Kurt Kardinal Koch. (Bild: RPP-Institut, CC BY-SA 3.0 AT via Wikimedia Commons)

Interview

Das Weih­nachts­in­ter­view mit Kurt Kar­di­nal Koch

Kurt Kar­di­nal Koch war von 1995 bis 2010 Bischof des Bis­tums Basel. Am 1. Juli 2010 ernannte ihn Papst Bene­dikt XVI. zum Prä­fek­ten des «Rates zur För­de­rung der Ein­heit der Chris­ten». Der Wahl­spruch in sei­nem Kar­di­nals­wap­pen lau­tet: «Ut sit in omni­bus Chris­tus pri­ma­tum tenens» (Chris­tus in allem den Vor­rang geben). Papst Fran­zis­kus bestä­tigte am 19. Februar 2014 seine Ernen­nung. Kurt Kar­di­nal Koch hat über 60 Bücher und Schrif­ten ver­fasst, dar­un­ter das Buch «Mut des Glaubens».

In der Schweiz erleben die Weihnachtsmärkte zur Zeit gerade einen Boom. Doch vom eigentlichen Weihnachtsereignis, der Geburt von Jesus Christus, ist da weit und breit nichts zu sehen und zu spüren. In Deutschland wurde ein Mann, der vor dem Eingang einer Kita einen mit Geschenken geschmückten Christbaum hingestellt hatte, mit einer Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch eingedeckt. Was sagt das über die Gesellschaft, über den Zustand des Christentums hier in Westeuropa aus?
Die von Ihnen beschriebenen Entwicklungen sind charakteristisch für die heutige Situation in Europa, das zwar ohne das Christentum nicht zu denken ist, in dem aber der Grundwasserspiegel des christlichen Glaubens in den vergangenen Jahrzehnten tief gesunken ist. Die Diagnose von einem Neuheidentum, die der Theologe Joseph Ratzinger bereits Ende der Fünfzigerjahre gestellt hatte, scheint sich immer mehr zu bestätigen. So feiern viele Menschen Weihnachten, ohne zu wissen, was an diesem Fest wirklich gefeiert wird. Diese Situation zeigt, dass wir heute dringend einer neuen Evangelisierung bedürfen. Bereits das Zweite Vatikanische Konzil hat zu einer missionarischen Initiative aufgerufen, und seit dem Konzil haben alle Päpste diese Aufgabe der Kirche in Erinnerung gerufen. In der letzten Zeit hat Papst Franziskus in seinem persönlichen Brief an das Volk Gottes in Deutschland mit grosser Leidenschaft betont, dass im Mittelpunkt einer kirchlichen Erneuerung in erster Linie nicht Strukturfragen, sondern die Evangelisierung stehen muss. Man wird jedoch nicht behaupten können, dass diese Stimmen in unseren Breitengraden wirklich gehört worden sind.

Weihnachten ist für Christen das Fest der Geburt Christi, der Menschwerdung Gottes. Wie kann dieses zentrale Ereignis wieder neu inkulturiert werden?
Es gilt, die einmalige Originalität des christlichen Glaubens wiederzuentdecken. Das Christentum ist die einzige Religion, die bekennt, dass Gott sich nicht nur in seinem Wort offenbart hat, sondern dass er selbst Mensch geworden ist und dass deshalb Jesus Christus wahrer Mensch und wahrer Gott ist. Diesen Glauben zu erinnern und zu vergegenwärtigen wird das Jahr 2025 eine besonders günstige Gelegenheit sein. Denn in diesem Jahr werden wir den 1700. Jahrestag des Ersten Ökumenischen Konzils in der Geschichte der Kirche begehen, das im Jahre 325 in Nizäa stattgefunden und das Glaubensbekenntnis verkündet hat, dass Jesus Christus als Sohn Gottes «wesensgleich mit dem Vater» ist. Dieses Konzil hat in jenem Zeitraum stattgefunden, in dem die Kirche noch nicht von den zahlreichen späteren Spaltungen verwundet gewesen ist. Von daher ist zu wünschen, dass alle christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften dieses Konzils gedenken und sich des Bekenntnisses zu Jesus Christus, wesensgleich mit dem Vater, erneut vergewissern, in dem die Einheit im Glauben begründet ist.

Im Rückblick auf die im Oktober zu Ende gegangene Weltsynode zur Synodalität äusserte sich Kardinal Gerhard Müller mit den Worten: «Nach den vielen Diskussionen weiss niemand mehr, was Synodalität ist.» Kardinal Marc Ouellet definierte demgegenüber an den diesjährigen Adventseinkehrtagen des «Freundeskreises Hans Urs von Balthasar» «Synodalität» schlicht als Wirken des Heiligen Geistes. Was verstehen Sie unter dem Begriff «Synodalität»?
Das Wort «Synode» ist zusammengesetzt aus den Begriffen «hodos» (= Weg) und «syn» (= mit) und bringt zum Ausdruck, dass Menschen einen Weg gemeinsam mit anderen zurücklegen. Im christlichen Sinn bezeichnet das Wort «Synode» den gemeinsamen Weg der Menschen, die an Jesus Christus glauben, der sich selbst als «Weg» offenbart und genannt hat, genauer als «der Weg und die Wahrheit und das Leben» (Joh 14,6). Die christliche Religion wurde deshalb ursprünglich als «Weg» und die Christen, die Christus als «Weg» nachfolgen, wurden als «Anhänger des Weges» (Apg 9,2) bezeichnet. In diesem Sinn hat der heilige Johannes Chrysostomos betont, Kirche sei ein Name, «der für einen gemeinsamen Weg» steht, und Kirche und Synode seien folglich «Synonyme». Und in der Gegenwart hat Papst Benedikt XVI. die Kirche gerne als «Weggemeinschaft des Glaubens» bezeichnet. Diese ursprüngliche, auf Christus hin orientierte Synodalität wieder zu verlebendigen, scheint mir heute ein Gebot der Stunde zu sein.

Der Abschlussbericht der Weltsynode stand unter enormem Zeitdruck. Innerhalb von weniger als 48 Stunden mussten 1200 Abänderungsanträge in das Schlussdokument eingearbeitet werden. Geht dies nicht zwangsläufig zulasten der Qualität? Müssten solche formelle Direktiven nicht generell hinterfragt werden?
Für die Erstellung des Abschlussberichts und seine Diskussion im Plenum der Weltbischofssynode ist die Zeit in der Tat zu kurz bemessen gewesen. Denn ein Abschlussbericht muss den weitgehenden Konsens berücksichtigen, der während der Synode ausgesprochen worden ist. Ich hoffe deshalb, dass man daraus lernen und im kommenden Oktober mehr Zeit dafür investieren wird, zumal es dann nicht nur um einen Zwischenbericht, sondern um die endgültige Vorlage gehen wird, die dem Papst zur Entscheidung übergeben werden wird.

Die Deutsche und Schweizerische Bischofskonferenz haben an der Weltsynode v. a. ihre «Steckenpferde», sprich Frauenpriestertum und sexuelle Minderheiten, forciert. Letztere fanden jedoch im Abschlussdokument praktisch keinen Niederschlag, was als zumindest verklausulierte Ablehnung dieser Postulate gedeutet werden kann. Wie schätzen Sie die diesbezügliche Lernfähigkeit der Schweizer und Deutschen Bischofskonferenz im Hinblick auf die «zweite Runde», sprich die Abschlusssynode vom Herbst 2024 ein?
Ich vermute, dass der Abschlussbericht bewusst auf Konsens ausgerichtet ist, weil man verhindern wollte, dass sonst einzelne Abschnitte nicht die Zwei-Drittel-Mehrheit erreichen würden. Das wollte man unbedingt vermeiden. Zudem ist zu bedenken, dass die Weltbischofssynode eine Synode über die Synodalität gewesen ist. Das Generalthema, das Papst Franziskus vorgegeben hat, hiess, wie die Katholische Kirche synodaler werden kann. Die Konzentration auf diese Thematik wird gewiss beim zweiten Teil der Weltbischofssynode im kommenden Oktober noch mehr als beim ersten Teil eingefordert werden.

In Deutschland und der Schweiz sind starke innerkirchliche Kräfte bestrebt, die aus ihrer Sicht intendierten Ergebnisse der Weltsynode vorwegzunehmen und so gleichsam die Weltkirche vor vollendete Tatsachen zu stellen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Jede Ortskirche hat das Recht, ihre Anliegen, ihre besonderen Eigenheiten und ihre Leiden in die Weltbischofssynode einzubringen, um zu sehen, ob sie in der universalen Kirche konsensfähig sind. Dabei ist vor allem zu bedenken, dass Fragen, die einzelne Ortskirchen nicht entscheiden können, bei der Bischofssynode zwar vorgebracht werden können, dass dies aber im Bewusstsein zu geschehen hat, dass sie nur in der universalen Kirche gelöst werden können. Die Beratungen bei der Weltbischofssynode und die diesbezüglichen Entscheidungen des Papstes bereits in einzelnen Ortskirchen vorwegnehmen zu wollen, würde nicht dem Geist der Synodalität entsprechen und das Gleichgewicht zwischen der Vielzahl der Ortskirchen und der Einheit der Universalkirche empfindlich stören.

Der von Russland ausgelöste Aggressionskrieg gegen die Ukraine stellt gerade die Ökumene mit der Orthodoxie vor besondere Herausforderungen, ist doch die russisch-orthodoxe Kirche seit jeher mit dem Staat und damit auch mit dem Regime Putin eng verbunden. Was empfehlen Sie als «Ökumeneminister des Vatikans» der Katholischen Kirche, wie sie auf diese historische Belastungsprobe für die Beziehungen mit der orthodoxen Schwesterkirche reagieren soll?
Hinter Ihren Beobachtungen ist eine noch grundlegendere Frage verborgen, nämlich diejenige nach dem Verhältnis zwischen Kirche und Staat. Diesbezüglich haben sich in der Kirche in Ost und West sehr verschiedene Konzeptionen herausgebildet. Die Kirche im Westen hat in einer langen und verwickelten Geschichte lernen müssen und hat gelernt, dass in der Trennung von Kirche und Staat bei gleichzeitiger Partnerschaft zwischen beiden Realitäten die adäquate Ausgestaltung ihres Verhältnisses besteht. Demgegenüber ist in der Kirche des Ostens eine enge Verbindung zwischen der staatlichen Herrschaft und der kirchlichen Hierarchie dominierend geworden, die als «Symphonie» von Staat und Kirche gekennzeichnet zu werden pflegt. Sie kommt vor allem zum Ausdruck in den orthodoxen Konzeptionen der Autokephalie und des kanonischen Territoriums, die nicht selten mit nationalistischen Tendenzen verbunden sind. Diese Frage ist in den bisherigen ökumenischen Dialogen weitgehend ausgeblendet worden, muss jetzt aber erörtert werden.

Was sind Ihre Wünsche und Hoffnungen für das kommende Jahr?
An Weihnachten haben die Engel gesungen: «Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.» Diese doppelte Verheissung hat in der heutigen Welt nichts an Aktualität eingebüsst – im Gegenteil: Angesichts von so viel Terror und Krieg, Hass und Feindschaft ist ihr Inhalt notwendiger denn je. Dabei ist aber zu bedenken, dass der Friede auf Erden eine unabdingbare Voraussetzung hat, nämlich in der Ehre, die allein Gott gebührt. Nur wenn wir den ersten Teil im Gesang der Engel beherzigen, kann auch der zweite Teil Realität werden. Ich wünsche deshalb, dass diese doppelte Verheissung der Engel ernst genommen wird und dass im kommenden Jahr die schrecklichen Stimmen der Waffen schweigen und die Stimme der Gottesfurcht bei den Menschen Gehör finden wird.

Das Interview wurde schriftlich geführt.


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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    Robert Wenger 21.12.2023 um 20:36
    «Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.» Genau, so hiess es im Gloria-Hymnus seit eh und je!
    Die neue Sprachregelung von "den Menschen seiner Gnade" (von Übersetzung kann da nicht die Rede sein!) verwässert wie so Manches in der "aktuellen" Liturgie die klare Aussage, und hilft als ständiger Tropfen mit, unseren Glauben mittels liturgischer Gewöhnung unauffällig nach und nach auszuhöhlen.
  • user
    Meier Pirmin 21.12.2023 um 14:52
    Das Wirken des Heiligen Geistes ist nicht auf vereinsähnliche Gemeinschaftsstrukturen fokussiert; allenfalls kann ein Gottesdienst pfingstliche Ausstrahlung gewinnen, aber wohl doch nicht einfach "organisierbar". Was ist wohl vom Freundeskreis von Hans Urs von Balthasar, oft mit dem George-Kreis verglichen, von dem schon zahlreiche Beteiligte dahingeschieden sind, übrig geblieben? Nicht einmal für ein Konklave kann das Wirken des Heiligen Geistes garantiert werden.