Symbolbild. (Bild: Vanesa Guerrero, rpm/Cathopic)

Neuevangelisierung

Das Über­mass an Unentgeltlichkeit

Am Ende des Nach­syn­oda­len Apos­to­li­schen Schrei­bens «Vita con­se­crata» stellt Johan­nes Paul II. die Frage nach der «Nütz­lich­keit» des geweih­ten Lebens. Warum auf mate­ri­el­len Besitz und Ehe ver­zich­ten, warum die eigene Frei­heit frei­wil­lig ein­schrän­ken? Gäbe es für die Frauen und Män­ner des geweih­ten Lebens nicht Bes­se­res zu tun?

Bereits 1996 schrieb Johannes Paul II. in «Vita consecrata»: «Nicht wenige fragen sich heutzutage ratlos: Wozu soll das geweihte Leben gut sein? Warum lassen sich Menschen auf diese Lebensform ein, wo es doch im Bereich der Nächstenliebe und selbst der Evangelisierung so viele dringende Notwendigkeiten gibt, auf die man auch antworten kann, ohne die besonderen Verpflichtungen des geweihten Lebens zu übernehmen? Ist das geweihte Leben nicht vielleicht so etwas wie eine ‹Verschwendung› menschlicher Kräfte, die, würde man einem Wirksamkeitskriterium folgen, für ein grösseres Gut zum Vorteil der Menschheit und der Kirche nutzbar wären?» (VC 104)

Auch heute werden Armut, Gehorsam und Ehelosigkeit kritisch beäugt. Ein Leben in Armut kann man noch nachvollziehen, ja, es kann sogar als vorbildlich gelten, doch gehorsam zu sein oder gar auf eine Ehe zu verzichten, ist für viele Menschen unsinnig. Was nützt ein solches Leben? Darauf antwortet Johannes Paul II. mit der Erzählung der Salbung in Betanien: «Da nahm Maria ein Pfund echtes, kostbares Nardenöl, salbte Jesus die Füsse und trocknete sie mit ihrem Haar. Das Haus wurde vom Duft des Öls erfüllt» (Joh 12,3). Als Judas anmerkte, dass dies eine Verschwendung sei, denn man hätte das Geld besser für die Armen verwendet, antwortete ihm Jesus: «Lass sie gewähren!» (Joh 12,7).
Das kostbare Salböl, das aus reiner Liebe und ohne jede utilitaristische Überlegung vergossen wurde, «ist Zeichen von Übermass an Unentgeltlichkeit, wie es in einem Leben zum Ausdruck kommt, das hingegeben wird, um den Herrn zu lieben und ihm zu dienen, um sich seiner Person und seinem mystischen Leib zu widmen» (VC 104). Von diesem «verschwendeten» Salböl verbreitet sich ein Duft, der das ganze Haus erfüllt. So wird auch das Haus Gottes, die Kirche, durch die Hingabe der Menschen des geweihten Lebens bereichert und «geschmückt». Denn wer dem Herrn nachfolgt, erkennt rasch, dass er ihm nur mit ungeteiltem Herzen nachfolgen kann, ihn ganz lieben muss, nicht nur in einigen Gesten oder Aktivitäten.
«Was in den Augen der Menschen als Verschwendung erscheinen mag, ist für den in seinem innersten Herzen von der Schönheit und der Güte des Herrn angezogenen Menschen eine klare Antwort der Liebe und eine überschwängliche Dankbarkeit dafür, auf ganz besondere Weise zum Kennenlernen des Sohnes und zur Teilhabe an seiner göttlichen Sendung in der Welt zugelassen worden zu sein» (VC 104).

Es ist gerade dieses Übermass an Unentgeltlichkeit und Liebe, die das geweihte Leben für die Welt, in der vieles so oberflächlich und vergänglich ist, aber auch für die Kirche unverzichtbar macht. «Ohne dieses konkrete Zeichen würde die Liebe, die die ganze Kirche beseelt, Gefahr laufen zu erkalten, das Paradoxon heilwirkender Kraft des Evangeliums sich abschwächen, das ‹Salz› des Glaubens in einer Welt zunehmender Säkularisierung schal werden».[1] Die Frauen und Männer des geweihten Lebens vermählen sich mit Christus und bringen so auf anschauliche Weise das «innere, bräutliche Wesen» der Kirche zum Ausdruck. Durch ihr Leben nach den evangelischen Räten geben sie tagtäglich Zeugnis von Christus und seiner Frohen Botschaft, denn diese Ganzhingabe kann nur aufgrund des Evangeliums verstanden werden. «In der Tat, es bedarf solcher Menschen, die das väterliche Antlitz Gottes und das mütterliche Antlitz der Kirche zeigen, die das eigene Leben aufs Spiel setzen, damit andere Leben und Hoffnung haben» (VC 105).

Johannes Paul II. fordert am Ende des Nachsynodalen Apostolischen Schreibens «Vita consecrata» die jungen Menschen auf: «Wenn ihr den Ruf des Herrn vernehmt, weist ihn nicht zurück!» (VC 106). Sie sollen alle Werke Gottes in der Welt bewundern, aber ihren Blick auf die Wirklichkeiten richten, die zur Unvergänglichkeit bestimmt sind. «Das dritte Jahrtausend erwartet den Beitrag des Glaubens und der Phantasie von Scharen junger Menschen des geweihten Lebens, auf dass die Welt heiterer und fähiger werde, Gott und in ihm alle seine Söhne und Töchter anzunehmen» (VC 106).

An die Eltern richtet er den Aufruf, dem Herrn zu danken, wenn er eines ihrer Kinder zum geweihten Leben beruft. Sie solle ihm eines ihrer Kinder gerne schenken, damit die Liebe Gottes in der Welt wachsen kann. Er mahnt die Eltern gleichzeitig. «Wenn die Eltern die Werte des Evangeliums nicht leben, werden der Junge und das Mädchen nur schwer in der Lage sein, den Ruf zu vernehmen, die Notwendigkeit der Opfer zu verstehen, die es auf sich zu nehmen gilt, sowie die Schönheit des Zieles zu schätzen wissen, das erreicht werden soll» (VC 107). Denn die Kinder lernen die Werte des Evangeliums und der Liebe Gottes zu allererst in der Familie kennen.

Das letzte Wort richtet Johannes Paul II. an die Frauen und Männer des geweihten Lebens selbst: «Ihr wisst gut, dass ihr einen Weg ständiger Bekehrung, ausschliesslicher Hingabe an die Liebe Gottes und der Brüder eingeschlagen habt, um immer leuchtender von der Gnade Zeugnis zu geben, die die christliche Existenz verklärt. Die Welt und die Kirche suchen nach glaubwürdigen Zeugen Christi. Das geweihte Leben ist ein Geschenk, das Gott anbietet, damit das ‹einzig Notwendige› (vgl. Lk 10,42) allen vor Augen gestellt werde» (V 109).

Die jungen Leute sollen bei den Personen des geweihten Lebens das sehen, was sie anderswo nicht zu sehen bekommen.
Die Frauen und Männer des geweihten Lebens haben angesichts der Zukunft eine ungeheure Aufgabe. Die leidenschaftliche Liebe zu Jesus Christus stellt eine mächtige Anziehungskraft für die anderen Menschen dar. «Unsere Zeitgenossen wollen an den Personen des geweihten Lebens die Freude sehen, die davon kommt, dass sie beim Herrn sind», bekräftigt der Papst.

Sie sollen sich nicht nur an die glanzvolle Geschichte des geweihten Lebens erinnern und davon erzählen, sondern eine grosse Geschichte aufbauen. «Macht euer Leben zu einer leidenschaftlichen Christuserwartung, indem ihr ihm entgegengeht wie die klugen Jungfrauen dem Bräutigam entgegengehen. Seid immer bereit, treu zu Christus, zur Kirche, zu eurem Institut und gegenüber dem Menschen unserer Zeit zu sein. So werdet ihr Tag für Tag von Christus erneuert werden, um mit seinem Geist brüderliche Gemeinschaften aufzubauen, mit ihm den Armen die Füsse zu waschen und euren unersetzlichen Beitrag zur Verklärung der Welt zu leisten» (VC 110).

 

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der zwölften und letzten Sendung in der Serie «Das geweihte Leben» auf Radio Maria und behandelt die Schlusskapite von «Vita consecrata». Die Sendung in voller Länge kann unter diesem Link angehört werden.

Die Sendung «Das geweihte Leben» war eine Ko-Produktion von Radio Maria und swiss-cath.ch. Sie wurde monatlich auf Radio Maria ausgestrahlt. Zeitgleich wurde jeweils auf swiss-cath.ch eine Zusammenfassung der Sendung publiziert.

 


[1] Paul VI., Apostolisches Schreiben «Evangelica testificatio» (1971), 3.


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

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Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


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