Papst Silvester erhält von Kaiser Konstantin die Insignien der weltlichen Macht über die Stadt Rom. Basilika Santi Quattro Coronati, Oratorium des Hl. Sylvester, Rom. (Bild: Peter1936F/Wikimedia Commons)

Kommentar

Bene­dikt und Sil­ves­ter oder Him­mel­fahrts­ge­dan­ken an der Krippe

Die Geschichte schreibt bis­wei­len merk­wür­dige, skur­rile, bedenk­li­che Bege­ben­hei­ten. Zufall? Wer Gott als den Urhe­ber und Len­ker der Geschichte in Rech­nung stellt, sieht mehr dahinter.

Als Papst emeritus Benedikt XVI. am 31. Dezember 2022 mit den sein Leben und sein Pontifikat zusammenfassenden Worten «Signore, ti amo» verstarb, ereignete sich wieder einmal eine jener historischen «Zufälligkeiten», die uns zu denken geben sollten. Der grosse Mahner der Entweltlichung der Kirche legte sein Leben nämlich just an jenem Tag in Gottes Hände zurück, an dem diese Kirche des Mannes gedenkt, mit dem ihre Verweltlichung begann.

Nicht dass Papst Silvester I. (314–335) dies geplant oder auch nur vorausgesehen hätte. Er war – auch das ein historischer «Zufall» – einfach derjenige, der zur gleichen Zeit, als Kaiser Konstantin die Christenverfolgung seiner Vorgänger aufgab und das Christentum als gleichberechtigte Religion neben den zahlreichen anderen Glaubensgemeinschaften, die es damals im Römischen Reich gab, tolerierte, auf dem Stuhl Petri sass.

Der Kaiser hatte eingesehen, dass das Christentum mit Gewalt nicht zu unterdrücken war. Also ging er daran, sich die Christen zu Verbündeten zu machen. Er beliess es nicht bei der blossen Tolerierung, sondern verschaffte ihnen Privilegien. Die Folgen für die Kirche waren zwiespältig: Einerseits konnte sie sich nun entfalten und aufblühen; die Zeit der Katakomben war vorüber. Andererseits aber drängten sich mehr und mehr Menschen zur Taufe, die zwar Christen werden, aber nicht unbedingt sein wollten. Ihnen ging es nicht um die Schätze im Himmelreich, sondern um höchst irdische Annehmlichkeiten wie Geld und Macht. Unter Kaiser Konstantin war man gut beraten, als Christ zu gelten, wenn man Karriere machen wollte. Die ersten «getauften Heiden», wie Papst Benedikt XVI. jene Menschen anderthalb Jahrtausende später nennen sollte, betraten die Bühne der Weltgeschichte.

Joseph Ratzinger legte als Priester, Theologe, Bischof, Präfekt der Glaubenskongregation und schliesslich als Papst unermüdlich den Finger auf diese Wunde, von der sich die Kirche bis heute nie mehr richtig erholte. Die Annäherung an die Staatsmacht oder die gerade herrschende gesellschaftliche Strömung war für die Kirche oft nur vordergründig von Vorteil, der goldene Käfig schränkte sie in ihrer wahren Sendung ein. Doch gerade dann, wenn man glauben mochte, ihre letzte Stunde habe geschlagen, erfüllte sich auf wundersame Weise die Verheissung Jesu von Cäsarea Philippi: «... und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwinden» (vgl. Mt 16,18).

Wie in alttestamentlicher Zeit die Propheten traten im neuen Bund die Heiligen auf, Männer und Frauen, die für Jesus Christus brannten und für das ganz Grosse auf den falschen Glanz dieser Welt verzichteten.

Ist es vermessen, auch Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. zu ihnen zu zählen? Eine abschliessende Antwort auf diese Frage kann selbstverständlich nur die Kirche geben. Aber schon jetzt lässt sich sagen, dass vieles von dem, was die Heiligen auszeichnete, auch an ihm sichtbar geworden ist: seine persönliche Demut und Bescheidenheit, seine Liebe zu allen Menschen, sein schlichter, ja kindlicher Glaube, den er sich auch als «Mozart der Theologie» stets bewahrt hat, und nicht zuletzt die starken Anfeindungen, der Hass, der ihm entgegenschlug, weil er sich weigerte, das ewige Gut um irdischer Vorteile willen zu verschachern.

Nun hat der grosse Lehrer des Glaubens mit dem Herzen eines Kindes seine Augen zum letzten Erdenschlaf geschlossen. An der Weihnachtskrippe befallen einen Gedanken und Empfindungen, wie sie die Apostel bei der Himmelfahrt ihres Meisters gehabt haben mögen: Trauer und Wehmut über seinen Weggang, Erinnerungen an vergangene Jahre mit ihm, aber auch Freude und Zuversicht, dass er uns nicht allein lässt und sich vom Himmel aus weiterhin und noch viel wirksamer für die Kirche einsetzt.

Ein Letztes: Dem lebenden Joseph Ratzinger persönlich zu begegnen, mit ihm zu sprechen, war, verglichen mit der Gesamtzahl aller Katholikinnen und Katholiken, nur einer verschwindend kleinen Minderheit vergönnt. Jetzt aber, in der ewigen Herrlichkeit, können wir ihn alle anrufen und finden bei ihm ein offenes Ohr für alle unsere Anliegen.

 

Gastkommentare spiegeln die Auffassungen ihrer Autorinnen und Autoren wider.


Martin Meier-Schnüriger


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  • user
    Heinz Meier 18.01.2023 um 08:50
    Entgegen den hier vorgetragenen Wünschen ist auch für Benedikt XVI (m.W.diskussionslos) der päpstliche Staat als theokratische „Weltmacht“ ohne Gewaltenteilung geblieben. Es ist umgekehrt wahr: Mit „Betlehem“ stellt sich den Jesus-Nachfolgern immer wieder aufs Neue die kritische Aufgabe der „Welt“- Werdung. Dazu braucht es Klärung, Dialog, Geduld - und manchmal auch den Rechtsstaat mit seinen Gerichten, wenn theokratisch geduldete Übergriffe die (weltliche und göttliche) Gerechtigkeit verletzen. Man mag Synoden als toxisch empfinden: Kirche besteht nicht nur aus „Lehramt und Gläubigen“, sondern aus Menschen mit Anspruch auf „Betlehem“, auf Menschwerdung in der Welt des nie abgeschlossenen Bemühens um Gerechtigkeit. Und Himmelfahrt ist Folge von Betlehem, nicht Gegensatz. Zudem bleibt Himmelfahrt Gott vorbehalten, sie ist kein Menschenwerk. Die Welt aber ist oft ein Tal der Tränen, welche zu verbessern als Aufgabe nur gemeinsamer Weg („Synode“) sein kann.