Sie sind deutscher Schriftsteller und haben schon viele Bücher, Erzählungen und Reportagen geschrieben. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie ein Buch über die koptischen Märtyrer schreiben?
Ich bin vor allen Dingen Romanschriftsteller. Aber vor Beginn der Arbeit an meinem zwölften Roman wollte ich bewusst einmal etwas ganz anderes machen und ein Ereignis schildern, bei dem die Literatur, die Sprache und die Kunst eine untergeordnete Rolle spielen und die Sache ganz im Vordergrund stehen sollte. Damals ereignete sich die Ermordung der 21 koptischen Wanderarbeiter, die aus Ägypten nach Libyen gekommen waren. Überwiegend als Bauarbeiter, Anstreicher und Zimmerleute. Am Strand von Sirte wurden sie auf grausige Weise und im Rahmen einer gespenstischen Inszenierung durch den «Islamischen Staat» enthauptet. Das war in seiner Perfektion schon beinahe eine Art «Todesballett». Zunächst konnte man das auf YouTube genau verfolgen. Dann ist das Video wegen seiner Grausamkeit zensiert worden. Die schlimmsten Passagen wurden gelöscht. Aber in der Inszenierung der Mörder war eines nicht vorgesehen gewesen – der letzte Ruf der Getöteten: «Komm Herr Jesus.» Nachdem ich das Video gesehen hatte, dachte ich mir, man müsste diese Menschen aus der Anonymität herausholen – dass man von ihnen und ihrer Bereitschaft für ihren Glauben in den Tod zu gehen erzählen müsse.
Haben Sie die koptische Kirche schon vorher gekannt und hatten Sie irgendwelche Erwartungen davor?
Ich habe mich immer für die orientalischen Kirchen interessiert. Nach der grossen liturgischen Krise der katholischen Kirche, nach dem Zweiten Vatikanum, dem Verfall der römischen Liturgie, sind es nur die orientalischen Kirchen, die das das authentische, liturgische Christentum des ersten Jahrtausends bewahrt haben. Aus diesem Grunde habe ich schon immer nach Osten geguckt. Ich habe auch einen Roman in Ägypten [geschrieben], bin in dieser Zeit in die koptische Kirche gegangen und habe koptische Freunde in Frankfurt. Heutzutage, durch die grosse Migration, sind ja eigentlich alle Religionen überall anzutreffen. Es gibt sogar ein koptisches Kloster in der Nähe von Frankfurt. Die koptische Liturgie ist unerhört reich, voller grosser Gebete, Gesten und Gesänge. Ich bin davon überzeugt, wenn die Liturgiereformer des Zweiten Vatikanums die koptische Liturgie ernst genommen und überhaupt gekannt hätten, dann hätte ihnen niemals unterlaufen dürfen, was sie getan haben.
Was waren eigentlich die Wünsche der Märtyrer? Gott zu verherrlichen? Hatten Sie darüber hinaus Visionen oder Wünsche für Ihre Familie oder Ihre persönliche Zukunft entdeckt?
Es war der starke Wunsch, ein Glaubensbekenntnis abzulegen. Man muss bedenken, dass die Kopten seit der muslimischen Eroberung, also seit dem siebten Jahrhundert, unterdrückt sind. Sie lebten unter wechselnden muslimischen Regimen, die mal mehr, mal weniger christenfeindlich waren. Es gab natürlich auch längere Zeiten einer friedlichen Koexistenz. Aber es war doch eine würgende Koexistenz, die der koptischen Kirche die rechte Entfaltung nicht gestattet hat. Die Bildung des Klerus wurde behindert, christliche Mission streng verboten. Die Schätze der Kirche, die Bibliotheken, die Ikonen, die Architektur haben dadurch einen furchtbaren Aderlass erlitten. Was es an koptischen Manuskripten noch gibt, liegt heute meistens in der British Library oder im Louvre, aber jedenfalls nicht mehr in Ägypten. Es ist geraubt und verschleudert worden. Die Kirche wurde klein gehalten. Und sie hat sich eigentlich erst im späten 19. Jahrhundert unter englischer Herrschaft regeneriert und ist zu einer starken Kraft geworden. Man muss ganz klar sehen, Christen sind nicht gleichberechtigt in Ägypten, aber die Kirche ist nicht schwach. Ihr gehören nicht nur Arme, sondern auch gebildete und vermögende Leute an. Und sie ist so gut organisiert und hat ein so starkes Einheitsgefühl, dass die muslimische Mehrheitsgesellschaft auf sie Rücksicht nehmen muss. Eine selbstbewusste Kirche, keine Geduckte. Das war auch ein wichtiges Erlebnis dieser Recherche.
Hat die koptische Kirche die 21 Märtyrer sofort in die Martyrium-Liste aufgenommen und sind diese gleichzeitig heiliggesprochen?
Ja, das hat die koptische Kirche gleich getan und im letzten Mai dann auch Papst Franziskus. Das ist etwas ganz Besonderes. Ich weiss nicht, ob sie nun wirklich die allerersten katholischen Heiligen sind, die keine Katholiken waren, es können aber nach dem Schisma nicht viele gewesen sein. Und das Schisma mit den Kopten beginnt wohlgemerkt schon mit dem Konzil von Chalcedon, also im ersten Jahrtausend, als die koptische Kirche sich von der katholischen und auch von der orthodoxen Kirche abgespalten hat. Das hat nicht gehindert, dass die 21 Märtyrer als katholische Heilige im Martyrologium Romanum geführt werden, mit dem 15. Februar als Festtag. Es dürfen ihnen geweihte katholische Kirchen gebaut werden.
Kommentare und Antworten
Sei der Erste, der kommentiert