Bild: Kirche in Not (ACN)

Weltkirche

«Zukunft der syri­schen Chris­ten­heit nicht rosig»: Chris­tian Soli­da­rity International

Kurz nach den schwe­ren Erd­be­ben vor weni­gen Wochen reiste Pfar­rer Peter Fuchs, der Geschäfts­füh­rer von Chris­tian Soli­da­rity Inter­na­tio­nal Deutsch­land, nach Syrien. Für CNA Deutsch sprach Moritz Schol­ty­sik mit Pfar­rer Fuchs über die Lage in dem auch durch den Krieg gebeu­tel­ten Land.

Hochwürdiger Herr Pfarrer Fuchs, Sie haben Anfang März für eine Woche Syrien bereist – nur kurze Zeit nach den schweren Erdbeben. Wie ist die allgemeine Lage im Land?
Die Situation der Menschen in Syrien ist geprägt von Armut und Hoffnungslosigkeit. Obwohl in den allermeisten Landesteilen seit Jahren die Waffen schweigen, verschärft sich die wirtschaftliche Situation der Syrer immer mehr. 90 Prozent der Menschen in Syrien leben unter der Armutsgrenze. Strom ist absolute Mangelware. In Damaskus haben die Menschen ca. zwei Stunden Strom über den Tag verteilt, in Aleppo nur mehr eine Stunde und in ländlichen Gegenden noch viel weniger. Das Leben ist den Menschen eine unglaubliche Last geworden. Eine Mittelschicht gibt es in der syrischen Gesellschaft nicht mehr. In Damaskus habe ich jetzt kleine Kinder gesehen, die in Mülleimern nach Nahrung suchten. Ein Lehrer verdient in Syrien derzeit etwa 40 € im Monat. Eine dreiköpfige Familie würde aber 150 € im Monat benötigen, um ihre Grundbedürfnisse zu decken. Der Preis für Babymilch hat sich in den Wochen vor dem Erdbeben verdoppelt. Wer krank ist und Medikamente oder Behandlung benötigt, befindet sich in einer ausweglosen Situation. Dazu kommt, dass durch die anhaltende Auswanderungswelle viele Familien zerbrochen sind und gerade alte Menschen völlig auf sich allein gestellt sind.

Wie verläuft der Wiederaufbau der zerstörten Gebäude?
Zunächst muss man festhalten, dass der Norden Syriens mit seiner Metropole Aleppo und die Küstengebiete mit den Städten Lattakia und Jable besonders stark von der Erdbebenkatastrophe betroffen sind. In Aleppo stürzten um die 60 Häuser ein. Viele Zehntausende Wohnungen sind aber wohl unbewohnbar geworden, weil die Bausubstanz schwer beschädigt ist. Als ich in Aleppo war, hatten viele Menschen die Schutzräume schon wieder verlassen. Eine grosse Anzahl von Menschen lebte noch notdürftig im Sportstadium der Stadt, andere in Zelten am Strassenrand. Wieder andere waren zu Verwandten in sicheren Gebieten gezogen, da gerade die Kinder panisch auf das Erdbeben reagiert hatten. Inzwischen haben sich die christlichen Gemeinden in Aleppo organisiert und Ingenieure begehen die Häuser und Wohnungen, um die Stabilität zu prüfen. Gelder werden von den Kirchen zur Ausbesserung unsicherer Strukturen an die Erdbebenopfer ausgezahlt, auch Mietwohnungen werden den Erdbebenopfer für ein Jahr bereitgestellt. In Aleppo sind sich die verschiedenen christlichen Kirchen und Riten sehr nah und arbeiten im Interesse der Gläubigen auf praktischem Gebiet sehr gut zusammen.

Hat das Erdbeben Auswirkungen auf die innere Sicherheit des Landes?
Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich hatte bei meiner Reise nie das Gefühl, dass die Sicherheitslage in irgendeiner Weise angespannt gewesen wäre. Auch die Soldaten der syrischen Armee an den Kontrollstellen der Strassen waren freundlich und eher entspannt.

In einem gemeinsamen Leserbrief mit der Internationalen Gesellschaft Orientalischer Christen e. V. in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 3. März kritisieren Sie die von der EU gegen Syrien verhängten Sanktionen. Warum? Und was hat das mit dem Erdbeben zu tun?
Die zerstörerischen Auswirkungen der gegen Syrien verhängten US- und EU-Sanktionen auf das Leben der syrischen Bevölkerung sind für jeden offensichtlich, der Syrien besucht – nicht erst seit dem Erdbeben. Seit Jahren fordern Vertreter der syrischen Zivilgesellschaft, Ärzte, Kirchenoberhäupter sowie internationale Menschenrechts- und Hilfsorganisationen und der Heilige Stuhl verzweifelt ihre Aufhebung. Das Narrativ von angeblich feinjustierten Sanktionen, die nur die politische und wirtschaftliche Führungselite träfen, die Bevölkerung aber verschonten, ist längst widerlegt. In einem Bericht vom 10. November 2022 rückte die UN-Sonderberichterstatterin zu den negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmassnahmen die Sanktionen gegen Syrien in die Nähe eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit.
Die Sanktionen haben zur Verelendung der breiten syrischen Zivilbevölkerung geführt. Viel beschworene „humanitäre Ausnahmen“ sind aufgrund übertriebener Strategien zur Risikovermeidung seitens der Banken meist nicht umsetzbar. Aufgrund der sanktionsbedingten Unterbrechung des internationalen Zahlungsverkehrs mit Syrien können in Europa oder USA lebende Syrer ihren durch das Erdbeben obdachlos gewordenen Verwandten in Aleppo, Hama oder Latakia kein Geld überweisen. Internationale Hilfswerke müssen enormen zusätzlichen Aufwand betreiben, um Spendengelder an ihre syrischen Projektpartner weiterzuleiten. Kein syrisches Krankenhaus kann medizinisches Gerät, Ersatzteile, Medikamente oder Generatoren im Ausland kaufen, wenn es nicht per Überweisung bezahlen kann. Obwohl seit Jahren dramatischer Treibstoff- und Strommangel herrscht, unterliegen dringend benötigte Ersatzteile für die maroden Raffinerien und Kraftwerke einem EU-Exportverbot. Ohne Treibstoff können Bagger, Krankenwagen, Heizaggregate und Stromgeneratoren aber nicht funktionieren. Wenn die EU nicht will, dass die Menschen im zerstörten Land hungern, in Ruinen leben, aufgrund fehlender medizinischer Versorgung sterben oder flüchten, muss sie ihre Sanktionen gegen Syrien jetzt aufheben.

Sie nahmen auch an der Bischofsweihe des syrisch-katholischen Priesters Jacques Mourad in Homs teil. Was war das Besondere an dieser Weihe?
Das Besondere an der Bischofsweihe war die Person des neuen Erzbischofs. Jacques Mourad wurde 1968 in Aleppo geboren, ist Mönch und war bis 2015 Pfarrer in der Wüstenstadt Qaryatayn. Dort war ihm das freundschaftliche Zusammenleben von Christen und Muslimen ein grosses Anliegen. Sein Kloster Mar Elian war vor dem Krieg in Syrien bekannt als ein Ort der Freundschaft und des Miteinanders aller Syrer. Im Mai 2015 wurde Abuna Jacques von Terroristen des IS entführt, auch seine 250 Christen aus Qaryatayn mussten schliesslich sein Schicksal teilen. Nach der wundersamen Freilassung konnte Abuna Jacques mit seinen Gläubigen flüchten. Jacques Mourad wies immer wieder hin auf die Vorreiterrolle, die Saudi-Arabien bei der Entstehung und Ausstattung des IS spielte. Jetzt nahmen an der prächtigen Weiheliturgie in der syrisch-katholischen Kathedrale von Homs 750 Gläubige und unzählige Priester und Bischöfe teil – auch die Christen aus Qaryatayn. Zugegen waren auch die Patriarchen der syrisch-katholischen, der syrisch-orthodoxen und der melkitischen Kirche. Auch der Nuntius in Syrien, Mario Kardinal Zenari war anwesend. Ich glaube, dass die Bischofsweihe des einstigen Gefangenen des IS ein Zeichen war, dass das Christentum in Syrien Wurzeln hat, die nicht absterben und weiterhin gute Früchte bringen für alle Menschen in ganz Syrien.

Wie würden Sie die Zukunft der Christen in Syrien beurteilen?
Menschlich gesehen ist die Zukunft der syrischen Christenheit nicht rosig. Wir dürfen nicht vergessen, dass seit Kriegsbeginn 2011 ungefähr 1,5 Mio. Christen Syrien verlassen haben. Manche gehen davon aus, dass heute weniger als 700 000 Christen in Syrien leben. Genaue Zahlen hat niemand. Bei meinem Besuch in Syrien im März traf ich einige junge Christen, die mir sofort sagten, dass sie Syrien schnellstmöglich verlassen wollen, um sich in Deutschland oder Australien eine Existenz aufzubauen und eine Familie zu gründen. Die Menschen sind müde, die Last des schweren syrischen Alltags tragen zu müssen. Und doch sind die Christen so wichtig für die syrische Gesellschaft. Sie geben Zeugnis von der Liebe und Güte Gottes, nicht zuletzt durch ihre vielfältigen karitativen Bemühungen. Ich denke da gerade auch an die lokalen Projektpartner von Christian Solidarity International (CSI): die Blauen Maristen in Aleppo, die Schwestern von den Heiligsten Herzen oder das armenisch-katholische Exarchat in Damaskus. Ihre Sorge für die Familien, Kinder, Senioren und alle Notleidenden machen die Liebe Gottes für die Christen und auch Muslime in Syrien erfahrbar.

Originalbeitrag auf CNA Deutsch


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