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Hintergrundbericht

Bas­ler Fas­nacht und die Katholiken

Am 19. Februar, punkt 4.00 Uhr, beginnt sie, die berühmte Bas­ler Fas­nacht. Ein Blick auf ihr spe­zi­fi­sches Gepräge und ihr Ver­hält­nis zu den Katholiken.

In aller Hergottsfrühe, Schlag 4.00 Uhr beginnt sie, die berühmte Basler Fasnacht: «Morgestraich – vorwärts, Marsch» erschallt es in der stockfinsteren Innenstadt und schon geht ein markerschütterndes Pfeifen und Trommeln los. Doch wer meint, damit beginne eine «Jubel, Trubel, Heiterkeit-Sause», ist auf dem Holzweg, verkennt den Genius der Basler Fasnacht. Denn ihr ist vielmehr ein «schon fast melancholischer Charakter eigen», klärt ein Insider die NZZ-Leserschaft auf, es ist eher ein «andächtiges Gässle», alles andere also als ein bierseliges Gejohle.

Wie passt das zusammen: Ein beinahe martialisch-militärischer Auftakt versus zurückhaltendes Fasnachts-Treiben in den Altstadt-Gassen? Doch dazu später. Hier soll zuerst der Frage nachgegangen werden: Wie kommt es überhaupt dazu, dass die Basler Fasnacht erst mehrere Tage nach Aschermittwoch, also in der Fastenzeit, über die Bühne bzw. das Basler Strassenpflaster geht? Es kursieren mehrere Erklärungsversuche. Der Plausibelste: Es ist die von Papst Gregor XIII. 1582 eingeführte und nach ihm benannte, noch heute gültige Kalenderreform. Zehn Tage wurden einfach übersprungen, um den Kalender wieder mit dem Sonnenlauf in Einklang zu bringen. Die damals bereits protestantisch imprägnierte Stadt Basel stand allem, was von Rom kam, skeptisch bis ablehnend gegenüber, musste aber bald einmal einsehen, dass dieser Widerstand gegen jede wissenschaftliche Evidenz auf Dauer zwecklos war – mit Ausnahme eben des Datums ihrer Fasnacht.

Jahrhundertelang versuchte die reformierte Geistlichkeit, der Fasnacht, weil «heidnisch und papistisch zugleich», den Garaus zu machen. Noch 1806 verlangte der oberste Protestant, Antistes Merian, von der Regierung, die Fasnacht zu verbieten mit dem Argument, dass «keine andere reformierte Stadt in der Eidgenossenschaft Maskeraden erlaube.»

Militärische Ursprünge der Basler Fasnacht
Auf Dauer konnten sich jedoch die wiederholten Verbotsvorstösse nicht durchsetzen, hatten aber zu Folge, dass sich fasnächtliches Treiben zusehends in geschlossene Kreise verlagerte, v.a. in die Zünfte. Diese wiederum waren auch für die reisläuferischen Musterungen, mithin die Rekrutierung neuer Soldaten, zuständig. Gegen Umzüge der frisch ausgehobenen Mannschaften mit Pfeifen und Trommeln konnte die Obrigkeit nichts einwenden.1835 erhielt der Morgestraich, nun zusehends mit fasnächtlichen Elementen angereichert, den Segen der Basler Regierung.

Die militärische Prägung des Morgenstraichs wirkt bis in unsere Tage nach: Im diszipliniert-reglementierten Auftritt der Cliquen ebenso wie in deren speziellen Gleichschritt: Letzterer geht auf die Reisläuferzeit zurück, denn mit dieser Gangart kann man, ohne zu ermüden, zu Fuss lange Distanzen bewältigen.

Katholiken ausgegrenzt
Katholikinnen und Katholiken waren im 19. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung in grosser Zahl nach Basel gezogen. Lebten 1798 gerade einmal 600 Katholikinnen und Katholiken in Basel, so machte ihr Anteil an der Stadtbevölkerung im Jahre 1860 bereits 24 Prozent aus.

Obwohl die Fasnacht bzw. der Karneval, wie immer wieder aus berufenem und unberufenem Munde kund getan wird, eine ausgeprägt katholische Sache ist, standen viele in der Stadt Basel ansässige Katholikinnen und Katholiken der Basler Fasnacht distanziert bis ablehnend gegenüber. Dies hatte vorab zwei Gründe:

Zunächst einmal das Datum. Die Basler Fasnacht fällt mitten in die Fastenzeit. Ein zweiter, wohl wichtigerer Grund: die lange Zeit pointiert anti-katholische bzw. anti-päpstliche Stossrichtung der Basler Fasnacht. Theo Gantner schreibt dazu in seiner kenntnisreichen Abhandlung «Die Katholiken und die Basler Fasnacht»: «Keine andere reformierte Stadt hatte für die konfessionell-politische Satire und für den Austrag konfessioneller Spannungen auch die Fasnacht zur Verfügung. Internationale, eidgenössische und stadtbaslerische konfessionelle Probleme kamen in Basel rücksichtslos zur Darstellung» (in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde [65/1969]).

Tatsächlich kam es insbesondere im Gefolge des 1. Vatikanischen Konzils und dem anschliessenden Kulturkampf an der Basler Fasnacht immer wieder zu satirischen, die Grenze zur Blasphemie überschreitenden Auswüchsen. So sah sich der päpstliche Gesandte veranlasst, gegen die «Verhöhnung katholischer Gebräuche durch den Fasnachtsumzug» beim Bundesrat zu intervenieren. Der Bundesrat verlangte von der Basler Regierung eine Abklärung der Darstellung des 1. Vatikanischen Konzils. Die römisch-katholische Kirchgemeinde Basel reichte Strafklage ein. In der Folge kassierten die Urheber von den Polizeibehörden eine saftige Busse (vgl. Theo Gantner, ibid.). Dessen ungeachtet, kam es auch weiterhin zu anti-katholischen Bekundungen. Der Polizeidirektor sah sich deshalb gezwungen, die Fasnachts-Publikation mit einem Zusatz zu versehen, welcher die Verletzung religiöser Gefühle von Andersdenkenden (gemeint waren die Katholiken) untersagte. Von der Justiz auch noch anfangs der 1920-er Jahre verhängte Bussen zeugen jedoch von der nur beschränkten Wirkung dieses Zusatzes. Theo Gantner bilanziert in seiner Abhandlung diesen «antirömischen Affekt» (Hans-Urs von Balthasar) wie folgt: «Wenn heute die Fasnacht als ein vorzügliches Mittel zur Assimilation der Zuzüger erachtet wird, so hatte sie jahrzehntelang dazu beigetragen, die Katholiken gesellschaftlich auszuschliessen.»

Die damals in Basel wohnenden Katholikinnen und Katholiken wussten sich indes zu helfen, indem sie eigene Fasnachtsveranstaltungen durchführten. Die sog. «Katholikenbälle» erfreuten sich in der katholischen Bevölkerung grosser Beliebtheit. Es gab damals noch so etwas wie ein katholisches Selbstbewusstsein, das die Basler Katholiken am historischen Datum der Fasnacht festhalten liess – «wie sie in der ganzen Welt gefeiert wird, im Gegensatz zur Basler Fasnacht, die ganz unmotiviert acht Tage hinter ihrer Schwester her humpelt» (a.a.O.). Tempi passati – von einigen wenigen Auswüchsen wie dem Schnitzelbänkler «Schyynhailig» abgesehen.

Wunderschöne Larven und geistreiche Schnitzelbank-Reime
Geblieben ist die prononciert protestantische Ausprägung der Basler Fasnacht. Der Begründer der modernen Soziologie, Max Weber, würde in diesem Zusammenhang wohl von einem Exempel der «innerweltlichen Askese des Protestantismus» sprechen. In einem Video-Beitrag der NZZ («Was man an der Basler Fasnacht alles falsch machen kann») hat ein Ur-Basler das Unverwechselbar-Spezifische der Basler Fasnacht kongenial auf den Punkt gebracht – und zugleich allen Auswärtigen, vorab den «Zyrchern», die Benimmregeln für die «drey scheenste Dääg» unter die Nase gerieben: «Man trommelt und pfeift ganz verträumt durch die Gassen – das ist etwas Melancholisches, nichts Lustiges.» Jubel, Trubel, Heiterkeit sind verpönt. Rote Nasen und bemalte Gesichter sind fehl am Platz. Wie überhaupt an der Basler Fasnacht eine strenge Trennung herrscht zwischen Zuschauern und am Cortège teilnehmenden Cliquen. Letzteren bleiben Masken, pardon Larven, und Kostüme vorbehalten. Zuschauer haben sich gefälligst als Zeichen ihrer Anteilnahme und Solidarität mit dem Tragen eine kostenpflichtigen «Blaggette» zu begnügen. Es herrscht, so der Experte weiter, ein «eher strenges Regime». Wie denn auch der Basler Fasnachtsumzug in manchen Aspekten an eine Art säkularisierte Form einer Fronleichnamsprozession gemahnt.

Gleichwohl ist der Basler Fasnacht eine jahrhundertealte Tradition mit spezifisch-unverwechselbarem Gepräge eigen – im Gegensatz zur aufgesetzt-künstlich wirkenden Zürcher und Berner Fasnacht. Auf die wunderschönen, kunstvollen Larven und Helgen, auf die Schnitzelbangg-Verse von oft literarischem Rang können die Basler zu Recht stolz sein.

Also denn Leute: Auf zur Basler Fasnacht. Aber bitte dabei stets die Devise des Urbasler-Experten im Hinterkopf, der hier zum letzten Mal zitiert wird:

«Halt Dich zurück mit Bier und Wein,
Hast du genug, dann lass es sein,
Einer, der anfängt zu schwanken,
Kehrt heim ins Nest, statt weiter zu tanken.»


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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Bemerkungen :

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    Martin Meier-Schnüriger 20.02.2024 um 05:39
    Die Basler Schnitzelbänke gemahnen in ihrer hochstehenden Qualität an die Epigramme der altrömischen Dichter Catull oder Martial. Da stimmt einfach alles: Rhythmus, Reim und die überraschenden Wendungen zur Schlusspointe. Man muss selbst dann lachen oder zumindest schmunzeln, wenn man mit dem Inhalt nicht ganz einverstanden ist. Dagegen entlocken einem die Nachahmerprodukte aus andern Städten (und Dörfern) mit ihren mühseligen Quälreimen, ihrem holprigen Versbau und ihren Pseudopointen nur ein Gähnen.
  • user
    Meier Pirmin 19.02.2024 um 15:49
    1864 war in Basel Stadt der aus Neudorf und Rickenbach stammende Pfarrer Josef Jurt hervorragender katholischer Seelsorger in Basel, der sich übrigens gemäss Staatsarchiv auch um die katholische Studenten an der Uni kümmerte, wenngleich nicht offiziell von derselben bezahlt, immerhin bei Disziplinarfällen mit konsultiert. Er pflegte auch die Fasnacht, aber ausserzünftisch.

    Nach meinen Studien gelang es indes der Stadt Basel auch im Reformationsjahrhundert nicht, die Fasnacht vollständig zu unterdrücken; noch gegen den Pfarrer Oswald Mykonius, übrigens einen Luzerner, auch Zwinglibiograph, wandte sich diesbezüglich der Rat von Basel, weil man den Geistlichen nicht einen zu grossen politischen Einfluss zubilligen wollte. Noch Erasmus , bekanntlich katholisch geblieben, erfuhr im Münster eine würdige Abdankung, freilich mit Grabrede von Mykonius, der bei der Beisetzung präsent war, dies in seiner Eigenschaft als berühmtester Gelehrter der Stadt mit enormem Ansehen seit 1513. Seines Zeichens Humorist, wohingegen Basels Reformator Oekolampad seinerzeit sogar doktoriert hatte, auf jeden Fall eine Abhandlung geschrieben, gegen den Humor in der Kirche. Nicht nur die Fasnacht lehnte er ab, auch den berühmten Brauch des Osterlachens, nämlich dass an der Osterpredigt jeweils eine humoristische Einlage gebracht wurde; so etwas galt in BS damals als total unbiblisch!

    PS. Das grosse Verdienst von Pfarrer Jurt ab 1870 war zumal, dass er als Arbeiterseelsorger den Durchbruch der Altkatholiken (Heute: Christkatholiken) in BS verhinderte, welcher Richtung sich fast nur Freisinnige der besser verdienenden Schichten anschlossen.
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      Meier Pirmin 19.02.2024 um 17:52
      Die Eigenschaft als "berühmtester Gelehrter der Stadt" betraf natürlich Erasmus von Rotterdam (1469 - 1536), nicht dessen reformierten Abdankungsprediger Oswald Geisshüsler, genannt Mykonius, ursprünglich aus Römerswil LU, bis zu den Reformationswirren Lehrer an der Luzerner Stiftsschule, in Beromünster jedoch als dann als Lateinlehrer nicht gewählt, wurde 1529 als Pfarrer von Basel Nachfolger des Basler Reformators Oekolampadius und war wie dieser überzeugter Fasnachtsgegner im Sinn der Ausführungen von Herrn Herzog. Beliebt waren die fasnachtsfeindlichen Massnahmen aber nie! Nebst der Fasnacht musste auch der Basler Auffahrtsumritt daran glauben, welcher Brauch aber in Beromünster schon 1509 von aus Basel stammenden Chorherren eingeführt wurde. Vgl. das noch heute im Kanton Baselland gepflegte, zwar mehr weltliche Auffahrtsbrauchtum der männerbündischen Wald- und Grenzumgänge jeweils am Auffahrtstag.

      Dass in Basel 1536 ein Katholik im Münster ein Ehrengrab erhielt, spricht indes für die in Basel grössere Toleranz als anderswo. Auch der Calvinkritiker Sebastian Castellio erhielt bekanntlich in Basel Exil, worauf man unterdessen besonders stolz ist mit neuerer Gedenktafel. In Basel gab es wie in Genf früh eine relativ starke katholische Minderheit, die sich ursprünglich stark aus Bedientesten bzw. Unterschichthilfskräften aus dem benachbarten Ausland mit minderer Berechtigung zusammensetzte. Die Basler katholische Diaspora war noch vor 50 bis 100 Jahren eine blühende Gemeinschaft mit stark christlichsozial orientierter politischer Vertretung, sowohl in der Regierung als auch sogar im Nationalrat.
  • user
    Josef Köchle 19.02.2024 um 14:54
    Mag sein, dass die Basler an ihrer Fasnacht früher ihrer Abneigung gegen das Katholische Luft machten. Wenn sie aber heute "Fiducia supplicans" und die Zusatzerklärungen des Vatikans dazu lächerlich machen, kann man nichts dagegen haben.