Auch in Bangladesch gibt es Kinderehen. (Bild: SAM Nasim/flickr, CC BY 2.0 Deed)

Hintergrundbericht

Das Elend der Kin­der­bräute im Irak

Ihre Kind­heit endet teils schon mit zehn oder elf Jah­ren: Im Irak wer­den jähr­lich Tau­sende Min­der­jäh­rige ver­hei­ra­tet, berich­tet «Human Rights Watch». Vom Staat wer­den sie als «Unre­gis­trierte» ein zwei­tes Mal entwürdigt.

Das gesetzliche Mindestheiratsalter im Irak beträgt offiziell 18 Jahre, in Ausnahmefällen dürfen Mädchen auch schon mit 15 Jahren eine Ehe eingehen. Allerdings gibt es Gesetze gegen Zwangsheiraten. Doch die Realität in dem von Krieg und Armut geprägten Land sieht anders aus, wie ein Bericht der Menschenrechtsorganisation «Human Rights Watch» zeigt. Ein Grund dafür ist die islamische Scharia. «Religiöse Vertreter im Irak schliessen jedes Jahr Tausende Ehen, darunter Kinderehen, die irakische Gesetze unterlaufen und offiziell nicht registriert sind», heisst es in dem am Sonntag veröffentlichten Report.

Demnach hat sich die Praxis in den vergangenen 20 Jahren immer weiter ausgebreitet. Sie ist zwar illegal, doch religiöse Autoritäten wie der Dorf-Imam können bisher nicht dafür bestraft werden. Inzwischen würden rund 28 Prozent der Bräute minderjährig verheiratet – mehr als ein Fünftel der unregistrierten Ehen betrifft Mädchen, die jünger sind als 14 Jahre, zum Teil sogar erst 9, berichtet «Human Rights Watch» unter Berufung auf Zahlen der UN. «Die irakischen Behörden müssen erkennen, dass unregistrierte Heiraten die Tür zu Kinderehen in grossem Stil öffnen», sagt die «Human Rights Watch»-Irak-Expertin Sarah Sanbar.

Ganz abgesehen von den oft schweren seelischen und körperlichen Schäden der Betroffenen durch Gewalt, Unfreiheit, den Ausschluss von Bildung und frühe Schwangerschaften bewirken die offiziell illegalen Ehen eine tiefgreifende juristische Benachteiligung. Denn die fehlende staatliche Registrierung bedeutet, dass die Mädchen und Frauen keinen Anspruch auf soziale und finanzielle Staatsleistungen für Ehefrauen oder Witwen haben und sie ihre Rechte nach einer Scheidung oder im Erbfall gegen die Familie des Ehemannes vor einem staatlichen Gericht nicht geltend machen können. Genau das ist laut dem neuen Bericht neben der Minderjährigkeit der Braut und Bestimmungen zur Polygamie ein Grund dafür, dass Ehemänner die Registrierung bei den Behörden ablehnen.

Nicht einmal ihre Kinder dürfen die betroffenen Mädchen und Frauen in staatlichen Krankenhäusern zur Welt bringen. Daher sind sie auf medizinisch riskante Hausgeburten angewiesen. Obendrein erhielten diese Kinder keine Geburtsurkunde und deshalb oft keine Schulbildung, warnt «Human Rights Watch». Ein Leben in prekären Verhältnissen sei damit vorgezeichnet, sofern die Ehe nicht nachträglich von den Behörden registriert wird.

Dazu kam es zwischen Januar und Oktober 2023 laut Bericht allein in 37 727 Fällen. Doch das Verfahren sei aufwendig und letztlich der Willkür der Richter überlassen. «Human Rights Watch»-Expertin Sanbar fasst die Forderung des Berichts deshalb so zusammen: «Der Irak sollte religiöse Vertreter verfolgen, die Ehen gegen das irakische Gesetz schliessen, die Legalisierung unregistrierter Ehen erleichtern und sicherstellen, dass alle Iraker ihr Leben im vollen Rahmen ihrer Rechte führen können.»

Für den 40-seitigen Report interviewte «Human Rights Watch» neben Betroffenen lokale und internationale Nichtregierungsorganisation sowie irakische Richter. Sie alle zeichnen ein bedrückendes Bild vom Schicksal der Mädchen und Frauen. «Es stiehlt einem die Zukunft», erzählt Warda, die mit 13 Jahren verheiratet wurde und gerne zur Schule gegangen wäre. Eine andere berichtet, wie sie mit 14 die Ehe eingehen musste, schwanger wurde und dann von dem Mann verlassen wurde, der ihr auch noch den Ausweis wegnahm. Nun sei ihre Tochter 16, habe immer noch keine Papiere und keine Schulbildung. Besonders hart trifft es Mädchen und Frauen, die unter der Herrschaft der Terrormiliz «Islamischer Staat» verheiratet wurden. Ihre Ehen erkennen die Behörden generell nicht an.

Allerdings ist die kulturelle Akzeptanz von Ehen auf rein religiöser Grundlage in dem Land mit 44 Millionen Einwohnern weit verbreitet.

Zum einen ist der Einfluss eines strengen Islam nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein bei der schiitischen Mehrheit wie bei Sunniten gewachsen und die Regierung in Bagdad so schwach wie korrupt. Zum anderen treiben Kriegselend und Armut viele Familien dazu, ihre Töchter schon minderjährig zu verheiraten. Auch unter den verbliebenen Jesiden kommt es zu Kinderehen.

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KNA Katholische Nachrichten-Agentur


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