Tagalog. Italienische Nonnen summen Melodien. Ein jugendlicher Chor singt ein Halleluja, das nach Olivenbäumen und orientalischer Liturgie duftet. Und irgendwo fragt ein Kind: «Papa, wer ist jetzt der Papst?»
Der letzte Klang des Konklaves ist der erste Klang eines neuen Pontifikats. Der Moment, in dem sich der Vorhang öffnet und eine Stimme anhebt: «Fratelli e sorelle...» Vielleicht ist sie fest. Vielleicht zitternd. Vielleicht brüchig vor Rührung. Aber sie ist sicher neu. Ein Klang, den die Welt noch nicht kennt. Der Anfang eines Pontifikats – hörbar, fühlbar, neu.
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :