In aller Hergottsfrühe, Schlag 4.00 Uhr beginnt sie, die berühmte Basler Fasnacht: «Morgestraich – vorwärts, Marsch» erschallt es in der stockfinsteren Innenstadt und schon geht ein markerschütterndes Pfeifen und Trommeln los. Doch wer meint, damit beginne eine «Jubel, Trubel, Heiterkeit-Sause», ist auf dem Holzweg, verkennt den Genius der Basler Fasnacht. Denn ihr ist vielmehr ein «schon fast melancholischer Charakter eigen», klärt ein Insider die NZZ-Leserschaft auf, es ist eher ein «andächtiges Gässle», alles andere also als ein bierseliges Gejohle.
Wie passt das zusammen: Ein beinahe martialisch-militärischer Auftakt versus zurückhaltendes Fasnachts-Treiben in den Altstadt-Gassen? Doch dazu später. Hier soll zuerst der Frage nachgegangen werden: Wie kommt es überhaupt dazu, dass die Basler Fasnacht erst mehrere Tage nach Aschermittwoch, also in der Fastenzeit, über die Bühne bzw. das Basler Strassenpflaster geht? Es kursieren mehrere Erklärungsversuche. Der Plausibelste: Es ist die von Papst Gregor XIII. 1582 eingeführte und nach ihm benannte, noch heute gültige Kalenderreform. Zehn Tage wurden einfach übersprungen, um den Kalender wieder mit dem Sonnenlauf in Einklang zu bringen. Die damals bereits protestantisch imprägnierte Stadt Basel stand allem, was von Rom kam, skeptisch bis ablehnend gegenüber, musste aber bald einmal einsehen, dass dieser Widerstand gegen jede wissenschaftliche Evidenz auf Dauer zwecklos war – mit Ausnahme eben des Datums ihrer Fasnacht.
Jahrhundertelang versuchte die reformierte Geistlichkeit, der Fasnacht, weil «heidnisch und papistisch zugleich», den Garaus zu machen. Noch 1806 verlangte der oberste Protestant, Antistes Merian, von der Regierung, die Fasnacht zu verbieten mit dem Argument, dass «keine andere reformierte Stadt in der Eidgenossenschaft Maskeraden erlaube.»
Militärische Ursprünge der Basler Fasnacht
Auf Dauer konnten sich jedoch die wiederholten Verbotsvorstösse nicht durchsetzen, hatten aber zu Folge, dass sich fasnächtliches Treiben zusehends in geschlossene Kreise verlagerte, v.a. in die Zünfte. Diese wiederum waren auch für die reisläuferischen Musterungen, mithin die Rekrutierung neuer Soldaten, zuständig. Gegen Umzüge der frisch ausgehobenen Mannschaften mit Pfeifen und Trommeln konnte die Obrigkeit nichts einwenden.1835 erhielt der Morgestraich, nun zusehends mit fasnächtlichen Elementen angereichert, den Segen der Basler Regierung.
Die militärische Prägung des Morgenstraichs wirkt bis in unsere Tage nach: Im diszipliniert-reglementierten Auftritt der Cliquen ebenso wie in deren speziellen Gleichschritt: Letzterer geht auf die Reisläuferzeit zurück, denn mit dieser Gangart kann man, ohne zu ermüden, zu Fuss lange Distanzen bewältigen.
Katholiken ausgegrenzt
Katholikinnen und Katholiken waren im 19. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung in grosser Zahl nach Basel gezogen. Lebten 1798 gerade einmal 600 Katholikinnen und Katholiken in Basel, so machte ihr Anteil an der Stadtbevölkerung im Jahre 1860 bereits 24 Prozent aus.
Obwohl die Fasnacht bzw. der Karneval, wie immer wieder aus berufenem und unberufenem Munde kund getan wird, eine ausgeprägt katholische Sache ist, standen viele in der Stadt Basel ansässige Katholikinnen und Katholiken der Basler Fasnacht distanziert bis ablehnend gegenüber. Dies hatte vorab zwei Gründe:
Zunächst einmal das Datum. Die Basler Fasnacht fällt mitten in die Fastenzeit. Ein zweiter, wohl wichtigerer Grund: die lange Zeit pointiert anti-katholische bzw. anti-päpstliche Stossrichtung der Basler Fasnacht. Theo Gantner schreibt dazu in seiner kenntnisreichen Abhandlung «Die Katholiken und die Basler Fasnacht»: «Keine andere reformierte Stadt hatte für die konfessionell-politische Satire und für den Austrag konfessioneller Spannungen auch die Fasnacht zur Verfügung. Internationale, eidgenössische und stadtbaslerische konfessionelle Probleme kamen in Basel rücksichtslos zur Darstellung» (in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde [65/1969]).
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Nach meinen Studien gelang es indes der Stadt Basel auch im Reformationsjahrhundert nicht, die Fasnacht vollständig zu unterdrücken; noch gegen den Pfarrer Oswald Mykonius, übrigens einen Luzerner, auch Zwinglibiograph, wandte sich diesbezüglich der Rat von Basel, weil man den Geistlichen nicht einen zu grossen politischen Einfluss zubilligen wollte. Noch Erasmus , bekanntlich katholisch geblieben, erfuhr im Münster eine würdige Abdankung, freilich mit Grabrede von Mykonius, der bei der Beisetzung präsent war, dies in seiner Eigenschaft als berühmtester Gelehrter der Stadt mit enormem Ansehen seit 1513. Seines Zeichens Humorist, wohingegen Basels Reformator Oekolampad seinerzeit sogar doktoriert hatte, auf jeden Fall eine Abhandlung geschrieben, gegen den Humor in der Kirche. Nicht nur die Fasnacht lehnte er ab, auch den berühmten Brauch des Osterlachens, nämlich dass an der Osterpredigt jeweils eine humoristische Einlage gebracht wurde; so etwas galt in BS damals als total unbiblisch!
PS. Das grosse Verdienst von Pfarrer Jurt ab 1870 war zumal, dass er als Arbeiterseelsorger den Durchbruch der Altkatholiken (Heute: Christkatholiken) in BS verhinderte, welcher Richtung sich fast nur Freisinnige der besser verdienenden Schichten anschlossen.
Dass in Basel 1536 ein Katholik im Münster ein Ehrengrab erhielt, spricht indes für die in Basel grössere Toleranz als anderswo. Auch der Calvinkritiker Sebastian Castellio erhielt bekanntlich in Basel Exil, worauf man unterdessen besonders stolz ist mit neuerer Gedenktafel. In Basel gab es wie in Genf früh eine relativ starke katholische Minderheit, die sich ursprünglich stark aus Bedientesten bzw. Unterschichthilfskräften aus dem benachbarten Ausland mit minderer Berechtigung zusammensetzte. Die Basler katholische Diaspora war noch vor 50 bis 100 Jahren eine blühende Gemeinschaft mit stark christlichsozial orientierter politischer Vertretung, sowohl in der Regierung als auch sogar im Nationalrat.