Wer etwas abseits der weltbewegenden Stories auf die Suche gehen möchte und – zumindest literarisch – unkonventionelle Orte aufzusuchen wünscht, dem ist der Reiseschriftsteller Rumiz wohl kein Unbekannter. Denn seit langen Jahren bereist Rumiz Italien und halb Europa, um über seine abenteuerlichen Erfahrungen authentisch berichten zu können.
Mit leichter Feder und eindrücklichen Sprachbildern nimmt Paolo Rumiz die Leserin respektive den Leser mit auf eine seiner unkonventionellen Touren: «Die Seele des Flusses» dokumentiert die herausfordernde Reise des Autors entlang des Flusses Po – von den hohen Bergen des Piemont bis zur Mündung des Flusses ins Adriatische Meer. Im Buch «Der Leuchtturm» erzählt Rumiz von der Wahrnehmung in der Einsamkeit – «erschüttert und beinahe demütig – als existenziellem Erlebnis». So schreibt die NZZ.
In deutscher Übersetzung ebenfalls erhältlich ist die Erinnerung des Reiseschriftstellers an seine Wanderung entlang der Via Appia – über 500 Kilometer lang schlängelt sich die erste grosse Strasse Europas von Rom nach Brindisi, vom Zentrum des Römerreiches zum berühmten Hafen an der Adria, dem Tor zum Osten.
Paolo Rumiz ist ein Schwergewicht unter den Reiseschriftstellern. Es gelingt ihm, tiefe Einsichten, philosophische, historische und naturwissenschaftliche Erkenntnisse anhand geografischer Gegebenheiten in einem kunstvollen Puzzle zusammenzustellen. Scheinbar mühelos – doch dahinter steckt sehr viel Recherche-Arbeit! Dem Leser wird vor Augen geführt, dass unsere Welt nicht bloss aus multimedial aufbereitetem 3D-Spektakel besteht. Unsere (europäische) Geschichte, die Arbeit und die intellektuellen Leistungen unserer Ahnen, politische und soziologische Dynamiken steigen bei der Lektüre vor unseren Augen auf – ein fein gearbeitetes Relief bereichert all jene, welche sich von Rumiz an der Hand nehmen lassen.
Diese Meisterschaft des Autors zeigt sich auch beim Büchlein «Der unendliche Faden». Rumiz besuchte nach dem verheerenden Erdbeben von 2016 die Geburtsstätte des grossen Mönchsvaters Benedikt im italienischen Städtchen Nursia; in den folgenden Monaten reiste er zu weiteren 15 bedeutenden Klöstern in ganz Europa.
Wer mit hohem akribischem und wissenschaftlichem Anspruch an die Lektüre geht, wird wohl etwas enttäuscht sein. Denn das Werk ist keine Sammlung sämtlicher historischer Daten, Persönlichkeiten und bewegenden Ereignisse. Rumiz lässt in seiner Reise zu den Benediktinern – den Erbauern Europas, wie es im Untertitel heisst – seinem Gespür grosszügigen Lauf. Die Auswahl der besuchten Klöster wurde ihm nicht von der «Badia Primaziale Sant’Anselmo» (Primatsabtei St. Anselm) in Rom vorgeben, obwohl er dort um Hilfe bat, beim Bemühen, die wichtigsten Benediktinerklöster ausfindig zu machen, wie er auf Seite 43 der deutschen Übersetzung festhält.
Rumiz konsultiert Landkarten, er lässt sich berichten in Erzählungen und folgt seinem unglaublichen Instinkt im Bemühen, die attraktivsten Klöster Europas ausfindig zu machen. Ja – mit allen Sinnen taucht der Schriftsteller ein in die benediktinische Welt. Er freut sich an der dampfenden Suppe im Speisesaal der Gäste ebenso wie an gutem Wein, an langen nächtlichen Gesprächen genauso wie an exzellenter Architektur der Benediktinerklöster.
Man könnte von einer Art Gesamtkunstwerk sprechen, dem Rumiz sich verpflichtet fühlt. Keine gelehrte Auflistung, keine dogmatische Engführung, keine falschen Berührungsängste prägen sein Buch. Der unmittelbare Eindruck zählt, das feine menschliche Gespür für die guten Gesprächspartner dominiert das Buch – und wohl auch die dem Text vorausgegangene Reise. Rumiz schafft es, den Mönchen so manche Aussage zu entlocken. Wir lesen vom glücklichen Autor, dem es gelingt, die dem Schweigen verschriebenen Mönche aus ihrer Reserve zu locken: «Die Mönche kommen neugierig näher! Ich hoffe, sie helfen mir bei meiner Reiseplanung.» Doch bleibt letztlich eine kaum überbrückbare Distanz zwischen den Benediktinermönchen und dem Reiseschriftsteller. Trotz manch gelungener Gespräche. Rumiz fährt fort: Die Mönche «helfen mir bei meiner Reiseplanung, doch merkwürdigerweise geben sie mir nur spärliche Ratschläge». Rumiz wäre nicht Rumiz, wenn er nicht nach einer Erklärung für dieses Verhalten suchte. Und die folgt sofort: «Aufgrund des Stabilitas-loci-Gelübdes sind die Mönche an ein Leben an ein und demselben Ort gebunden; sie kennen nur ihr eigenes Gärtchen, kaum den Rest des Ordens.»
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