Auch dieses Jahr durfte der Leitungsbeauftragte des «Freundeskreis Hans Urs von Balthasar», Pius Kölbener, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im prachtvollen «Grossen Saal» des Klosters Einsiedeln begrüssen. Angesichts der ganzen innerkirchlichen Diskussionen sei es das Anliegen des Vorbereitungsteams gewesen, sich wieder auf die sakramentale Verfasstheit der Kirche zu besinnen. Dafür erschien ihnen Marc Kardinal Ouellet, der über die theologische Anthropologie von Hans Urs von Balthasar promoviert hatte, als der ideale Referent. Dieser sagte spontan zu und schlug den Titel der Adventseinkehrtage vor: «Dreifaltigkeit und Sakramentalität – Für eine synodale und missionarische Kirche»
Der Kardinal freute sich sichtlich über den Wintereinbruch. «So viel Schnee ist ein wunderbares Willkommen für einen Kanadier, der in Rom lebt.»
Trinitarisch geprägte Kirche
Der erste Vortrag stand unter dem Titel «Der Heilige Geist und die Sakramentalität der Kirche». Der Heilige Geist begleitet die ganze Sendung des fleischgewordenen Wortes von seiner Empfängnis bis zur Bestätigung als Sohn Gottes durch seine Auferstehung von den Toten. Nach der Auferstehung Christi wandelt sich die Beziehung zwischen dem Heiligen Geist und Christus: Begleitete der Geist bisher als Vermittler diskret und aktiv die Menschwerdung des Wortes, übernimmt er nun die Fortführung der Menschwerdung des Wortes in einer neuen, sakramentalen Weise. «Die Kirche als sakramentale Wirklichkeit entspringt dieser Sendung des Heiligen Geistes»: Der Heilige Geist ist der Spender von Taufe und Firmung, die den Leib Christi, die Kirche, auferbauen, er wandelt den Leib und das Blut Christi, um ihn für die Gläubigen zur Nahrung werden zu lassen, «zum Wachstum des Leibes Christi, der Kirche».
Darüber hinaus verleiht der Heilige Geist den Gliedern der Kirche besondere Charismen, jedem entsprechend seiner Berufung und seiner Sendung im Dienst der Gemeinschaft. «Diese subjektive Weise, die Gemeinschaft in der Kirche durch Glauben und Liebe zu beleben, entspricht der ihm eigenen Art des Liebens innerhalb der Dreifaltigkeit, einer fruchtbaren und strahlenden Empfänglichkeit, die er nun mit allen teilt, in vollkommenem Einklang mit der objektiven Gabe Christi, des Herrn.» Die sakramentale Struktur der Kirche, von der Taufe bis zur letzten Wegzehrung, zielt darauf hin, die Kirche, jedes ihrer Glieder und deren hochzeitliche und missionarische Verbundenheit trinitarisch zu prägen.
Nach der geistlichen Stärkung durch die Teilnahme an der Vesper der Klostergemeinschaft waren die Teilnehmer gespannt auf das zweite Referat. Dieses befasste sich mit der «Unterscheidung und Übereinstimmung zwischen dem Priestertum der Getauften und dem Priestertum der Amtsträger».
Teilhabe an der Sohnschaft
Der Heilige Geist hatte am Priestertum Christi vom ersten Augenblick der Menschwerdung Christi Anteil – denn der Sohn Gottes wurde durch den Heiligen Geist empfangen und nahm unter seinem Wirken Fleisch an von der Jungfrau Maria. «Daher ist das Priestertum Christi nicht nur ein Beispiel für alle an ihn Glaubenden, sondern es ermächtigt sie durch den Heiligen Geist zur Teilhabe an seiner eigenen Sohnschaft.»
Das Priestertum Christi als Mittlerschaft kann nicht ohne die Mitwirkung des Geistes gedacht werden – nicht nur als seine Frucht, sondern auch als seine Voraussetzung. Denn der Liebesgehorsam des Erlösers wird durch die Gnade des Heiligen Geistes ermöglicht, der ihm den Willen des Vaters vermittelt.
Die drei Aspekte Opfer, Mittlerschaft und Gemeinschaft drücken die trinitarische Struktur des Priestertums aus: «Das Opfer ist zuerst das des Vaters, der der Welt seinen Sohn schenkt (Joh 3,16). Dann ist es das Opfer des Sohnes, dessen Vermittlung darin besteht, unser sündiges Fleisch anzunehmen, um es dem Vater erlöst als Antwort auf Seine Liebe anzubieten. Der menschgewordene Sohn erlangt so vom Vater die Ausgiessung des Heiligen Geistes, der ihn von den Toten auferweckt, von der Sünde der Welt freispricht und den Gläubigen Zugang zum ewigen Leben des Vaters und des Sohnes in der Gemeinschaft des Geistes erwirkt.»
Die Frage nach dem Verhältnis des besonderen und allgemeinen Priestertums wird normalerweise vom Amtspriestertum her angegangen. Kardinal Ouellet knüpfte an die Taufe als Anknüpfungspunkt an. Christen werden durch die Taufe zu Söhnen und Töchtern Gottes und so als Glieder des Leibes Christi mit ihrem ganzen Wesen mit seinem sohnschaftlichen Priestertum verbunden. Sie werden zu Tempeln des Heiligen Geistes und zu «Mitverwaltern» der Gabe des Heiligen Geistes für die Welt.
Das Priestertum der Getauften hat sowohl eine «aufsteigende» wie auch eine konkrete «absteigende» sohnschaftliche Dimension: «‹aufsteigend› als eine dem Vater wohlgefällige Opfergabe oder als Fürbitte für die Menschheit, ‹absteigend› als vitale Vermittlung des Heiligen Geistes, der vom Vater durch Christus herabkommt und durch die Leiblichkeit der Getauften wirkt.»
Das allgemeine Priestertum beruht auf der Gegenwart Christi und der Innewohnung des Heiligen Geistes und hat einen Austausch von Gaben zur Folge. Dabei besteht der Auftrag der Gläubigen in diesem Austausch der Gaben in der Fürbitte, Selbsthingabe, Werken der Barmherzigkeit, Heiligkeit usw. So wir die Welt eingeladen und ermutigt, an Christus und die Dreifaltigkeit zu glauben. «Durch die Erfahrung der kirchlichen Gemeinschaft erhält sie einen Vorgeschmack der göttlichen Gemeinschaft und ewigen Freude.» Die Mittlerschaft des einzigartigen Priestertums Christi schliesst diese Mittlerschaft der Kirche als gläubige Gemeinschaft nicht aus, sondern durch die beiden spezifischen Formen des Priestertums in ihrem Schoss ein.
Im Falle des Weihesakraments handelt es sich um eine sakramentale Darstellung der vaterschaftlichen Dimension der Sendung Christi. Im Heilsplan hat sich Christus als der Sohn offenbart, der dem Vater gehorcht und seinen Eltern untertan ist, aber er hat sich auch als der Apostel des Vaters, der Gesandte des Vaters kundgetan: «Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen» (Joh 14,9).
«Eine solche priesterliche Perspektive, die radikal auf die Teilhabe an der trinitarischen Gemeinschaft ausgerichtet ist, könnte einen spürbaren Einfluss auf alle Berufungen haben und für eine wahre kirchliche Gemeinschaft begeistern, die anziehend, einladend und solidarisch an der Ausbreitung des Reiches Gottes mitwirkt.»
Der erste Tag endete in der Magdalenenkapelle mit der gemeinsam gebeteten Komplet und einer Marienbetrachtung durch Kardinal Ouellet.
Der Geist der Seligpreisungen und die Fruchtbarkeit des Kreuzes
Der Sonntag begann mit der gemeinsamen Eucharistiefeier zum ersten Adventssonntag. In seinem letzten Vortrag widmete sich Marc Kardinal Ouellet dem Thema «Die missionarische Zukunft einer synodalen Kirche». Die gerade zu Ende gegangene Phase habe viele Fragen aufgeworfen und einen Prozess der Unterscheidung hinsichtlich einer synodalen Bekehrung bestätigt. Eine solche Bekehrung müsse allerdings noch präzisiert und von ideologischen Interessen unterschieden werden, welche die Kirche den Funktionsprinzipien der weltlichen Demokratien unterwerfen wollen. Kardinal Ouellet hält es für möglich, dass der Abschluss des Synodenprozesses im Oktober 2024 zu einem tieferen Verständnis der Synodalität führt und damit einen Wendepunkt in der missionarischen Berufung des gesamten Gottesvolkes markiert.
Wir sollten vermehrt die Würde und Kompetenz der Getauften bei ihrer Weltsendung wertschätzen, betonte der Kardinal. Eigentlich sollten Laien systematisch konsultiert werden bei Fragen, die sich infolge wissenschaftlicher und technologischer Entwicklungen stellen.
Es gibt Theologen, welche «die Distanz und die Diskontinuität zwischen der Kirche und dem Reich Gottes auf eine Art und Weise betonen, dass die Institution Kirche abgewertet wird, und zwar zugunsten eines selbsternannten Prophetentums». Doch das Reich Gottes ist Jesus Christus selbst, der in seinem kirchlichen Leib «in einer Modalität der Inkarnation unter dem Vorsitz des Heiligen Geistes lebt». Das Reich Gottes ist bereits da, ungeachtet aller historischen Grenzen der Kirche.
Alle Getauften erhalten als Glieder des Leibes Christi eine Sendung, die sie für den Dienst an der Gemeinschaft mit dem Charisma füllen sollen, das der Heilige Geist ihnen je persönlich zuteilt. «Die gegenwärtige synodale Suche wird in dem Masse fruchtbar sein, in dem sie die Gegenwart und das authentische Wirken des Heiligen Geistes in jedem Zeugnis oder Vorschlag erkennt, der der Einheit von Christus und der Kirche und dem missionarischen Charakter des Volkes Gottes mehr dient.»
Kardinal Ouellet erinnerte daran, dass die Heilige Familie «der historische Ursprung der Kirche (der die Verkündigung impliziert), aber auch ihre ständige Matrix, ihr Modell» ist. Eine gute Familie lebt eine Kultur der Liebe, die sich des andern annimmt. Durch ihre Geschwisterlichkeit, Gastfreundschaft, Menschlichkeit und Zugehörigkeit zur kirchlichen Gemeinschaft strahlt sie den Geist über ihre Grenzen hinaus aus. Deshalb ist die Hauskirche für die Gesellschaft ein Zeichen, dass die Zukunft der Hoffnung über diesen Weg der Menschlichkeit führt. Der Geist des Christentums muss ein Element der Freude, der Freiheit und sogar der Begeisterung durch die Frohe Botschaft der dreifaltigen Liebe bringen, die in der Kirche und der Gemeinschaft verkörpert ist. Die Erfahrungen von Gemeinschaft, so bescheiden sie auch sein mögen, stützen die Hoffnung der Völker angesichts der Tragödien von Krieg und Elend. «In der Mission wie auch für die Synodalität zählt nur die echte Liebe.» Kardinal Ouellet erinnert an die «Missionarinnen der Nächstenliebe», die allein durch ihr Herz für die Ärmsten der Armen evangelisieren. «Viele von ihnen haben ihr Ausharren in Ländern, die von Terrorismus und Krieg heimgesucht sind, mit ihrem Blut bezahlt. Eine synodale Kirche, die in echter Solidarität mit den Armen unterwegs ist, kennt den Geist der Seligpreisungen, aber auch die Fruchtbarkeit des Kreuzes.»
Schliesslich dürfe das marianische Prinzip nicht vergessen werden, das ein Gegengewicht zur ideologischen Bedrohung bilden kann. «Die selige Jungfrau Maria ist in der Kirche grundlegender als Petrus und alle mit Ämtern Beauftragten. Unter ihrem grossen mütterlichen Mantel finden alle Getauften Zuflucht, Laien und Priester, und sie erinnert uns daran, dass die beiden Formen der Teilhabe an dem einen Priestertum Christi sich bei der Evangelisierung der Welt gegenseitig ergänzen und unterstützen.»
Alle kirchlichen Prinzipien müssen sich harmonisch in eine synodale und missionarische Gemeinschaft einfügen, «im Bewusstsein, dass diese Gemeinschaft – die Kirche – die göttlichen Sendungen des fleischgewordenen Wortes und des Geistes der Liebe und der Wahrheit sakramental weiterführt.
Marc Kardinal Ouellet wurde am 8. Juni 1944 in Lamotte, Kanada, geboren und am 25. Mai 1968 zum Priester geweiht. Sein Studium absolvierte er in Rom. Zwischen 1970 und 1989 lebte er in Kolumbien, wo er ein Jahrzehnt lang in verschiedenen Priesterseminaren unterrichtete. Anschliessend hatte er von 1996 bis 2002 den Lehrstuhl für Sakramententheologie am «Institut Johannes Paul II. für Studien zu Ehe und Familie» inne. Am 19. März 2001 empfing er die Bischofsweihe durch Johannes Paul II., der ihn 2002 zum Metropolitanerzbischof von Quebec und Primas von Kanada ernannte; 2003 wurde er zum Kardinal kreiert. Im Jahr 2010 wurde er von Papst Benedikt XVI. zum Präfekten der «Kongregation für die Bischöfe» und zum Vorsitzenden der «Kommission für Lateinamerika» ernannt; die beiden Ämter hatte er bis zu seiner Emeritierung im Frühjahr 2023 inne.
Die Vorträge können auf «Radio Maria» als Podcasts angehört werden oder auf der Webseite des «Freundeskreis Hans Urs von Balthasar» nachgelesen werden.
Erster Vortrag «Der Heilige Geist und die Sakramentalität der Kirche»
Zweiter Vortrag «Unterscheidung und Gemeinschaft zwischen dem Priestertum der Getauften und dem Priestertum der Amtsträger»
Dritter Vortrag «Die missionarische Zukunft einer synodalen Kirche»
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Sehr gefreut hat mich die Aussage "eigentlich sollten (sic!) Laien systematisch konsultiert werden bei Fragen, die sich infolge wissenschaftlicher und technologischer Entwicklungen stellen". Ich fühle mich vereint mit dem verstorbenen Vital S. Kopp, der postulierte, dass priesterliche naturwissenschaftliche Fachleute unbedingt in der Seelsorge und nicht in der Forschung einzusetzen seien. Er hat dies im Hinblick auf die tiefe Kenntnis über Pater Teilhard de Chardin geschrieben.