Mit dem Palmsonntag beginnt die «Karwoche». Das althochdeutsche Wort «kara» wird mit Trauer, Klage oder Sorge übersetzt. Im 3. Jahrhundert wurde das Trauerfasten des Karfreitags auf die vorangegangenen Tage ausgeweitet, das Mittelalter dehnte diese Trauerzeit um eine weitere Woche aus; der fünfte Fastensonntag galt seitdem als «Passionssonntag». Ab der ersten Vesper des Passionssonntages sollten (Prunk-)Kreuze und Bilder verhüllt werden. Das Römische Messbuch von 1969 stellt diesen Brauch zwar frei, spricht sich aber für seine Fortführung aus: «Der Brauch, die Kreuze und Bilder in den Kirchen zu verhüllen, soll beibehalten werden. In diesem Fall bleiben die Kreuze verhüllt bis zum Ende der Karfreitagsliturgie, die Bilder jedoch bis zum Beginn der Osternachtsfeier.» Der Begriff «Karwoche» wurde mit der Neuordnung des liturgischen Kalenders an die zweite Stelle gesetzt. Heute spricht man von der «Heiligen Woche». Dieser Ausdruck weitet den Blick vom Leiden Jesu auf seine Auferstehung.
Ein Tag voller Emotionen
Die Bibel berichtet, dass Jesus auf einem Esel in Jerusalem einzog, um dort das jüdische Paschachfest zu feiern, und das Volk ihn als den kommenden Messias mit Hosanna-Rufen begrüsste. Sie legten ihre Kleider wie einen roten Teppich vor ihm aus und schwenkten Palmzweige (Mt 21,1–11); daher der Name «Palmsonntag». Das Volk erinnerte sich an den Text aus Sacharja:
«Juble laut, Tochter Zion! / Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. / Gerecht ist er und Rettung wurde ihm zuteil, demütig ist er und reitet auf einem Esel, / ja, auf einem Esel, dem Jungen einer Eselin» (Sach 9,9).
Der Hosanna-Ruf war ursprünglich ein Bittruf. Mit «Hosanna» (Aramäisch) resp. «Hosianna» (Hebräisch) konnte Gott, ein König oder eine andere Instanz angerufen und ein Rechtsanspruch angemeldet werden. Dieser Ruf entwickelte sich mit der Zeit zu einem Heilsruf, da der Bittende sicher war, dass er erhört wird und so seinem zukünftigen Retter zujubelte. Wenn das Volk beim Einzug Jesu in Jerusalem rief: «Hosanna dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe!» (Mt 21,9), darf dies auch als Anspielung an den Namen Jesu verstanden werden: Jesus ist die Kurzform von Jehoschua (Gott ist die Rettung).
Die Liturgie des Palmsonntags hat zwei Höhepunkte. Die Gläubigen versammeln sich vor dem Gottesdienst vor der Kirche, wo die Palmzweige1 gesegnet werden. Nach der Lesung des Evangeliums vom Einzug Jesu in Jerusalem ziehen die Gläubigen mit den gesegneten Palmzweigen in den Händen in die Kirche ein. Dabei singen sie den Prozessionsgesang «Gloria, laus et honor» aus dem 9. Jahrhundert.2 Doch diese Freude über den kommenden König währt nur kurz. Bereits in der ersten Lesung begegnen wir dem leidenden Gottesknecht, der für seinen Herrn Spott und Gewalt erduldet (Jes 50,4–7). Dies setzt sich im Antwortpsalm fort (Ps 22; «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen») und auch in Philipperhymnus der zweiten Lesung: «Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz» (vgl. Phil 2,6–11). Das Schlussgebet hingegen richtet den Blick der Gläubigen über die Karwoche hinaus auf Ostern.
«Herr, unser Gott, du hast uns im heiligen Mahl gestärkt. Durch das Sterben deines Sohnes gibst du uns die Kraft, das Leben zu erhoffen, das uns der Glaube verheisst. Gib uns durch seine Auferstehung die Gnade, das Ziel unserer Pilgerschaft zu erreichen. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.»
Dieses Schwanken zwischen «himmelhoch jauchzend» und «zu Tode betrübt» ist auch im Kirchenraum zu entdecken: Das Kreuz bleibt zur Palmprozession unverhüllt, da es hier das Siegeszeichen darstellt. Die liturgische Farbe hingegen ist Rot – Farbe des Blutes Christi.
Sich neu auf Christus ausrichten
Jesus erlebte dieses Wechselbad der Gefühle am eigenen Leib. Bei seinem Einzug in Jerusalem wird er als Retter und Messias gefeiert, die Menschen jubeln ihm zu – um nur wenige Tage später lauthals seine Kreuzigung fordern. Doch Jesus hatte die Entscheidung über seine Zukunft bereits mit seinem Einzug in Jerusalem getroffen. Er wusste, was ihn dort erwartet und hat diesen Weg bewusst gewählt, um dem Willen seines Vaters zu entsprechen.
Wenn Jesus auf einem Esel reitend – der ihm noch nicht einmal gehört – in Jerusalem einzieht, zeigt er damit, dass er nicht als Herrscher kommt, sondern als armer, demütiger Mensch. «Diesen Weg wählt Jesus dabei deshalb, weil es auch der ewige Weg Gottes mit uns Menschen ist. Denn im Herzen Gottes will sich unsere Erlösung nicht in erdrückender All-Macht, sondern in mitleidender Ohn-Macht ereignen.»3
Den Weg zum ewigen Osterfest finden wir nur in der Nachfolge Jesu Christi. Er lebt uns gerade am Palmsonntag vor, worauf unser eigenes Leben gründen soll: Gottes- und Nächstenliebe, Demut, Gewaltlosigkeit und grosses Vertrauen in Gottes Heilsplan. Der Palmsonntag als Einfallstor zur Karwoche fordert auch uns zu einer klaren Entscheidung auf, welchen Weg wir wählen wollen.
Brauchtum
Es ist üblich, die während der Palmsonntagsliturgie gesegneten Palmzweige nach Hause zu nehmen, um dort die Kreuze zu schmücken und auf diese Weise zu verehren. Viele werfen die Zweige im nächsten Jahr ins Osterfeuer. Eigentlich sollten die Palmzweige an Aschermittwoch verbrannt und ihre Asche für das Aschenkreuz verwendet werden.
In Deutschland werden oft Palmbusche oder Palmstöcke gefertigt. Diese sind mit bunten Schleifen, Äpfeln oder Orangen verziert. In Norddeutschland werden gesegnete Palmstöcke von den Kindern zu ihren Paten und Grosseltern gebracht. Dafür erhalten sie meistens eine Kleinigkeit geschenkt.
Eine besonders grosse und farbenfrohe Variante dieses Brauchtums bilden die heute vor allem in Polen und Süddeutschland verbreiteten Osterpalmen.
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