Als Begründung führt der Churer Theologe für Ethik ins Feld, dass sexualisierte Gewalt in der Kirche auf strukturelle Ursachen zurückzuführen sei, welche ihrerseits mit der amtlichen Sexuallehre korrelieren würden.
Die im Januar 2024 publizierte Studie zur sexualisierten Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland scheint ihm entgangen zu sein. Darin wird auf über 800 Seiten dokumentiert, dass Phänomene wie Verschleppung, Vertuschung, Täterschutz vor Opferschutz weit verbreitet waren, dass 75 % der Täter zum Zeitpunkt der Ersttat verheiratete Männer waren und die Aufarbeitung der Missbrauchsthematik durch die föderalen (!) Strukturen der Evangelischen Kirche stark behindert wurden. Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, hat daraus die erforderlichen Schlussfolgerungen gezogen und dabei eingeräumt, dass Argumente wie der Zölibat und steile Hierarchien als ursächliche Faktoren sexualisierter Gewalt obsolet geworden sind.
Risikofaktor Mensch
Gerade erst vor wenigen Tagen wurde in München eine 480-seitige Studie vorgestellt, die der konfessionell neutrale und überparteiliche Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder in Deutschland in Auftrag gegeben hatte, um Fällen von sexualisierter Gewalt in den eigenen Reihen nachzugehen (vgl. zdfheute vom 29. Februar 2024). Der Befund deckt sich weitgehend mit den analogen Ergebnissen der Studien in den Grosskirchen. Insbesondere die von den Jungen angehimmelten Leitfiguren missbrauchten ihre Positionen für sexuelle Übergriffe.
Bestrebungen, sexualisierte Gewalt auf systemisch-strukturelle Sonderfaktoren der Katholischen Kirche zurückzuführen, laufen deshalb ins Leere, taugen nicht als Erklärungsmuster. Zieht man in Betracht, dass unbestrittenerweise die meisten Fälle sexueller Missbräuche in Familien unterschiedlichster Prägung vorkommen, bleibt das Fazit: Der eigentliche «systemimmanente Missbrauchsfaktor» ist der Mensch selbst. Denn überall, wo Menschen interagieren, besteht unvermeidlicherweise die Gefahr solcher Missbräuche, braucht es davor schützende Normen und Regeln, und dies heisst begriffsnotwendig wiederum Über- und Unterordnung. Wer also den «Missbrauchsfaktor Mensch» eliminieren wollte, müsste logischerweise auch den «Faktor Mensch» selbst eliminieren.
Geradezu von erschreckender Ignoranz zeugt Schmitts Behauptung, die Kirche habe den jeweiligen Beziehungsstatus vorbehaltlos zu akzeptieren, weil dieser «durch das Grundrecht der Privatsphäre» geschützt sei. Jeder Jus-Student lernt schon im ersten Semester, dass 1. kein Grundrecht schranken- bzw. voraussetzungslos gilt und 2. unbeschadet des Kerngehalts jeder Mensch freiwillig auf die Inanspruchnahme eines Grundrechts verzichten kann. Und genau um Letzteres geht es im vorliegenden Kontext. Wer in einen kirchlichen Dienst eintreten will, tut dies freiwillig, niemand wird dazu gezwungen. Wer sich dazu bereit erklärt, hat die Bedingungen des Arbeitgebers, diesfalls der Kirche, zu akzeptieren. Wer beispielsweise einem Abstinenzverein beitritt, verzichtet freiwillig auf den Genuss von Wein und Bier und damit auf einen Teil seiner Persönlichkeitsrechte. Wer in den Dienst einer Sicherheitsfirma eintritt, akzeptiert damit auch eo ipso die Überprüfung seines Privatlebens, im Falle einer Bewerbung für eine Stelle beim Nachrichtendienst auch ganz intimer Aspekte. Es ist geradezu grotesk, wenn für kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Sonderprivatauszüge und Auszüge aus dem Strafregister eingefordert werden, handkehrum aber die gleichen Kreise den jeweiligen Beziehungsstatus zur Tabuzone deklarieren.
Schmitts letzte Splitterbombe gipfelt im Satz: «Es muss Schluss sein mit der Übergriffigkeit der Kirche, verursacht durch ihre gewaltförmigen Strukturen, Ideologien und Normen.» Man nenne mir eine andere Organisation oder Institution, die eine solche Pauschaldiffamierung durch einen Arbeitnehmer aus den eigenen Reihen durchgehen liesse. Hanspeter Schmitt weiss, dass er sich eine solche Entgleisung folgenlos leisten kann, hat er doch von einer inzwischen weitgehend handlungsunfähig gewordenen SBK nichts zu befürchten. Würde er sich noch einen Rest von Glaubwürdigkeit und Charakter bewahren, ginge er motu proprio selber von Bord. Wahrscheinlicher ist, dass er diesen Schritt erst vollziehen wird, wenn er sich des vollen Rentenbezugs sicher sein kann.
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Wenn dich der Sex ablenkt von Gott, musst du es beichten und versuchen, ihn auf eine reelle Basis zu stellen (Ehe); letzteres von Priestern zu erwarten, ist m. E. gottlos.
Mit diesem Fazit kann ich nicht einverstanden sein, denn es ist der Mann der schuldig ist, nicht der Mensch. In der Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland wurde publiziert, dass 99,6% der Täter Männer waren. Die Missbrauchstäter innerhalb der kath. Kirche sind vorwiegend Männer.
Weshalb wird das Übel nicht beim Namen genannt?
Mein Statement hat gar nichts mit Gender Ideologie zu tun. Mein Statement meint, logisch und pragmatisch gedacht, folgendes:
Wenn beinahe 100% der Täter Männer sind, sollte man weniger Männer in diesen Berufen und Funktionen einsetzen.
Meine Lösung ist einfach: Wenn innerhalb der Kirchen nahezu 100% der Missbrauchstaten durch Männer verübt werden, müssen die Männer einfach entfernt werden.
Aber ich denke, Sie wollen diese einfach Gleichung nicht wahrhaben.
(Und ich weiss selbst, dass die Männer dann in anderen Funktionen Missbrauchstaten ausüben werden, aber die Kirchen wären fein raus.)